Israel und die UN Beziehung am Tiefpunkt
Die Situation im Nahen Osten ist seit Jahrzehnten eines der größten Streitthemen bei den Vereinten Nationen. Das Verhältnis zwischen Israel und den UN gilt als schwierig - und hat nun einen Tiefpunkt erreicht.
"Von diesem Tag an werde ich Sie jedes Mal daran erinnern, wenn Sie mich ansehen, was es heißt, angesichts des Bösen zu schweigen" - als Israels UN-Botschafter Gilad Erdan das am Montag im UN-Sicherheitsrat sagte, heftete er sich einen gelben Davidstern an die Brust. "Nie wieder" stand in englischer Sprache darauf.
Erdan erklärte, sein ganzes Team trage das Holocaust-Symbol - so wie die Großeltern von Millionen Juden ihn getragen hätten. "Wir werden diesen Stern tragen, bis Sie die Gräueltaten der Hamas verurteilen und die unverzügliche Freilassung unserer Geiseln fordern", ergänzte er.
Keine geschlossene Verurteilung des Hamas-Terrors
Tatsächlich war es dem mächtigsten UN-Gremium abermals nicht gelungen, geschlossen die Bluttaten der Hamas zu verurteilen. Das hatte hingegen UN-Chef António Guterres Tage zuvor im Sicherheitsrat getan. Doch der Generalsekretär sprach auch von einer 56 Jahre währenden "erdrückenden Besatzung" der Palästinenser durch Israel: "Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden." Aufgebracht forderte Israels Botschafter den Rücktritt des obersten UN-Diplomaten.
Es ist der Tiefpunkt eines ohnehin schwierigen Verhältnisses zwischen Israel und den Vereinten Nationen, sagt auch UN-Beobachter Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group: "Fast seit der Gründung der UN in den 1940er-Jahren ist die Situation im Nahen Osten eines der heißesten Themen durch alle Gremien durch."
UN-Vollversammlung gilt als Geburtshelferin Israels
Israel fühlt sich von den UN unfair behandelt und moniert eine "automatische kritische Mehrheit" gegen sich. Tatsächlich verabschiedete die UN-Vollversammlung zwischen 2015 und dem vergangenen Jahr 140 Resolutionen, die sich kritisch mit Israel auseinandersetzten - etwa zum Siedlungsbau oder der Besetzung der Golanhöhen. Alle anderen Länder wurden in derselben Zeit gerade 68-mal mit Beschlüssen belegt.
Dabei gilt die UN-Vollversammlung auch als Geburtshelferin Israels. Hauptsächlich mit den Stimmen der westlichen Staaten, aber auch der Sowjetunion, hatte die Vollversammlung 1947 dafür gestimmt, Palästina aufzuteilen - in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Länder wie Ägypten, Libanon, Saudi Arabien und die Türkei stimmten dagegen.
Ein halbes Jahr später wurde der Staat Israel gegründet. In den muslimischen Staaten wuchs die Wut und bei den UN die Spannungen, sagt David Makovsky, Nahost-Experte vom Israel-freundlichen Thinktank Washington Institute: "Israel hatte immer das Gefühl, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Dass die arabischen Staaten aufgrund ihrer Zusammensetzung Israel schnell verurteilen würden, ohne die legitimen Sicherheitsbedenken Israels zu verstehen. Dadurch gibt es diese Spannung - manchmal sogar offene Feindseligkeit - zwischen Israel und den Vereinten Nationen." Israel habe das Gefühl, "dass es ein abgekartetes Spiel ist und dass es keine Chance hat", so Makovsky.
"Sie kooperieren unter dem Tisch"
Die Anti-Israel-Koalition wuchs ab 1967 - vor allem nach der Besetzung der Palästinensergebiete, Ost-Jerusalems, der Golanhöhen und der Sinai-Halbinsel. Im Rahmen der Friedensregelung mit Ägypten zog sich Israel später wieder zurück. Doch in der Weltgemeinschaft verhärteten sich die Fronten gegen das Land. Auch im globalen Süden und im Ostblock des Kalten Krieges, sagt Makovsky: "Da sind die beiden Vetomächte, die Sowjets und China. Und dann die Entwicklungsländer, die Israel als westliche Kolonialmacht betrachten."
Einen absoluten Tiefpunkt erreichten die Beziehungen 1975: Die Vollversammlung benannte den Zionismus als eine Form von Rassismus. Die Resolution wurde 1991 zwar wieder aufgehoben. In den Köpfen vieler Staaten existierte sie aber weiter.
Nahost-Experte Makovsky spricht von einer gespaltenen Realität der Vereinten Nationen. Selbst arabische Staaten wie Marokko oder Jordanien, die auch mit Israel kooperiert hätten, würden es auf dieser Bühne nicht offen zeigen: "Sie kooperieren unter dem Tisch, aber auf der Bühne spielen sie vor ihren Verbündeten Theater. Auch die Türkei gehört dazu." Es gebe eine lange Liste von Ländern, die gute Beziehungen zu Israel hätten, es aber nicht zugeben wollten, sagt Makovsky. "Öffentlich stimmen sie gegen Israel. Hundertprozentig. Keine Frage."
"Im mächtigsten Gremium ist Israel im Vorteil"
Es ist eine Haltung, auf die auch ein UN-Generalsekretär keinen Einfluss haben kann. Obgleich Guterres als Israel zugewandt gilt, wie UN-Experte Gowan sagt. Er denke, dass Israels Diplomaten ihre allgemeine Wut wegen der internationalen Kritik an ihrem Vorgehen am Generalsekretär auslassen.
Die UN spiegelten schlicht das Bild der Weltgemeinschaft wider: "Die Situation ist also die, dass die Palästinenser in vielen Teilen der UN politisch im Vorteil sind. Aber im mächtigsten Gremium, dem Sicherheitsrat, ist Israel entschieden im Vorteil", sagt Gowan. Denn dort ändert sich nichts daran: Die Schutzmacht USA wehrt mit ihrem Vetorecht jede unliebsame Resolution gegen Israel ab.
Doch auch Washington mahnt Israel stetig, trotz seines Anspruchs auf Selbstverteidigung das Kriegsvölkerrecht zu wahren. Dahinter steckt auch die Befürchtung: Noch mehr Bilder der Zerstörung aus dem Gazastreifen könnten die muslimische Welt noch stärker gegen Israel aufbringen - und der Konflikt sich ausweiten.