Südamerika Guyana träumt vom Öl - und fürchtet es
Ölfunde vor der Küste wecken im kleinen Guyana große Hoffnungen. Mancher sieht das Land schon so reich wie Katar. Umweltschützer warnen dagegen vor den ökologischen Folgen - und haben ein abschreckendes Beispiel vor Augen.
Es ist ein schwül-heißer Nachmittag unweit von Guyanas Hauptstadt Georgetown. Es ist, als sei die Luft eine schwere, heiße Suppe. Ein Tag also wie jeder andere. Ranil steuert sein kleines Fischerboot raus auf das offene Meer - endlich eine frische Brise für ihn und seine Crew - sein Bruder und ein Freund, keiner ist älter als 27. "Mutter Ozean, segne unsere Arbeit mit Fisch, spende uns Butterfisch, Forelle, segne uns mit Fisch." Mehr gesprochen als gesungen wiederholen die jungen Männer ihre Bitte um göttlichen Beistand, während sie das Netz auswerfen. Dann heißt es warten.
Ranils Blick richtet sich in die Weite. Irgendwo dort, zu weit draußen, um es mit eigenen Augen zu sehen, wird seit dem vergangenen Jahr Öl aus dem Boden geholt. Mehr als 200.000 Barrel am Tag. Seitdem dürfen sich die Fischer der Region nicht mehr nähern. Sie beteuern, so wie alle Fischer hier, dass es schwerer geworden sei, Fisch zu fangen. "Ich weiß nicht, ob es am Öl-Bohrungen liegt, aber früher brauchten wir nur drei Tage um dieses Boot voll zu bekommen. Jetzt sind es sechs Tage, sieben Tage."
So richtig können sie sich das alles noch nicht vorstellen. Ihr armes Guyana soll plötzlich steinreich geworden sein. Und gleichzeitig könnte ihre Zukunft als Fischer gefährdet sein. Ranils Blick wendet sich ab vom Horizont und heftet sich irgendwo auf die hellblauen Holzplanken seines Bootes. Wenn es zu einem Öl-Unfall kommt, das wäre undenkbar. "Wovon sollen wir dann leben?"
Ranil Datt (rechts) mit seinen Fischer-Kollegen.
Ein Sonderfall in Südamerika
Guyana ist ein von der Welt übersehenes Land. Bislang. Die ehemalige britische Kolonie ist ein Sonderling in Südamerika. Hier spricht man Englisch und fährt links. Die Bevölkerung besteht mehrheitlich aus Nachfahren indischer Diener und afrikanischer Sklaven. Jedenfalls nicht die typische Mischung von Indigenen und Menschen mit europäischen Wurzeln, wie sie sonst in Lateinamerika vorherrscht. Im besten Fall sind es 800.000 Bürger, die vor allem an der Küste leben. Ein winziger Staat mit großen Nachbarn. Im Westen Venezuela, im Süden Brasilien. Mit denen hat man wenig gemein.
Die seelische Verbindung richtet sich zu den karibischen Inseln. Guyana war arm. Seine Coca-Cola-farbenen Flüsse und Küsten locken keine Touristen an. Guyana ist allerdings reich an Regenwald. 85 Prozent des Landes sind dicht mit tropischen Bäumen bedeckt. Und so ist das kleine Land für die Welt von großer Bedeutung. Guyana ist ein CO2-Staubsauger, der die Umweltsünden der Industrienationen abmildert.
Gleichzeitig leidet Guyana so stark wie wenig andere Länder unter dem Klimawandel. Seine Küsten liegen unterhalb des Meeresspiegels und werden von Dämmen geschützt - Dämme, die schon jetzt überspült werden. Und für die kommenden Jahrzehnte sind die Prognosen unheilvoll, geht es mit der Erderwärmung so weiter.
