Vor US-Wahl 2024 Das Alter ist nicht Bidens einziges Problem
Krisen, Kriege, Klimaschutz: Eigentlich macht US-Präsident Joe Biden keinen schlechten Job. Doch seine Umfragewerte sind mau - und dann ist da noch das Altersproblem.
Sie sind selten geworden für US-Präsident Joe Biden: Auftritte vor Anhängern, die ihm zujubeln. Im November hatte Biden einen solchen Auftritt. Er sprach vor Arbeitern einer Fabrik für Autoteile in Belvidere im Bundesstaat Illinois. "Mein Vater pflegte zu mir zu sagen: Joey, bei einem Job geht es um weit mehr als das Geld am Ende des Monats. Es geht um deine Würde, um Respekt, um deinen Platz in der Gesellschaft", erzählte Biden. Damit traf der Präsident den richtigen Ton. Das Publikum applaudierte begeistert.
Gute Wirtschaftsdaten, schlechte Umfragewerte
Tausende neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben - das gehört zu den Dingen, die Biden selbst ganz oben auf seiner Leistungsbilanz sieht. Tatsächlich hat er große Gesetzespakete zur Erneuerung der Infrastruktur und für mehr Klimaschutz auf den Weg gebracht. Die jüngsten Wirtschaftsdaten sind gut, die Arbeitslosenrate ist niedrig, die Inflationsrate geht zurück.
Doch Bidens Umfragewerte sind im Keller. Warum? Weil die Leute die Preise von heute mit den Preisen der Zeit vor der Corona-Pandemie verglichen, sagt der Wahlforscher David Schultz: "Für den Durchschnitts-Amerikaner, der in den Supermarkt geht und einen Liter Milch oder ein Dutzend Eier kauft, sind die Preise höher als vor sechs Monaten. Und erst recht höher als während der Amtszeit von Donald Trump. Das gleiche gilt für die Benzinpreise."
Höhere Lebenshaltungskosten würden stets dem amtierenden Präsidenten angelastet, sagt Schultz, der an der Hamline University im US-Bundesstaat Minnesota lehrt. Nach seinen Worten ist es besonders gefährlich für Biden, dass eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner in Umfragen sagt, das Land entwickle sich grundsätzlich in die falsche Richtung.
US-Präsident Biden bei einer Veranstaltung in einer Autoteile-Fabrik in Illinois im November.
Das Altersproblem
Dazu kommt ein Thema, das wie eine dunkle Wolke über Biden hängt: sein Alter. "Ich finde, er ist zu alt", sagt etwa ein 22-jähriger Passant, der 2020 für Biden gestimmt hat - vor allem, um Trump abzuwählen, wie er betont. "Biden hat seine guten Momente gehabt. Aber jetzt würde ich jemand jüngeren bevorzugen", so der Student.
Wahlforscher Schultz meint, Donald Trump sei zwar auch nur knapp vier Jahre jünger als Biden, doch Trump wirke deutlich agiler. Biden habe schon immer ein Problem mit dem Stottern gehabt und sei noch nie ein guter Redner gewesen. Inzwischen wirke er zudem häufig unkonzentriert: "Er strahlt nicht mehr die Art von Führungskraft aus, die viele von einem Präsidenten der Vereinigten Staaten erwarten. Die Leute haben einfach nicht das Gefühl, dass er die Dinge noch voll im Griff hat", so Schultz.
Viele Wählerinnen und Wähler hätten Biden schon vor vier Jahren als Übergangspräsidenten für nur eine Amtszeit gesehen. "Und jetzt kommen noch die Kriege in der Ukraine und zwischen Israel und der Hamas dazu. Das sind Herausforderungen, die Biden nicht direkt kontrollieren kann." Die Menschen seien nicht mehr wirklich überzeugt, dass er mit diesen Themen angemessen umgehe.
Biden könnte 2024 neu punkten
Die Politikwissenschaftlerin Julia Azari sieht Biden deutlich positiver. Sobald der Wahlkampf im kommenden Jahr Fahrt aufnehme, könne Biden neu punkten, meint Azari, die an der Marquette University im Bundesstaat Wisconsin unterrichtet: "Der Wahlkampf wird ihm als amtierendem Präsidenten eine Menge Möglichkeiten bieten, seine Leistungen herauszustellen. Und auch, sich mit Trump in einer Art und Weise zu vergleichen, die ihm schon 2020 Vorteile gebracht hat."
Darauf angesprochen, dass Trumps juristische Probleme, die vielen Gerichtsverfahren ihm in Umfragen sogar zu helfen scheinen, meint Azari: "Das mag für die republikanische Parteibasis gelten. Für die Öffentlichkeit insgesamt gilt es nicht."
Biden werde vor allem dann profitieren, wenn für die Demokraten vorteilhafte Themen wie das Grundrecht auf Abtreibung wieder nach vorn rücken: "Das Thema war bei den Kongress-Zwischenwahlen 2022 und bei Volksabstimmungen in mehreren Bundesstaaten so wichtig, wie es sich niemand vorab vorstellen konnte. Es gibt eine parteiübergreifende Mehrheit für ein bestimmtes Maß an Abtreibungsrechten“, meint die Politikwissenschaftlerin.
"Der beste Präsident meines Lebens"
Fragt man bei Passanten auf der Straße nach, gibt es auch unter Jungwählern Stimmen zugunsten Bidens. Etwa, weil sich Biden für schärfere Waffengesetze einsetzt. "Bisher ist er der beste Präsident in meinem Leben. Er kämpft für meine Generation", sagt ein Erstwähler, an dessen Schule es vor Jahren einen tödlichen Schusswaffenangriff gab.
Eine Studentin, die 2024 ebenfalls zum ersten Mal wählen darf, ergänzt: "Politik ist in Amerika zur Wahl des geringeren Übels geworden. Und das geringere Übel wird wohl Biden sein."
Biden selbst versucht, sich die Unzufriedenheit über schlechte Umfragewerte nicht anmerken zu lassen. Seinen Auftritt vor Arbeitern der Autoteilefabrik in Illinois schloss er mit einem Appell ab, mit dem er fast alle Reden beendet: dem Aufruf, das Land zu einen, statt es zu spalten, und an die Kraft der Vereinigten Staaten zu glauben: "Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt nichts, was wir nicht erreichen können", rief er in die Menge. Die Leute jubelten - jedenfalls für diesen Moment.