Haiti Kann ein Übergangsrat die Gewalt beenden?
In Haiti grassiert die Bandengewalt, in diesem Jahr wurden bereits mehr als 1.500 Menschen getötet. Nun könnte es einen Übergangsrat geben, der das Land bis zu den ersten Wahlen seit 2016 führen soll. Doch der Plan hat mächtige Gegner.
Jimmy Cherizier, alias "Barbecue", hat mal wieder ein Interview gegeben - diesmal einem Reporter des Senders Sky News, der sich im von Cherizier kontrollierten Viertel umschauen durfte. Der Bandenchef präsentiert sich erneut als Stimme des Volkes, gegen die korrupten Eliten, die Schuld seien an der Misere und der Gewalt.
Seit Monaten grassiert im Land die Bandengewalt. Nach einem Bericht des UN-Menschenrechtsbüros von vergangenem Donnerstag wurden in diesem Jahr bereits mehr als 1.500 Menschen getötet, mehr als 50.000 Menschen sind innerhalb der letzten Wochen aus Haitis Hauptstadt Port-au-Prince geflüchtet.
An ihm liege es nicht, behauptet Cherizier: "Wir sind für Dialog, es ist die politische Klasse, die dagegen ist. Wir sind offen für Lösungen, solange Haitianer am Tisch sitzen. Wir werden die Waffen niederlegen, sobald das nötig ist. Aber da sind wir noch lange nicht. Denn solange wir im Übergangsrat keine Repräsentanz haben, wird Haiti keinen Frieden finden."
Von Haiti und UN ausgehandelter Plan
Die Vereinten Nationen haben mit Haitis Politik einen Fahrplan ausgehandelt, den es nun umzusetzen gilt. Unter einem präsidialen Übergangsrat soll die Sicherheitslage soweit verbessert werden, dass sich Menschen wieder frei bewegen können, sich die verheerende Ernährungslage entspannt, die Schulen wieder öffnen und das Land endlich in freien Wahlen eine neue Regierung bestimmen kann.
Die von Kenia geführte Polizeimission soll die den Banden mittlerweile unterlegenen haitianischen Polizeikräfte unterstützen. Zudem wurden schon 2022 Sanktionen gegen Personen, Unternehmen oder Organisationen beschlossen, die den Frieden, die Sicherheit oder die Stabilität Haitis bedrohen, sowie ein Waffenembargo.
"Waffenembargo muss umgesetzt werden"
William O’Neill, Beauftragter des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen, drängte vergangene Woche erneut auf die Umsetzung der Maßnahmen: "Es ist für mich unglaublich, dass Waffen immer noch an die Gangs geliefert werden, hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten", sagte O'Neill.
Das Waffenembargo müsse von allen viel energischer durchgesetzt werden. Ohne Waffen und Munition verlören die Gangs auch ihre Macht, sagt O'Neill. "Die Sanktionen und das Waffenembargo sowie die Bildung des Übergangsrates sind absolut entscheidend. Dann können wir vielleicht das Momentum hier ändern."
Warnung an UN-Sicherheitsmission
Die ursprünglich mit etwa 1.000 Polizisten geplante UN-Sicherheitsmission muss laut O’Neill aufgrund der Stärke von Cheriziers Bandenkoalition auf etwa 5.000 Mann aufgestockt werden. O’Neill macht die Banden für die vielen Toten und Geflüchteten der letzten Wochen verantwortlich.
In Kenia, das die Polizisten stellen soll, war schon die ursprüngliche Zahl innenpolitisch hoch umstritten. Auch das hatte Cherizier sicherlich im Blick, als er dem Sky-News-Reporter die folgende Warnung zu Protokoll gab: "Wenn die Kenianer kommen, dann werden sie zunächst Massaker in den Armenvierteln verüben. Denn die Oligarchen und die korrupten Politiker werden ihnen sagen, dass sie dahin müssen, angeblich, um die Gangs auszuschalten. Aber das werden wir nicht zulassen."
Wenig Vertrauen
Zu der Frage, wie Haiti zu einer Normalität zurückkehren könnte, gibt es nach wie vor keinen Konsens. Der einflussreiche Politiker Guy Philippe, der 2004 den Putsch gegen Präsident Jean-Bertrand Aristide angeführt hatte, warnte am Montag alle seine Kollegen, sich am geplanten Übergangsrat zu beteiligen.
Dabei trifft er den Nerv von Menschen wie Claude, die der politischen Klasse im Land längst kein Vertrauen mehr schenken - und entsprechend auch nicht der internationalen Gemeinschaft. "Ich möchte der Politik sagen, dass das Land uns gehört. Keiner wird für uns entscheiden", sagt Claude. "Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen."
Doch bevor die Menschen in Haiti ihr Schicksal tatsächlich selbst in die Hand nehmen können, dürfte noch lange über sie entschieden werden - von der internationalen Gemeinschaft, in Verruf geratenen Politikern und Bandenchefs.