Eine Entdeckung wie ein Jackpot
Guyana war arm. Doch dann gewinnt das Land quasi den Jackpot in der Lotterie, als feinstes Rohöl in seinem Meer gefunden wird. Seit einem Jahr bohrt der US-Öl-Gigant Exxon Mobil bereits, und das nächste Bohrschiff macht sich diesen Monat auf den Weg nach Guyana, um noch mehr Öl zu fördern. Das Potential sei enorm.
Schon bald könnten es eine Million Barrel am Tag sein, freut sich Vickram Bharrat. Der Minister für natürliche Ressourcen steht vor der Landkarte. Es gibt noch so viel zu entdecken. Es gibt vermutlich noch so viel mehr Öl. Guyana könnte eines der reichsten Länder der Welt werden, wie Katar. "Wir können unser Land umgestalten, wir können ein besseres Leben leben, von der Welt wahrgenommen werden. Wir können einen Lebensstandard erreichen, wie die großen Industrienationen."
Die Regierung will die Chance auf Wohlstand und Fortschritt trotz des Klimawandels nicht ungenutzt lassen. Welche Industrienation tue das, fragt der Minister. "Die Nachfrage für Öl wird nicht ewig so weitergehen. Noch 20, vielleicht 30 Jahre, dann ist Öl womöglich aus der Mode. Wir müssen sicher gehen, dass wir genug aus unseren Ressourcen herausholen in dieser kurzen Zeit. Es ist nur fair, dass wir unser Land entwickeln können, so wie das andere Länder der Welt auch getan haben. Unsere Leute haben auch das Recht, ein besseres Leben zu genießen."
Minister Bharrat will das Öl fördern lassen ...
Ölförderung - ausgerechnet um "fünf vor Zwölf"?
Die Ölförderung und die spätere Verbrennung als Benzin, damit werde Guyana nun erstmals auch ein Land, das zum Klimawandel beiträgt, ärgert sich Troy Thomas. Ausgerechnet jetzt, wo es ohnehin schon kurz vor Zwölf sei. Fortschritt, was heißt das denn heute? Die Welt weiter kaputtmachen? Was ist Wohlstand ohne eine lebenswerte Umwelt?
Der 40-jährige Mathematikprofessor hat die Regierung verklagt: "Unsere Verfassung sagt, dass wir als Bürger das Recht haben, in einer gesunden Umwelt zu leben. Eine, die unsere Gesundheit fördert. Unsere Verfassung sagt auch, dass unsere Regierung dafür zuständig ist, dass wir eine gesunde Umwelt haben. Mehr Treibhausgase in die Umwelt zu setzen, statt sie aus der Umwelt heraus zu holen, steht im Konflikt mit unserer Verfassung."
Auf den Weg Venezuelas?
Seine vier und sieben Jahre alten Söhne rennen fröhlich-laut durch das Büro ihres Vaters. Dass sie mal was vom Ölreichtum haben, glaubt er nicht. Es reiche ein Blick zum Nachbarn Venezuela. Vielmehr fürchtet er Klientelismus und die Bereicherung der jeweils herrschenden Eliten. "Diejenigen, die im Ölgeschäft involviert sind, die werden davon profitieren. Das Öl gehört aber den Menschen von Guyana. Nicht nur ein paar Geschäftsmännern und Politikern. Und wenn es nicht jeden von uns erreicht, dann sollte es kein Wirtschaftsprojekt von uns sein. Ich glaube nicht eine Sekunde, dass das Land reich wird. Es gibt Länder, die ölreich sind und dennoch arm."
Das Boot von Ranil schaukelt gleichmäßig vor der Küste. Ein paar Fische haben sich im Netz verfangen. Immerhin hat er die Kosten für die Fahrt rausgeholt. Die Fragen nach der Zukunft machen den jungen Kapitän unsicher. Dass das Land jetzt reich sein soll, so recht glaubt er das nicht. Greifbarer scheinen ihm erst mal die Fische, die er verkaufen kann.