Von Importen abhängig Weizen wird in Tunesien zur Mangelware
Wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine geraten Weizenimporte vielerorts ins Stocken - so auch in Tunesien. Das Land deckt bis zu 70 Prozent seines Bedarfs aus Importen - und die Regierung kann kaum noch die Rechnung dafür zahlen.
In Tunesien ist Weizen zur Mangelware geworden - auch mehr als ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist das immer noch Alltag. Manche Supermärkte haben ihr Weizenregal gleich ganz abgeschafft - so gebe es auch keine unliebsamen Fotos von leeren Mehlregalen aus Tunesiens Hauptstadt Tunis.
Ein Kunde in einem Mittelklasse-Viertel zeigt sich resigniert: "Es gibt kein subventioniertes Öl, Brot ist mittelmäßig, Mehl finden wir nicht immer - wir versuchen, so gut wir können, damit umzugehen, aber sogar Grieß zum Brotbacken zu Hause gibt es keinen", erklärt der Rentner. Auf die Frage, ob er sich daran gewöhnt habe, antwortet der Kunde, dass man im schlimmsten Fall eben Nudeln esse.
Engpässe beträfen aber nicht nur Weizen, sagt eine andere Kundin in den Vierzigern. Sie freut sich, dass sie heute Kaffee im Supermarkt gefunden hat und kaufen konnte. Man versuche das zu nehmen, was man kriegen kann. "Ich suche zum Beispiel ein bestimmtes Brot - ich bin Diabetikerin - und finde es nicht. Heute war ich überrascht, es gab sogar Kaffee. Ich habe gefragt, wie viele Pakete ich mitnehmen darf. Mir wurde gesagt, so viele ich will. Das hat mich schockiert", sagt die Kundin.
Hohe Zölle für ausländische Marken
Der Grund: Zucker, Mehl, Reis und Öl sind oft nicht vorhanden, andere Grundnahrungsmittel pro Person und Einkauf rationiert. Grundnahrungsmittel sind in Tunesien staatlich stark subventioniert, Getreide wird zentral vom Staat importiert. Ausländische Marken werden als Luxusgüter eingestuft und sind durch hohe Zölle für viele Verbraucher in Tunesien schwer bezahlbar. Das Problem: Tunesiens Regierung kann nur noch schwer die Rechnung für die Importe bezahlen.
Das habe aber nicht nur etwas mit dem Krieg in Europa zu tun, sagt Thomas Claes von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis. Ihm zufolge deckt Tunesien 60 bis 70 Prozent seines Weizenbedarfs durch Importe. Bereits Ende 2021 sei die tunesische Regierung nicht mehr in der Lage gewesen, eingehende Weizenlieferungen zu bezahlen. Die sei auf steigende Weltmarktpreise, massive Verschuldung und die Corona-Pandemie zurückzuführen. Wichtige Einnahmen wie beispielsweise aus dem Tourismussektor seien ausgeblieben.
Seit ungefähr 40 Jahren habe Tunesien die Fläche für den Weizenanbau nicht an die Bevölkerungszahl und an das Bevölkerungswachstum angepasst. Dementsprechend sei im Land zu wenig Weizen produziert worden, erklärt Claes. Das Land habe das immer durch den Import von Weizen kompensiert. Hier spiele die Ukraine-Krise dann eine "gewisse Rolle, indem sie dazu geführt hat, dass die Preise nochmal angestiegen sind", sagt Claes.
Agrarsektor in Tunesien muss umgebaut werden
Auch da Tunesien auf Anraten der Weltbank zum Beispiel darauf gesetzt habe, Obst und Früchte für den europäischen oder internationalen Markt zu produzieren und "mit den Erlösen aus diesem Export dann auch natürlich den Import von neuem Weizen zu finanzieren". Das funktioniere allerdings nicht mehr gut, denn diese "handelsbasierte Ernährungssicherheit" habe sich für Tunesien als ein "großes Problem" herausgestellt, führt Claes aus.
Tunesien müsse seinen Agrarsektor umbauen und selbst mehr Grundnahrungsmittel produzieren, um sich vor Schwankungen auf dem Weltmarkt besser schützen zu können - und das effizienter als bisher. 80 Prozent seines Wassers beispielsweise nutze das kleine nordafrikanische Land allein für die Landwirtschaft. Durch die Direkthilfen von der EU und den USA käme es zu direkten Weizenlieferungen, die es so in Tunesien seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kaum mehr gegeben habe.
Claes von der Friedrich-Ebert-Stiftung beschreibt die Lage in Tunesien als "weiterhin schlecht" - auch wirtschaftspolitisch befinde sich das Land in einer "schwierigen Lage". Hinzu kommen der Klimawandel, Dürreperioden und Wassermangel.
Einen politischen Willen für nachhaltige Lösungen sieht Claes bislang kaum. Der starke Mann im Staat, Präsident Kais Said, zeigt angesichts der Wirtschaftslage im Land mit dem Finger auf andere, obwohl er seit 2021 mehr und mehr Macht an sich gerissen hat und immer autoritärer regiert. Schuldige findet er bei ehemaligen Regierungspolitikern, Islamisten im Land oder zuletzt bei Migranten und Geflüchteten. Tunesien steht auch ohne Weizen-Krise kurz vor dem wirtschaftlichen Bankrott.