UN-Generaldebatte Diplomatischer Dialog in Krisenzeiten
Zum ersten Mal seit Corona versammeln sich Politiker aus aller Welt wieder in New York zur UN-Generaldebatte. Ukraine-Krieg, Nahrungsmittelkrise, hohe Preise - die Liste der Themen ist lang. Was ist zu erwarten?
Den Ton für diese 77. UN-Generaldebatte setzte gestern die US-amerikanische Lyrikerin Amanda Gorman: "Ich bitte euch nur darum, dass ihr euch kümmert, bevor es zu spät ist. Dass ihr aufmerksam lebt. Dass ihr diesen Weckruf hört. Ich fordere euch auf, euch um unser Schicksal zu kümmern. Vor allem bitte ich euch aber, dass ihr Gutes tut, damit die Welt großartig sein kann."
Schon bei der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden vor zwei Jahren hatte die heute 24-Jährige für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt. Jetzt soll sie dazu beitragen, dass die Staatenlenker, die in dieser Woche nach New York kommen, angesichts von Krieg und Krisen nicht das große Ganze aus den Augen verlieren.
Viele Themen auf der Agenda
Themen gibt es reichlich: Der Krieg in der Ukraine, die dadurch ausgelöste Nahrungsmittelkrise, die Folgen der andauernden Corona-Pandemie und der wirtschaftliche Abstieg vieler Weltregionen durch Rezession und hohe Zinsen.
Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms, hofft daher auf verstärkten Dialog. Die Generalversammlung sei ein Moment, in dem die Welt zusammenkomme. Mit Blick auf Herausforderungen, "mit denen wir im Augenblick zu tun haben, sei das nun Krieg, Krisen, Klimawandel, die Kostenexplosion auf den Weltmärkten", betonte Steiner: "Die Welt steht unter Stress, und sie muss miteinander reden, und sie muss vor allem miteinander handeln können, trotz aller Differenzen."
Mehr als 140 Staats- und Regierungschefs
Die Tatsache, dass sich mehr als 140 Staats- und Regierungschefs für diese Generaldebatte angekündigt haben, ist für den höchstrangigen Deutschen bei den Vereinten Nationen ein gutes Zeichen. Zwar gebe es die "Versuchung, sich erst einmal zurückzuziehen, in sein eigenes Land, in seine eigene Region. Aber das löst im Grunde nicht mehr die Probleme unserer heutigen Zeit. Wir sind so miteinander vernetzt, ob das wirtschaftspolitisch ist oder ob das sicherheitspolitisch ist, aber auch beim Thema Klimawandel, Energiesicherheit."
Viele Themen also für diese erste Generaldebatte, die wieder komplett vor Ort in New York stattfindet. Mit einer Ausnahme: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj darf eine Videobotschaft übermitteln.
Auch Scholz ist in New York
Für Deutschland ist Bundeskanzler Olaf Scholz nach New York gereist, um erstmals bei einer UN-Generaldebatte zu sprechen. Außenministerin Annalena Baerbock wird im Laufe der Woche an anderen hochrangigen Treffen teilnehmen. Denn die Probleme der Welt seien vielfältig, sagt Steiner:
Wir haben fünf bis sechs Jahre der Entwicklung verloren durch diese katastrophalen Auswirkungen aus Corona, und die sich natürlich jetzt noch einmal potenzieren. Wir haben in diesem Jahr mehr Flüchtlinge und Binnenvertriebene in der Welt als zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Nur um noch einmal zu verdeutlichen: mehrere Krisen, alle auf einmal und noch vor dem Hintergrund auch einer potenziellen globalen Rezession. Also schwierige Ausgangspunkte.
Die Generaldebatte wird wegen der Trauerfeierlichkeiten für die verstorbene britische Königin Elizabeth II. etwas anders ablaufen als üblich: So wird der US-Präsident - sonst traditionell am ersten Tag der zweite Redner nach Brasilien - erst am Mittwoch das Wort ergreifen.
Putin kommt nicht
Ende der Woche wird dann die Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow erwartet. Präsident Wladimir Putin kommt nicht nach New York. Weshalb auch kaum jemand damit rechnet, dass es schnelle Fortschritte auf dem Weg zu einem Frieden in der Ukraine geben wird. Und auch die Aussichten auf eine rasche Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran sind eher dürftig.
Trotzdem fordert UN-Generalsekretär Antonio Guterres Ähnliches wie Lyrikerin Gorman: "Bei der diesjährigen Generaldebatte muss es darum gehen, für Hoffnung zu sorgen und die dramatischen Spaltungen der Welt zu überwinden. Diese Hoffnung kann nur durch Dialog und Diskussion entstehen. Das ist das Herzstück der Vereinten Nationen. Diese Hoffnung muss sich gegen alle Spaltungen durchsetzen."
Die Vollversammlung ist das zentrale Beratungsorgan der Vereinten Nationen - eine Art UN-Parlament. Darin vertreten sind alle 193 Mitgliedsstaaten. Das Gremium wählt unter anderem die nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und ernennt auf dessen Empfehlung den UN-Generalsekretär.
Alle Mitgliedsstaaten haben je eine Stimme. Die Vollversammlung kann auch aktiv werden, wenn der Sicherheitsrat durch das Veto eines ständigen Mitglieds blockiert ist, kann im Gegensatz zum Rat aber keine Sanktionen verhängen. Außer in Haushaltsfragen sind Resolutionen der Vollversammlung völkerrechtlich nicht bindend.
Die Sitzungsperiode der Vollversammlung beginnt jedes Jahr im September - und kurz danach steht der Höhepunkt an: die Generaldebatte. Eine Woche lang legen alle Staaten - oft vertreten durch ihre Staats- oder Regierungschefs - ihre Vorstellungen von der Lösung der wichtigsten Probleme der Welt dar.