Migranten in Mexiko Durch die löchrige Mauer in die USA
Die US-Migrationsreformpläne wecken viele Hoffnungen: Immer mehr Menschen kommen zum Grenzübergang im mexikanischen Tijuana - und müssen sich eingestehen, dass die USA sie nicht willkommen heißen.
Es ist früh am Morgen in den Hügeln von Tijuana. Die Wolken hängen tief, es nieselt. Die kalte, feuchte Luft durchdringt die Kleidung. Porfirio Hernandez nimmt einen Schluck Kaffee aus der dampfend heißen Tasse, beißt in seine Quesadilla. Keine zehn Meter hinter ihm ragt die große Grenzmauer in die Höhe, die Mexiko von den USA trennt.
Porfirio schreitet entlang der rostroten Mauer aus Metallpfeilern - der frühere US-Präsident Donald Trump hat sie bauen lassen, vorher stand hier nicht mehr als etwas Wellblech. Damals seien die Migranten oft an seinem Haus vorbeigekommen und hätten noch etwas Wasser und Snacks gekauft, bevor sie illegal die Grenze überquerten. Porfirio lacht, wenn er an den Ärger denkt, den er mit der US-Grenzpolizei deswegen hatte. "Es war ein kleines, schönes Geschäft für uns", sagt der 63-Jährige.
Die Lücke zieht Migranten an
Doch Trumps Mauer wurde nicht fertig: Vielleicht 50 Meter weiter klafft eine mächtige Lücke, die aussieht wie ein Zahn, der im Gebiss fehlt. Und diese Lücke zieht jeden Tag Menschen an, die aus ihrer Heimat in die USA flüchten. "Arme Teufel, sie müssen viel leiden", sagt Porfirio. "Sie müssen die Kälte aushalten, den Hunger und die Angst. Hier gibt es Schlangen und Skorpione und es ist gefährlich."
Porfirio zeigt auf die Büsche: "Hier verstecken sich oft Kriminelle, die die Migranten überfallen, weil sie denken, dass die etwas Geld dabei haben. Hier wurden auch schon Frauen vergewaltigt. Ich würde das nicht riskieren, was die machen."
Im Schutze des Nebels
Während Porfirio noch redet, taucht plötzlich am Hang gegenüber eine Gruppe von fünf Männern auf. Sie eilen so schnell es geht bis zur Mauer, pressen sich an sie heran und schleichen hinab, bis zur Lücke. "Bei dem Nebel werden sie von den Sicherheitskameras und Sensoren nicht gesehen", sagt Porfirio.
Die Männer laufen los, es braucht vielleicht drei Minuten, bis sie das Niemandsland überwunden haben. Auf US-Seite setzt sich ein Auto des Grenzschutzes in Bewegung. Sirenen klingen, vermutlich endete der "American Dream" schnell für die kleine Gruppe. Porfirio konnte es nicht sehen.
Ein Lager ist herangewachsen
Es sind viele, die schnell wieder in Tijuana landen. Am Grenzübergang Chaparral wächst gerade ein Lager heran, mehrere hundert Zelte stehen schon da und täglich werden es mehr. Mit der neuen US-Regierung und dem angekündigten Ende der harten Hand gegen Migranten sind viele Zentralamerikaner an die mexikanische Nordgrenze gezogen. "Wir haben gehört, dass Biden die Grenze für uns öffnen wird", berichtet Pedro aus Guatemala, und das sagen eigentlich alle hier.
Biden solle sich ein Herz fassen und ihnen eine Chance geben, sagt der 51-Jährige. "Wo kann ich meinen Asylantrag stellen?" fragt er, seine elf Monate alte Tochter im Arm. "Hier ist niemand, der uns sagt wie das geht. Wie werden wir gehört?" Sein Bruder sei in Guatemala von Kriminellen ermordet worden, es gäbe eine Drohung gegen seine Kinder, darum sei er geflohen.
In kleinen Zelten hausen die Migranten in Tijuana - die Lager wachsen schnell an.
Reformpläne lösen große Hoffnungen aus
Richtig ist, dass Trumps "Stay in Mexico"-Regel durch die neue Regierung aufgehoben wurde. Trump hatte Mexiko mit Strafzöllen gedroht, wenn sich der Nachbar nicht dazu bereit erklärte, die Migranten an seiner Südgrenze zu stoppen und alle Flüchtlinge an der Nordgrenze zu beherbergen, während die auf ihren Asylentscheid warten. Ende Januar konnten viele der Migranten, die in Lagern an der mexikanischen Grenze ausharrten, tatsächlich in die USA einreisen, um dort auf ihre Anhörung zu warten.
Richtig ist auch, dass die USA schnell mit der Menge an Asylanträgen und Menschen überfordert waren. Die Ankündigung von Migrationsreformen hat große, oft unrealistische und durchaus auch naive Hoffnungen geweckt und so eine Krise an der Grenze ausgelöst. Es solle niemand mehr kommen, heißt es von der US-Regierung, die von einem Andrang spricht wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Viele Migranten berichten, sie haben den illegalen Grenzübertritt gewagt, sich der Polizei gestellt - und seien doch auf der Stelle nach Mexiko zurückgebracht worden. "Die Lager sind voll", "Warum kämpfst du nicht in deinem Land für Verbesserungen?", "Wir können nichts für dich tun", "Versuch es in zwei Wochen nochmal" - so habe die Polizei mit ihnen geredet, ärgern sie sich.
Ausharren in kalten Nächten
Pedro hat sich mit einer Familie aus Honduras zusammengetan, sechs Erwachsene, neun Kinder. Sie sitzen auf dem Bürgersteig, sie haben nichts für die Nacht: kein Zelt, keine Decken. Es ist kühl, die Kinderkörper fangen an zu zittern, die Eltern haben Gänsehaut.
Das Begreifen der Realität hat bei den Menschen längst eingesetzt: Die Grenze wird sich nicht so einfach öffnen. Wenn es nicht auf die legale Weise geht, dann müsse es doch der illegale Grenzübertritt sein, sagt Pedro. Das sei vielleicht nicht richtig, aber: "Ich kann nicht mehr zurück, ich wäre ein toter Mann."
In den Bergen von Tijuana, direkt am Grenzzaun, hat sich eine Familie für den illegalen Schritt entscheiden. Die kleine Tochter hält die Hände beider Eltern, die durch das Geröll im Niemandsland hasten. Sie überqueren die Grenze schnell, eine Grenzpatrouille ist nicht zu sehen. Vermutlich seien sie voller Hoffnung und Angst, meint Porfirio - und vermutlich seien sie bald zurück in Mexiko.