In Niamey (Niger) demonstrieren Bürger am und auf dem Eingang zur Nationalversammlung.
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Putsch gegen die Regierung Wer verfolgt welche Interessen in Niger?

Stand: 04.08.2023 09:19 Uhr

Der Putsch in Niger berührt die Interessen vieler Akteure - im Inland, in den Nachbarstaaten, aber auch in Europa. Welche Ziele verfolgt Russland, was will Frankreich - und warum sind die Ereignisse für Deutschland so wichtig?

Das Militär

Das Militär in Niger hat seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 immer wieder brachial in die Politik eingegriffen. Insgesamt fünfmal putschte es gegen die jeweiligen Regierungen. Zuletzt stürzte die Armee Ende Juli den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum.

Doch auch ohne Putsch war der Einfluss der Armee auf die nigrische Politik erheblich. Dass zwei gewählte Präsidenten aus ihren Reihen kamen, ist nur ein Indiz dafür. General Abdourahamane Tiani, Machthaber seit der vergangenen Woche, war zuvor viele Jahre Chef der Präsidentengarde und soll in dieser Funktion mehrere Putschversuche vereitelt haben. Den friedlichen und demokratischen Machtwechsel von gewähltem Präsident zu gewähltem Präsident im Jahr 2021 - der erste dieser Art überhaupt in Niger - hatte er mitgetragen. Es soll jedoch Überlegungen Bazoums gegeben haben, ihn von seinem Posten zu entfernen.

Offiziell begründete Tiani die Revolte mit einer sich verschlechternden Sicherheitslage und "schlechter Regierungsführung". Der Hinweis auf die Sicherheitslage dürfte sich auf die Aktivitäten islamistischer Gruppen und Milizen in der Sahel-Zone insgesamt beziehen, die mit den Terrororganisationen "Islamischer Staat" und Al-Kaida in Verbindung stehen. Diese sind auch im Dreiländereck von Niger, Burkina Faso und Mali aktiv. Versuche, sie zurückzudrängen, waren bislang weitgehend erfolglos.

Der Präsident

Mohamed Bazoum befindet sich weiter in der Hauptstadt Niamey und steht dort in Kontakt auch mit Vertretern afrikanischer Staaten und weiteren Staaten außerhalb Afrikas. Wie seine Ausssichten sind, in das Amt zurückzukehren, ist ungewiss. Nach Angaben seiner "Nigrischen Partei für die Demokratie und den Sozialismus" vom Montag nahmen die Militärs nach dem Putsch mindestens 180 ihrer Mitglieder fest, darunter mehrere Minister.

In mehreren Städten kam es nach dem Putsch zu Demonstrationen für die Regierung, aber vor allem für die Putschisten. Wie in Mali war die Enttäuschung in der Bevölkerung über ausbleibende Erfolge im Kampf gegen den "Islamischen Staat" und andere Terrormilizen gewachsen - das wurde auch Bazoum angelastet, obwohl er erst relativ kurz im Amt war. Ähnlich skeptisch beurteilten viele Nigrer die Rolle ausländischer Truppen im Kampf gegen den Terror. Viele Bürger würden sich fragen, ob die ausländischen Streitkräfte effektiv seien - und ob man überhaupt noch ausländische Soldaten bräuchte, sagten Sicherheitsexperten der ARD schon im vergangenen Jahr.

Die Nachbarstaaten

Nigers Nachbarländer im Westen, Mali und Burkina Faso, stellten sich nach dem Umsturz an die Seite der Putschisten. Auch Guinea bekundete seine Unterstützung für die neuen Machthaber. Die Sympathie kommt nicht von ungefähr: Alle drei Staaten haben Militärregierungen, die erst in den Jahren ab 2021 an die Macht kamen. Sie alle stellten sich auch gegen Sanktionsdrohungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS - was auch nicht überraschend kommt, da ECOWAS ihre Mitgliedschaft nach den Putschen suspendiert hatte.

Mali und Burkina Faso hatten sich nach den Putschen vom Westen ab- und Russland zugewandt. In ihrer Solidarität zu den Militärs in Niamey gingen sie nun sehr weit. Sollte ECOWAS in Niger millitärisch eingreifen, komme das einer Kriegserklärung an Mali und Burkina Faso gleich, erklärten sie. Ob sie allerdings die militärischen Kapazitäten dafür haben, ist unter Beobachtern umstritten. Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali vertrat gegenüber der ARD die Ansicht, dass beide Länder "genügend Probleme" hätten, sodass er sich nicht vorstellen könne, "dass es da noch den Wunsch gibt - von irgendeiner Seite - Krieg zu führen".

