Anti-Terror-Partner Niger Die paradoxe Frage des Sicherheitsmanagements
Westliche Staaten verstärken ihre militärische Zusammenarbeit mit Niger. Frankreich sieht dort einen strategischen Ort für den Anti-Terror-Kampf im Sahel. Auch die Bundeswehr ist da. Aber der Wüstenstaat ist kein einfacher Partner.
Die Ex-Kolonialmacht Frankreich zieht sich aus dem Krisenstaat Mali militärisch zurück - wegen zweier Militärputsche, gebrochenen Wahlversprechungen der Junta und Deals mit russischen Söldnertruppen. Niger sei zurzeit die beste und auch einzige Möglichkeit für europäische Staaten im Antiterrorkampf im Sahel, sagt Ulf Laessing, Sahelexperte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako. Die Aussicht auf Erfolg hält er trotzdem für überschaubar, denn das Epizentrum des Problems bleibe Mali.
"Niger leidet an den gleichen Problemen wie Mali: eine stark wachsende Armut, sehr stark wachsende Bevölkerung, Klimawandel, schwache Staatlichkeit, Terrorismus", erklärt Laessing. Einige Regionen des Landes, an der Grenze zu Mali, seien praktisch außerhalb der Regierungskontrolle. "Aber es gibt halt noch eine Regierung, die einigermaßen demokratisch gewählt ist und die offener für eine Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten ist."
Mehr Sicherheit und bessere Armee
Dieses militärische Engagement wird in Niger unterschiedlich gesehen. Massaouda Jaharou aus Agadez ist 30 Jahre alt und arbeitet in einem Schönheitssalon. Sie verspricht sich viel von stärkeren Militärbündnissen. "Unser Land ist bedroht. Wir haben fast überall Probleme mit Instabilität. Ich denke, es ist deshalb nötig, dass diese Militärkräfte da sind. Das führt nicht nur zu mehr Sicherheit in bestimmten Orten, sondern das kann auch unsere Armee verbessern."
Das ist auch ein Ziel der Militärkooperation. Hier haben Frankreich, die USA und auch Deutschland bereits Militärstützpunkte. Die Bundeswehr bildet im Land Spezialkräfte aus und soll helfen, eine Militärschule aufzubauen.
Doch viele im Land beobachten diese ausländische Militärpräsenz mit Skepsis, obwohl beispielsweise Nigers Präsident Mohamed Bazoum über die Einsätze im Parlament abstimmen ließ.
"Ich weiß nicht, was die Truppen hier suchen"
"Ehrlich gesagt, macht uns das Sorgen", sagt der 38-jährige Lehrer Ismaiel Moussa aus Agadez. Trotz der internationalen Truppe werde man von Terroristen angegriffen. "Die ausländischen Truppen haben Technik und Drohnen, mit denen sie die Terroristen ausfindig machen können. Aber davon profitiert das Land nicht. Denn unsere nigrische Armee wird angegriffen, Zivilisten werden getötet. Das ist nicht akzeptabel. Ich weiß nicht, was die Truppen hier suchen. Vielleicht sind sie nur da, um uns unsere Ressourcen zu nehmen."
Damit spielt Moussa zum Beispiel auf Nigers Uranvorkommen an. Uran ist der Brennstoff, der in Kernreaktoren verwendet wird. Frankreich hatte fast 40 Jahre lang ein Monopol auf die Uranförderung in seiner ehemaligen Kolonie Niger. Vorwürfe gegen französische Firmen wegen radioaktiver Verseuchung haben zusätzlich die öffentliche Meinung gegen die Ex-Kolonialmacht beeinflusst.
Sahelzone: Hotspot von Terrorattacken
Aber nicht nur das. Die Sahelzone hat sich zu einem Hotspot von Terrorattacken entwickelt. Mehr als 40 Prozent aller weltweiten tödlichen Attacken des IS passieren hier. Im Grenzgebiet zwischen Mali, Niger und Burkina Faso operieren zahlreiche Terrorgruppen, die Zivilisten und Sicherheitskräfte regelmäßig angreifen und Hunderttausende Menschen aus der Region zur Flucht zwingen.
