Zerstörtes Fakultätsgebäude der Universität in Charkiw von außen.

Folgen des Ukraine-Kriegs Forschung zwischen Trümmern und Stromausfällen

Stand: 31.12.2022 16:59 Uhr

Zerstörte Gebäude, Stromausfälle und finanzielle Probleme: Der Krieg erschwert Forschung und Lehre in der Ukraine extrem. Viele Wissenschaftler fliehen daher ins Ausland - wollen aber zurückkehren.

Von Marc Dugge, HR

Die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine ist das wissenschaftliche Zentrum der Ukraine. Allein hier sind zehn große Forschungseinrichtungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften angesiedelt. Dazu kommen mehr als 50 Universitäten und Hochschulen.

Charkiw wurde in diesem Krieg über Monate immer wieder heftig beschossen. Dabei wurden auch Forschungsstätten beschädigt - so etwa das renommierte Institut für Physik und Technologie. In Sowjetzeiten wurde hier die erste sowjetische Atombombe mitentwickelt, heute wird dort mit amerikanischen Geldern die Forschungsarbeit subventioniert. Damit konnte das Institut etwa einen Teilchenbeschleuniger bauen. Dieser wurde durch wiederholten Raketenbeschuss im März und Juni komplett zerstört. Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde konnten trotz des "dramatischen Schadens" im November aber keine erhöhte Radioaktivität feststellen.

Glassplitter liegen auf Tischen in einem Raum der Universität in Charkiw.
Der Krieg und die Folgen für die Wissenschaften
In einer Mini-Serie wollen wir die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Wissenschaftslandschaft beleuchten. Im ersten Teil geht es um die Ukraine, wo viele Hochschulgebäude beschädigt sind, die Finanzierung unsicher ist und viele Studenten und Forscher vor Kämpfen fliehen. Im zweiten Teil blicken wir auf Deutschland, dem Hauptziel geflüchteter ukrainischer Akademiker, und die Frage, wie sie hier ins Forschungssystem integriert werden - und wie das auch einem späteren Wiederaufbau der Ukraine helfen kann. Und zum Schluss geht es um Russland, das unter den Sanktionen leidet, gleichzeitig aber die Repression verschärft.

Homeoffice oder Flucht

Les Belej ist ukrainischer Journalist und hat dazu recherchiert, wie der Wissenschaftsbetrieb in Mitleidenschaft gezogen wurde. "Das Institut für Physik und Technologie hat im Sommer noch lange versucht, den Forschungsbetrieb in den Gebäuden aufrechtzuerhalten. Heute sitzen viele Mitarbeitende im Homeoffice - so wie zu Coronazeiten", sagt er.

Viele Universitäten versuchen, die Schäden zu beheben und den Lehrbetrieb wieder aufzunehmen, etwa mit Onlinekursen. In Zeiten ständiger Stromausfälle ist das kein leichtes Unterfangen. Dazu kommt, dass viele ukrainische Studierende ins Ausland geflohen sind. Die meisten ausländischen Studierenden sind sowieso längst abgereist.

Erhebliche Schäden an Infrastruktur

Die Schäden an den wissenschaftlichen Einrichtungen sind oft erheblich. Das gilt auch für das Radioobservatorium in der Nähe von Charkiw, mit dem Wissenschaftler etwa die Strahlung von Planeten messen. "Es handelt sich um ein riesiges Areal mit etwa 1500 Antennen, die jeweils etwa acht Meter lang sind", sagt Belej. "Die Russen haben es als Artilleriestellung benutzt. Das Kontrollzentrum des Observatoriums ist nun zerstört."

In Kiew ist das "Institut für superharte Materialien" ansässig. Dreizehn Gebäude des Instituts wurden bei einem Angriff der russischen Armee teils schwer beschädigt. "Diese superharten Materialien sind sehr wichtig für die Militärindustrie", erklärt Belej. "Daher hat die Armee das Institut wohl absichtlich mit einer Rakete beschossen." Der wissenschaftliche Betrieb sei unter diesen Bedingungen nur schwer aufrechtzuerhalten.

Das gelte auch für das Institut für Geophysik, das Erdbeben in aller Welt beobachtet. Die Messstelle in Mykolajiw im Süden der Ukraine habe zuletzt nur noch die Explosionen der Artillerie registrieren können - nicht mehr die seismische Aktivität.

Schwierige Finanzlage

Laut dem Wissenschaftsmagazin "Science" leben und arbeiten gut 50.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterhin in der Ukraine. Sie leben und forschen auch unter finanziell schwierigen Bedingungen. Die ukrainische Regierung hat vielen Universitäten die Mittel gekürzt: Die Karasin-Universität von Charkiw etwa hat im laufenden Jahr 15 Prozent weniger Geld zur Verfügung. Die Universitäten sehen sich oft gezwungen, Verträge nicht zu verlängern.

Wer Glück hat, bekommt Fördergelder aus dem Ausland. In Europa und den USA gibt es zahlreiche Initiativen, um den Forscherinnen und Forschern in der Ukraine unter die Arme zu greifen. Dazu kommen Spenden: So hat etwa der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Serhij Schadan, gerade umgerechnet mehr als 12.000 Euro für die Bibliothek der Karasin-Universität gespendet.

Flucht ins Ausland

Rund 1300 Forschende sind ins Ausland geflohen. Da Männer im wehrfähigen Alter in der Regel das Land nicht verlassen können, handelt es sich meist um Frauen und Männer ab 60. "Ich habe etwa zehn verschiedene Einrichtungen besucht, zwischen zehn und 30 Prozent von ihren Wissenschaftlern sind im Ausland", sagt der Journalist Belej.

Viele von ihnen haben schon vor dem Krieg mit Forschungsstätten im Ausland zusammengearbeitet. Einige Wissenschaftler nutzten die Zeit etwa für einen Stipendienaufenthalt und planten, wieder zurückzugehen, so Belej. "Schwer zu sagen, ob sie das dann tatsächlich tun werden. Aber ein gewisser Anteil wird schon zurückkommen."