ECOWAS und Afrikanische Union

Die Afrikanische Union verurteilte den Umsturz umgehend, setzte den Militärs eine Frist von 15 Tagen, in die Kasernen zurückzukehren. Man sei bereit, "alle notwendigen Maßnahmen, einschließlich Strafsanktionen" gegen die putschenden Militärs zu ergreifen".

Die 15 Länder umfassende westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS reagierte ebenfalls prompt und bestimmt auf den Coup. Sie verhängte Sanktionen gegen Niger und setzte der Übergangsmilitärregierung ein Ultimatum: Innerhalb einer Woche müsse Bazoum wieder Präsident des Landes sein, sonst behalte ECOWAS sich vor, militärisch zu intervenieren.

Ob ECOWAS so prinzipienfest bleibt, könnte sich schon am Wochenende zeigen, wenn das ECOWAS-Ultimatum an die Junta ausläuft. Eine kurz nach dem Umsturz gestartete Vermittlungsmission des Staatschefs von Benin, Patrice Talon, blieb bislang ohne sichtbaren Erfolg.

Die neuen Machthaber in Niger wissen aber auch: Der Staatenblock hat schon mehrmals in Mitgliedstaaten interveniert. Der militärische Arm der Organisation, ECOMOG, hat seit seiner Gründung 1990 in Konflikte in Liberia, Sierra Leone, Guinea Bissau und Cote d’Ivoire eingegriffen. Ob das zwangsläufig bedeutet, dass ECOWAS bei Nichterfüllung ihrer Forderungen eingreifen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Frankreich

Für die französische Regierung ist der Umsturz in Niger ein schwerer Schlag. Er stellt, wie ARD-Korrespondentin Julia Borutta berichtet, die Militärpräsenz Frankreichs in der Sahel-Region insgesamt in Frage. Nach dem Putsch in Mali sollte Niger nicht nur Drehscheibe für den Abtransport der westlichen Soldaten und ihres Materials aus Mali werden. Die Umstürze in den Nachbarstaaten machten Niger darüber hinaus zur geostrategischen Bastion des Westens in der Region.

Im Niger sind rund 1500 - 2000 Soldaten der Ex-Kolonialmacht Frankreich stationiert. Das bitterarme Land ist aber auch wirtschaftlich für Frankreich von enormer Bedeutung. 20 Prozent der französischen Uran-Importe kommen aus dem Sahelstaat - der zentrale Rohstoff für den Betrieb der französischen Atomkraftwerke. Der Vertrag sollte demnächst bis 2040 verlängert werden. Sollte dies nun in Frage stellen, würde es auch die Bemühungen Frankreichs untergraben, die Bedeutung russischen Urans für seine AKW zu reduzieren.

Möglicherweise sind die Einnahmen aus dem Uran-Vertrag aber auch ein Grund für die Putschisten, den Vertrag weiter zu erfüllen, was Frankreich weiter einen gewissen Einfluss in Niger verschaffen würde. Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna verurteilte zwar den Putsch, äußerte zugleich aber die Hoffnung, dass die Situation noch "nicht endgültig" sei. Präsident Emmanuel Macron machte deutlich, dass er Sanktionen gegen die Junta unterstütze, also auf wirtschaftlichen Druck setzt.

Deutschland

Niger ist für die Bundesrepublik gleich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. In der Nähe der Hauptstadt Niamey unterhält die Bundeswehr einen Stützpunkt, auf dem rund 100 deutsche Soldatinnen und Soldaten stationiert sind. Er ist Teil der Infrastruktur, über die die Soldaten im benachbarten Mali versorgt werden und sollte in diesem Jahr eine wichtige Rolle beim Rückzug aus Mali spielen, wo die Truppen der UN-Mission MINUSMA inzwischen unerwünscht sind. Was der Putsch hierfür bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Ebenso unklar ist die Zukunft des Ausbildungszentrums der Bundeswehr, wo nigrische Streitkräfte für den Kampf gegen islamistische Milizen geschult werden sollen.

