Äußerung zu Beistandsklausel Wie Trump der NATO schaden könnte - und geschadet hat
Ex-US-Präsident Trump stellt die Beistandspflicht in der NATO infrage. Die ist zwar vertraglich festgeschrieben, aber sehr vage - sagen Expertinnen. Als US-Präsident könnte er das Bündnis schwächen. Das habe er auch schon früher getan.
Donald Trump hat Umfragen zufolge realistische Chancen, es erneut als Präsident ins Weiße Haus zu schaffen. Was das weltpolitisch bedeuten könnte, darauf gab Trump zuletzt einen Vorgeschmack, als er die Beistandsverpflichtung der NATO-Mitgliedstaaten an ihre Verteidigungsausgaben knüpfte.
NATO-Länder, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkämen, könnten nicht mehr damit rechnen, dass die USA ihnen im Angriffsfall zur Hilfe kämen, signalisierte er. Und: Er würde Russland dann sogar empfehlen, "zu tun, was auch immer zur Hölle sie tun wollen", so Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina.
Nun stellt sich die Frage: Könnte Trump im Falle einer weiteren Präsidentschaft die anderen NATO-Staaten nach einem möglichen russischen Angriff tatsächlich im Stich lassen?
USA müssen vertraglich keinen Beistand leisten
Die Sicherheitsexpertinnen Claudia Major und Stefanie Babst geben eine klare Antwort: "Ja, das kann er." Mit Blick auf die Passage des NATO-Vertrages; Artikel 5 erklärt Major - sie ist Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) - in dem Vertragswerk sei nicht ausdrücklich festgeschrieben, dass unter der Beistandspflicht auch militärischer Beistand verstanden wird. Die vage Formulierung des Artikels beinhalte alles "vom Mitleidstelegramm bis zur Panzerdivision". Eine Verpflichtung, militärisch zu intervenieren, gebe es darin nicht.
Tatsächlich besagt Artikel 5 des NATO-Vertrages lediglich, "dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere (Parteien) in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird". Beistand leisten die Mitgliedstaaten demnach "unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien" - einschließlich der Anwendung von Waffengewalt. Die Krux: Der Beistand muss demnach in einem Rahmen geleistet werden, der "für erforderlich erachtet wird, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten". Was konkret geleistet werden muss, das sei nicht genau definiert, bestätigt auch Babst.
Sie sagt: "Wir haben im Prinzip nur einen konkreten Präzedenzfall, an dem wir das ein bisschen festmachen können. Das war die Aktivierung von Artikel fünf nach den Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001." Die im Vertrag erwähnte Beistandspflicht könne in der Praxis ein Überflugrecht sein, führt Babst weiter aus. Es könnten aber genauso militärische Kräfte sein oder eben die Weitergabe von Geheimdienstinformationen.
Verständnis von militärischem Beistand etabliert
Rein vertraglich könne man Trump also nicht zum militärischen Beistand verpflichten, sagt Sicherheitsexpertin Major. Dennoch habe sich in den vergangenen Jahren das Verständnis etabliert, dass unter der Beistandspflicht militärischer Beistand verstanden werde.
"Wir können über die NATO reden als eine institutionell juristische Organisation. Das viel Wichtigere ist aber die politisch psychologische Dimension", sagt Major. Denn mit Aussagen wie dieser untergrabe Trump die Abschreckung der NATO und ihre Kraft als größte Verteidigungsorganisation. Denn die Stärke des Militärbündnisses sei das gegenseitige Vertrauen der 31 Mitgliedstaaten. Werde dieses Vertrauen erschüttert, schwäche das auch die abschreckende Wirkung.
Das reicht völlig, um die Abschreckungswirkung der NATO zu schwächen. Das hat Trump eigentlich schon getan.
Glaubwürdigkeit wichtigste Währung der NATO
Dies bestätigt auch Babst, die mehr als 20 Jahre selbst in verschiedenen Positionen innerhalb der NATO beschäftigt war. Sie erklärt im Gespräch mit tagesschau.de, die wichtigste politische Währung der NATO sei ihre Glaubwürdigkeit. Wenn Trump also daran Zweifel säe und andeute, dass die USA nicht bereit seien, im Ernstfall ihrer Beistandsverpflichtung nachzukommen, dann beschädige er sowohl die politische als auch militärische Glaubwürdigkeit stark.
In der Praxis müsse diese Schwächung gar nicht unbedingt mit einem NATO-Austritt der USA einhergehen, erklärt Major. Das sei seit Dezember auch innerhalb der USA gar nicht so einfach - denn die Biden-Regierung habe sich mit einem Gesetz abgesichert. Demnach müsste Trump, sollte er erneut Präsident der USA werden, "den Senat und das Repräsentantenhaus 180 Tage vor einem geplanten Austritt informieren", so Major. Dann brauche er noch die Zustimmung beider Kongresskammern oder eine Zweidrittelmehrheit im Senat.
