Seenotrettung im Mittelmeer Schwere Vorwürfe gegen Libyens Küstenwache
Die Organisation SOS Humanity gibt an, 77 Menschen im Mittelmeer gerettet zu haben. Sie sei dabei aber behindert worden - von der libyschen Küstenwache, die ins Wasser geschossen habe. Mindestens ein Mensch sei ertrunken.
Die Besatzung des Rettungsschiffes "Humanity 1" hat eigenen Angaben zufolge am Samstag 77 Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet. "Derzeit befinden sich 77 Personen an Bord der 'Humanity 1' und werden von der Besatzung betreut, darunter auch Minderjährige. Viele Überlebende leiden an Unterkühlung", teilte SOS Humanity am Samstagabend in Berlin mit.
Die Organisation übte scharfe Kritik an der libyschen Küstenwache: Während des Einsatzes sei die Besatzung durch Schüsse bedroht worden. Die libysche Küstenwache habe Gewalt angewendet und mit scharfer Munition ins Wasser geschossen.
"Aggressives und lebensbedrohliches Verhalten"
Nachdem die Rettung der Menschen abgeschlossen war, wiesen die italienischen Behörden dem Schiff Porto Empedocle als sicheren Hafen zu. Kurz darauf sei aber der weiter entfernte Hafen von Bari als Ort für die Ausschiffung der Geretteten bestimmt worden, hieß es weiter.
"Als Einsatzleiter vor Ort war die 'Humanity 1' für die Durchführung des Rettungseinsatzes verantwortlich, welcher aufgrund des aggressiven und lebensbedrohlichen Verhaltens der sogenannten libyschen Küstenwache jedoch nicht abgeschlossen werden konnte", hieß es in der Mitteilung.
Das Eingreifen der Küstenwache habe dazu geführt, "dass Menschen ins Wasser sprangen und mindestens eine Person ertrank", hieß es weiter. Einige der Menschen seien an Bord des libyschen Patrouillenboots gezwungen worden, wodurch Familienmitglieder voneinander getrennt worden seien.
Dieses Verhalten sowie das "fehlende Eingreifen durch europäische Behörden" hätten zu Tod und "völkerrechtswidriger Rückführung" von Menschen in ein Land, aus dem sie flohen, geführt, teilte SOS Humanity mit. Die "Bedrohung von Besatzungsmitgliedern von Such- und Rettungsschiffen" und die Gefährdung des Lebens von schutzbedürftigen Menschen sei "eine grobe Verletzung des Völkerrechts".
Sprecher der Küstenwache reagierte laut Nachrichtenagentur nicht
Ein Sprecher der libyschen Küstenwache reagierte der Nachrichtenagentur AP zufolge nicht auf Anrufe und Textnachrichten mit der Bitte um einen Kommentar.
Seit 2015 unterstützt die Europäische Union die libysche Küstenwache im Rahmen ihrer Bemühungen, die Überfahrt von Migranten aus dem nordafrikanischen Land in Richtung italienische Küste einzudämmen. Im Rahmen dieser Vereinbarung fängt die Küstenwache Migranten in libyschen und internationalen Gewässern ab und bringt sie nach Libyen zurück.
Das Mittelmeer zählt zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. 2023 kamen laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 3.000 Menschen bei der Überfahrt ums Leben oder sie werden vermisst. Seit Beginn des Jahres 2024 sind es demnach 220.