Die Krise in Mali begann im Januar 2012 mit einem Aufstand der nomadischen Tuareg. Die Rebellion löste einen Militärputsch aus und führte zu einer Schwächung des Staates. Mehrere islamistische Gruppen nutzten das Machtvakuum und eroberten im Frühjahr 2012 den Norden des Landes. Im Januar 2013 begann eine französische Militärintervention. Später kamen die Mission Minusma und die europäische Mission EUTM hinzu.
Die Lage in Mali ist komplex, teils verfahren und wird als "multidimensional" beschrieben: Die Zahl von Anschlägen und Angriffen ist kontinuierlich gestiegen. Mit Blick auf islamische Terrorgruppen und Flüchtlingsbewegungen geht es aber auch um sicherheitspolitische Interessen Europas. Im Tschad, im Niger und in anderen Sahel-Ländern sind etliche bewaffnete Gruppen aktiv. Einige haben dem Terrornetzwerk Al-Kaida oder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ihre Treue geschworen.
Der Terror breitet sich aus - auch in Niger, obwohl tausende internationale Soldaten bereits in der Region operieren. Zusätzlich verschärfen ethnische Konflikte und kriminelle Banden die Sicherheitslage. Das sorge bei der Bevölkerung für Fragen, sagt der nigrische Sicherheitsanalyst Mahaman Sanoussi aus Nigers Hauptstadt Niamey.
Die Frage des Sicherheitsmanagements in der Sahelzone, in Mali wie in Burkina, in Niger, erscheine paradox. "Denn je mehr ausländische Armeen in der Sahelzone operieren, desto mehr verschlechtert sich die Sicherheitslage." Man habe den Eindruck, dass sich Terrororganisationen an diese Militärbündnisse anpassen und über eine große Widerstandsfähigkeit verfügen. "Da fragen sich die Bürger: Wie kann es sein, dass es Männer auf Motorrädern gelingt, so schlagkräftig zu sein, obwohl die Zahl der ausländischen Streitkräfte weiter steigt?" Das führe dazu, dass sich die Bürger fragen, ob die Kräfte effektiv sind, so Sanoussi.
Keine Struktur um Entwicklungshilfe aufzufangen
Niger brauche nicht mehr Militär, meint auch Maikoul Zodi von der zivilgesellschaftlichen Organisation "Tournons La Page": "Wir brauchen keine ausländischen Truppen auf unserem Boden. Wir brauchen Kooperation, Logistik, Finanzhilfen, damit das Problem von unseren eigenen Soldaten gelöst werden kann."
Mehr sogenannte Entwicklungshilfezahlungen seien bereits geplant, sagt Sahelexperte Laessing. Auch das könne aber zum Problem werden. "Jeder ist derzeit in Niger und will seine Millionen loswerden für irgendwelche Hilfsprogramme und Partnerschaften. Jeder will irgendwas machen, aber es gibt gar nicht die Strukturen, um diese ganzen Programme aufzufangen." Und es werde wenig untereinander gesprochen zwischen den westlichen Staaten. So hätten die Italiener gerade "ein riesiges Militärcamp aufgemacht, wo sie wohl auch Spezialtruppen ausbilden - ähnlich wie die Bundeswehr."
Laessing sieht aber auch Erfolge. Es habe weniger Anschläge als in den Jahren davor gegeben. Das liege auch am politischen Willen von Nigers Regierung. Die Regierung plane zum Beispiel die Anzahl nigrischer Streitkräfte bis 2025 zu verdoppeln. "Aber wir müssen trotzdem realistisch bleiben und auch einen sehr, sehr langen Atem im Niger haben."
Alltag ist Überlebenskampf
Auch Niger kämpfe mit Vielfachkrisen, sei aber ein deutlich schwächerer Staat als Mali, so Laessing. Für viele Menschen ist der Alltag ein Überlebenskampf. Laut dem aktuellen Index der menschlichen Entwicklung der UN belegt Niger den letzten Rang der 189 gelisteten Staaten.
Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung rasant, Frauen bringen im Durchschnitt sieben Kinder zur Welt. Zwischen 2002 und 2020 hat sich die Einwohnerzahl von 12 Millionen auf 24 Millionen verdoppelt. Der Staat hat große Probleme, seine Bevölkerung ausreichend zu versorgen - mit Arbeit, medizinischer Versorgung und vor allem mit Lebensmitteln. Und das allein können Militärbündnisse nicht lösen.