Trump kann die NATO auch ohne Austritt schwächen
Allerdings könnte Trump die NATO auch "fundamental schwächen", ohne dass er den Kongress um einen Austritt bemühen muss, erklärt Major. Dafür gibt die Sicherheitsexpertin gleich mehrere Beispiele: So könnte Trump etwa "keinen NATO-Botschafter benennen". Das - ergänzt Babst - habe Trump bereits in seiner ersten Amtszeit getan, indem er den Sitz des US-Botschafters in der NATO über Monate vakant hielt. Damit habe er dafür gesorgt, dass die US-Delegation - in dem Fall ein Statthalter der ehemaligen Administration - keine Weisung aus Washington hatte. "Und wenn ein Botschafter keine nationale Weisung im NATO-Rat vortragen kann, sitzt er dort zwar, aber er kann nicht wirklich ernsthaft etwas sagen."
Major ergänzt weitere Möglichkeiten, der NATO zu schaden: "Trump kann einfach die US-Soldaten aus den NATO-Verpflichtungen abmelden. Er kann über die NATO-Verpflichtungen hinaus auch die bilateralen Stationierungen beenden, etwa US-Truppen in den baltischen Staaten." In den USA habe der Präsident weitgehende Entscheidungskompetenzen. Auch Babst sieht das so:
Ob die USA weiterhin mit 100.000 Männern und Frauen in Europa bleiben wird, das kann die NATO als gesamtes Bündnis nicht entscheiden. Das ist eine souveräne nationale Entscheidung der USA.
NATO von USA abhängig
Mit solchen Entscheidungen könnte Trump die NATO laut Major und Babst politisch und konventionell schwächen. Denn de facto stellen die USA in vielen der konkreten NATO-Verteidigungsplänen zentrale Fähigkeiten bereit. Das reiche von Truppen über Logistik bis zu Nachrichtengewinnung und Aufklärung, damit das Bündnis überhaupt handeln kann, führt Major aus.
Wer hält in der NATO eigentlich politisch das Haus zusammen? Wer schafft geeinte Positionen? Diese politische Führungsrolle kann kein anderer Staat einfach ersetzen.
Außerdem nicht unwesentlich: Die USA sind laut Babst zusammen mit Deutschland die größten Einzahler in den zivilen und militärischen Haushalt der NATO - also in Töpfe, aus denen Angestellte, Meetings und auch Programme etwa zugunsten der Ukraine bezahlt werden, so die Expertin. Babst fordert deshalb, die NATO "Trump-proof" zu machen. Die NATO müsse "für den Fall der Fälle zumindest an die Punkte denken, an denen das Bündnis vulnerabel ist", erklärt sie - etwa beim Thema NATO-Haushalt. Hier müsse das Bündnis schauen, wie die anderen Mitglieder gegebenenfalls etwas abfangen könnten, was bisher aus den USA komme.
Andere mögliche Probleme ergäben sich aus den US-amerikanischen Kernfähigkeiten, die für die NATO-Kommandostruktur unverzichtbar seien oder etwa der Ramstein-Gruppe, die die militärische Unterstützung für die Ukraine organisiere. Diese sei von den USA geführt - die NATO habe nur einen Beobachterstatus. Babst forderte im Gespräch mit tagesschau.de, die Gruppe solle von der NATO übernommen werden.
Mit Blick auf die von der SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, wieder angestoßene Debatte um einen von den USA unabhängigen atomaren Schutzschirm fügt Babst hinzu: "Meine Empfehlung ist: Wir brauchen innerhalb der NATO eine Debatte über eine Ausweitung und Modernisierung des nuklearen Arsenals unter Einbeziehung der Staaten, wie zum Beispiel Polen, die sich in Zukunft an der Teilhabe beteiligen oder gar eigene nukleare Fähigkeiten auf ihrem Territorium stationieren wollen."
Umdenken in der europäischen Verteidigungspolitik
Für die europäische Verteidigungspolitik muss die große Frage laut Major nun heißen: Wollen wir das eigentlich verteidigen können, was wir uns aufgebaut haben oder nicht? Diese Frage müsse man sich demnach aber auch stellen, sollte Joe Biden erneut zum US-Präsidenten gewählt werden. Aber: "Wenn Trump gewählt wird, wird das noch mal viel dringlicher", sagt Major. Im Prinzip laute die Frage nicht: "Was müssen wir zahlen, damit die USA bleiben?" Sondern: Was braucht es, um Europa allein verteidigen zu können?