Die Bundesregierung hatte auf Niger als eines der wenigen demokratisch regierten Länder in der Region große Hoffnungen gesetzt. Deswegen hatte die Bundesrepublik - und die Europäische Union - in den vergangenen Jahren viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit gesteckt. Verbunden damit war die Hoffnung, den Staat und das demokratische System gerade angesichts der Bedrohung durch islamistische Gruppen in der Region zu stabilisieren - auch aus einem durchaus eigennützigen Motiv. Denn Niger ist als Transitland ein wichtiger Partner bei der Eindämmung von Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung Europa Die EU kooperiert mit dem Niger bereits seit 2015, vor allem um die kritische Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren.

Russland

Ob Russland in den Putsch in Niger involviert ist, lässt sich vorerst nicht abschätzen. In einer ersten Reaktion hatte Außenminister Sergej Lawrow erklärt, es sei "nötig, die verfassungsmäßige Ordnung im Niger wiederherzustellen". Russland sei "der Auffassung, dass der Putsch verfassungswidrig ist und wir beziehen dazu immer eine prinzipienfeste und klare Position".

Allerdings ist es mit der klaren Position Russlands so eine Sache. Die russische Regierung versucht seit Jahren, ihren Einfluss in Afrika auszubauen und den des Westens zurückzudrängen. Dabei geht es Moskau nicht nur um strategische Interessen, sondern auch um wirtschaftliche. Es setzt dabei auch auf die berüchtigte Söldner-Gruppe Wagner. In Mali und Burkina Faso kämpft Wagner auf Einladung der Militärregierungen gegen islamistische Milizen - ein Umstand, der den Westen mit dazu veranlasste, seine Soldaten abzuziehen. Ein weiterer rohstoffreicher Staat an seiner Seite ist deshalb zweifellos im Interesse des Kreml.

Bei Protesten in Niger tauchten immer wieder russische Flaggen auf. Ob dies eine spontane oder gesteuerte Aktion war, ist unklar. Möglich ist auch, dass es sich um den Ausdruck einer generell anti-westlichen - und vor allem anti-französischen - Haltung handelte. Auch davon könnte Russland - wie in den Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso - profitieren.

China

China ist gemäß einer Erhebung der US-Regierung nach Frankreich der zweitgrößte ausländische Investor im Land - mit einem nur geringen Abstand. Alle anderen ausländischen Investoren folgen weit dahinter. In den vergangenen Jahrzehnten hat die chinesische Regierung fast drei Milliarden Dollar in Niger investiert - vor allem in die Ausbeutung von Ölvorkommen, die Ölverarbeitung und den Transport durch Pipelines. Daneben gilt das chinesische Interesse den Uranminen des Landes, hier gibt es Joint-Ventures, um im Landesinnern den begehrten Rohstoff abzubauen.

Es ist naheliegend, dass es China wichtig ist, dass sich der Putsch nicht negativ auf die chinesischen Interessen im Niger auswirkt. Allerdings haben auch die Regierungswechsel der vergangenen Jahrzehnte nichts an dem Engagement geändert oder dieses gefährdet. China beobachte die Entwicklung in Niger aufmerksam, hieß es nach dem Putsch aus dem chinesischen Außenministerium - und man fordere alle Parteien auf, für Stabilität zu sorgen.

Niger - eines der ärmsten Länder der Welt
In Niger leben etwa 26 Millionen Menschen, das Land gehört zu den ärmsten der Welt. Auf dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen belegte das Land in der Sahelzone zuletzt Platz 189 von 191. Mehr als 40 Prozent der Menschen leben in extremer Armut, das Land ist auf internationale Hilfen angewiesen. Nach Mali und Burkina Faso ist Niger der dritte Staat in der Sahelzone, der seit 2020 einen Putsch erlebt. Dabei galt das Land bislang als demokratischer Vorzeige-Staat: Die Amtseinführung von Präsident Bazoum im April 2021 markierte den ersten friedlichen demokratischen Machtwechsel im Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960. Außerhalb der großen Städte ist in Niger der Staat kaum präsent. Von einer Fläche, die dreieinhalbmal so groß wie Deutschland ist, sind zwei Drittel Wüste. Niger hat die höchste Geburtenrate und die jüngste Bevölkerung der Welt - Kinder unter zehn Jahren machen mehr als ein Drittel der Einwohner aus.

Mit Material von Dunja Sadaqi und Jean-Marie Magro, ARD-Studio Rabat, und Julia Borutta, ARD-Studio Paris

In einer früheren Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise, "auch ohne Putsch war der Einfluss der Armee auf die nigerianische Politik erheblich". Gemeint war die nigrische Politik, wir haben den Text entsprechend korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 04. August 2023 um 08:30 Uhr.