Assistierter Suizid Ärzte fordern verbindliche Regeln
Seit 2020 darf man sich in Deutschland bei einem Suizid helfen lassen - vorausgesetzt, die Entscheidung wird frei und autonom getroffen. Was das konkret heißt, ist gesetzlich jedoch nicht geregelt.
Jede und jeder hat hierzulande das Recht, selbstbestimmt zu sterben und dafür Hilfe zu holen. Vorausgesetzt, so das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil 2020, dass die Entscheidung autonom und freiverantwortlich zustande kommt. Dort heißt es: "Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen."
Seither entscheiden sich Jahr für Jahr mehr Menschen dafür, auf diese Weise ihr Leben zu beenden. 2023 waren es nach Angaben der Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben bereits über 400, die diesen Weg gegangen sind. Aber immer wieder werden Ärzte zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie Sterbewilligen beim Suizid geholfen haben. So wie jüngst in diesem Jahr in Berlin und Essen.
Recht auf assistierten Suizid für wen?
Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf einen Suizid nicht auf eine bestimmte Gruppe eingegrenzt. Beispielsweise auf Menschen, die unter extremen Schmerzen leiden oder an einer zum Tode führenden Krankheit leiden, so wie es in anderen Ländern ist.
Deshalb werden auch Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung nicht von vornherein von diesem Weg ausgeschlossen, sie sollen nicht ausgegrenzt werden. Aber das birgt Schwierigkeiten für die begleitenden Ärztinnen und Ärzte, für Angehörige und auch für die Gerichte.
Begründung für Sterbewunsch
Der Sterbewunsch soll nicht die Folge eines spontanen Affekts sein, sondern das Ergebnis einer rationalen, abwägenden Entscheidung, so das Bundesverfassungsgericht. Es gehe darum, den Wunsch nach einem Suizid zu respektieren, aber auch diejenigen zu schützen, die möglicherweise durch eine psychiatrische Krankheit oder psychische Ausnahmesituation nicht in der Lage sind, freiverantwortlich zu entscheiden.
Deshalb stellt sich verschärft die Frage: Wie können Menschen, die an einer psychiatrischen Erkrankung leiden, eine Entscheidung von solcher Tragweite freiverantwortlich treffen? Beispielsweise, wenn sie depressiv sind oder Schüben von Schizophrenie ausgesetzt sind?
Psychiater: Brauchen festgeschriebenes Prozedere
Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt, hält eine freiverantwortliche Entscheidung trotz psychiatrischer Erkrankung nicht generell für ausgeschlossen. Und Psychiaterinnen und Psychologen seien in der Lage das aufgrund ihrer Expertise zu beurteilen.
Allerdings wünscht er sich "ein festgeschriebenes Prozedere für Menschen, die Suizidassistenz in Anspruch nehmen wollen. Bei dem Prozedere erfolgt dann einerseits eine Beratung und andererseits eine Art Begutachtung der Freiverantwortlichkeit und zwar in strukturierter Weise". Und erst danach im nächsten Schritt die Zurverfügungstellung eines Medikaments.
Ganz entscheidend sei darüber hinaus auch, dass die sterbewilligen Menschen "vollumfänglich informiert" seien, so Pollmächer, und auch über "alternative Möglichkeiten" und "über die Risiken, die ein Vorgehen wie der assistierte Suizid hat", ausreichend informiert seien.
Hinzu komme, dass der Entschluss dauerhaft sein müsse und von einer gewissen inneren Festigkeit getragen sei. Konkret heißt das: Ein Pro und Contra im täglichen Wechsel sei ein starkes Indiz dafür, dass der Suizidwunsch diese Kriterien nicht erfülle und ihm dann auch nicht stattgegeben werden dürfe.
Vorschlag für gesetzliche Regelung
2023 hat der Bundestag über zwei unterschiedlich akzentuierte Gesetzesvorschläge zum assistierten Suizid beraten. Aber eine Einigung kam nicht zustande. Deshalb appelliert die Fachgesellschaft der Psychiater und Psychotherapeuten DGPPN an die Politik, dringend einen neuen Anlauf für eine gesetzliche Regelung zu nehmen.
