Ein Jahr Lula im Amt Zurück auf der Weltbühne
Ein Jahr nach seinem Amtsantritt kann Brasiliens Präsident Lula national und international Erfolge verzeichnen. Doch seine Einschätzungen, etwa zum Ukraine-Krieg, stoßen die westlichen Partner des Öfteren vor den Kopf.
"O Brasil está de volta" - Brasilien ist zurück - wiederholte Staatspräsident Lula da Silva im abgelaufenen Jahr immer wieder: Zurück auf der Weltbühne und zurück im Kreis der geachteten liberalen Demokratien, nach den vier düsteren Jahren unter seinem Amtsvorgänger Jair Bolsonaro, den Beobachter im In- und Ausland als rechtsextrem und demokratiefeindlich einschätzen.
Seit Lulas Amtsantritt am 1. Januar 2023 sei Brasilien also wieder ein weltoffenes Land, in dem demokratische Institutionen geachtet und Bürgerrechte geschützt würden, sagt der 78-jährige Lula.
Rückkehr nach Gefängnis
Die Wertschätzung eines demokratischen Rechtsstaats ist ihm quasi in die Biographie eingeschrieben: Während Brasiliens Militärdiktatur stieg der Metallfacharbeiter zum Gewerkschaftsführer auf und wurde Mitbegründer der Arbeiterpartei, als deren Kandidat er schließlich 2002 erstmals zum Staatspräsidenten gewählt wurde.
Nach dem Amtsende brachten ihn Korruptionsvorwürfe für fast zwei Jahre ins Gefängnis. Doch 2022 trat er - von allen juristischen Vorwürfen entlastet - erneut an und besiegte den Rechtspopulisten Bolsonaro, wenn auch äußerst knapp. Nicht nur Brasilien, auch Lula selbst ist wieder da.
Regenwaldabholzung wohl deutlich zurückgegangen
Und er hat bereits vieles erreicht: Die Abholzung des Amazonaswaldes ist in seinem ersten Amtsjahr nach Regierungsangaben um 22 Prozent zurückgegangen. Seine Umweltministerin Marina Silva räumte allerdings ein, dass die Abholzung teilweise nur weiter nach Süden verdrängt wurde.
Immerhin ist Umweltschutz nun eine Art Querschnittsthema für alle Ministerien, und allein das Finanzministerium hat nachhaltige Staatsanleihen im Wert von umgerechnet mehr als zwei Milliarden Euro aufgelegt, die in einen Klimafonds fließen sollen. Da hilft es, dass Brasiliens Wirtschaft seit Jahren mit stabilem Wachstum aufwartet.
Lulas Rohstoffpolitik allerdings steht in einem Spannungsverhältnis zu seiner Umweltpolitik: Brasilien produziert mehr als 3,7 Millionen Barrel Öl pro Tag. Es ist der neuntgrößte Produzent der Welt - und Lula will auf Rang vier aufsteigen.
"Das macht keinen Sinn", kritisiert die frühere Präsidentin der Umweltbehörde IBAMA, Suely Araújo, angesichts öffentlicher Ausschreibungen von Fördergebieten im Amazonasdelta, entlang der Atlantikküste und in anderen sensiblen Regionen.
Loyalität vor Diversitat
Auch Lulas Innenpolitik spiegelt komplexe Interessenlagen: So sind zwar mehr Frauen und Schwarze in der Regierung vertreten als in den letzten zehn Jahren. Aber mit Lulas Nominierungen für den Obersten Gerichtshof waren viele Aktivisten in sozialen Bewegungen nicht glücklich, da er zwei weiße Männer für die Posten nominierte.
Der eine war sein persönlicher Anwalt gewesen, der andere einer seiner früheren Minister, ein langjähriger Verbündeter. Nach seinen eigenen Erfahrungen mit dem korrupten Justizsystem, hätte Lula "absolut loyale Leute" in diesen Positionen haben wollen, meint der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro. Schon um sich vor möglichen Korruptionsprozessen oder anderen Auseinandersetzungen vor dem Obersten Gerichtshof abzusichern.
Putin, ein Freund aus der Vergangenheit
Auch Lulas Außenpolitik stieß manche politischen Freunde im Westen vor den Kopf: Der Krieg Israels gegen die Hamas sei "praktisch ein Völkermord" urteilte er und weigerte sich auch, die westliche Deutung von Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine zu übernehmen.
Politikwissenschaftler Santoro deutet dies als ein grundlegendes Missverständnis Lulas: In weiten Teilen sei die Weltsicht des 78-Jährigen "immer noch ähnlich wie vor 20 Jahren, als er zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde und Putin ein wichtiger Verbündeter Lulas war", zum Beispiel bei der Gründung der BRICS-Staatengemeinschaft.
So hat Lula den russischen Präsidenten zwar trotz des Krieges und des internationalen Haftbefehls zum G20-Treffen im kommenden Jahr in Rio eingeladen und zunächst getönt, er werde Putin nicht verhaften lassen, obwohl Brasilien Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ist.
Zuletzt aber ruderte er zurück und kündigte an, sich nicht in Justizangelegenheiten einzumischen. Lula und Brasilien sind zurück auf der Weltbühne, aber die Welt ist eine andere geworden.