Sie schlägt ein mehrschrittiges Verfahren vor, um den assistierten Suizid gesetzlich zu regeln: In einem ersten Schritt müsse aufgeklärt werden über Behandlungs-, Hilfs-, und Unterstützungsangebote. Danach sollte ein Psychiater oder eine Psychotherapeutin den suizidwilligen Menschen begutachten und sicherstellen, dass der Entschluss selbstbestimmt und autonom zustande gekommen ist.
Erst danach in einem dritten Schritt dürfte das tödliche Medikament verabreicht werden. Und, ganz wichtig: Alle Maßnahmen müssten dokumentiert und von unterschiedlichen Personen begleitet werden. Nur so sei sichergestellt, dass Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vor einem voreiligen Suizid geschützt werden könnten.
Ärztliche Aufgabe - ja oder nein?
Auf jeden Fall, so Psychiater Pollmächer, sei die Assistenz beim Suizid keine Aufgabe für Ärztinnen und Ärzte. So sieht es auch die Bundesärztekammer: "Danach ist die Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei der Selbsttötung einschließlich der Verschreibung von Betäubungsmitteln zur Verwirklichung des Suizidwunsches keine ärztliche Aufgabe."
Der Medizinethiker Georg Marckmann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München hält es dagegen nicht für nötig, ein Gesetz zum assistierten Suizid zu erlassen. Er betont, dass es schon jetzt, und das seit Jahren, Alltag für Medizinerinnen und Mediziner sei, mit Suizidwünschen von ihren Patienten konfrontiert zu sein. Und dass sie dabei immer die "Selbstbestimmungsfähigkeit" der Menschen im Blick haben müssten.
Er sagt: "Es gibt durchaus auch Menschen, die an einer chronischen, an einer unheilbaren Krankheit leiden und die dann entscheiden, dass auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet werden soll. Dass zum Beispiel die Beatmung abgestellt werden soll, dass auf die Dialyse verzichtet werden soll. Das sind grundsätzlich Entscheidungssituationen, die wir durchaus aus der Medizin auch kennen."
Insofern seien Medizinerinnen und Mediziner mit den Sterbewünschen von Menschen vertraut und in der Lage, angemessen zu entscheiden, welcher Weg der richtige sei. Anders als die Bundesärztekammer hält der Medizinethiker es für wichtig, auf diese ärztlichen Kompetenzen nicht zu verzichten.
Standardisierte Abläufe durch ärztliche Leitlinie
Ein Gesetz sei deshalb nicht nötig, um die Abläufe rund um einen assistierten Suizid zu regeln, denn die Ärztinnen und Ärzte hätten ausreichend Instrumente, um die verfassungsrechtlich geschützte Freiheit zum Suizid im Einzelfall angemessen zu beurteilen.
Aber es sei nötig, sich auf "entsprechende fachliche Standards" zu einigen, um festzustellen, "ob jemand freiverantwortlich entscheiden kann. Und das kann in keinem Gesetz drinstehen, sondern das ist etwas, was fachlich von Menschen, die in der Medizin kompetent sind" getragen und geleistet werden müsse.
Eine neue medizinische Leitlinie, die seit kurzem in Arbeit ist, soll diese fachlichen Standards entwickeln und festlegen. Damit die Ärzte, die mit Sterbewilligen konfrontiert sind, eine Orientierung haben, wie sie zu einer angemessenen Beurteilung kommen.
Auch Psychiater Pollmächer arbeitet an dieser Leitlinie mit. Für ihn ist das aber keine ausreichende Lösung für die ethische und rechtliche Grauzone beim assistierten Suizid. Denn Leitlinien seien Empfehlungen, keine verbindlichen Vorschriften. Er setzt darauf, dass die Politik sich doch noch auf eine gesetzliche Regelung einigen wird.