Sterbehilfe "Was, wenn ich das Leid nicht mehr aushalte?"
Der Bundestag hat die Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe abgelehnt. Für Sterbewillige bleibt die Situation daher unverändert. Wie gehen Betroffene damit um?
Harald Mayer sitzt in seinem Rollstuhl vor dem Fernseher. Immer wieder trinkt er Wasser aus einem Strohhalm. Seit acht Jahren kann er nur noch seinen Kopf bewegen. Damit er die aufrechte Position halten kann, ist der 52-Jährige am Rollstuhl festgeschnallt. Mit dem Kinn steuert er den Fernseher, auf dem am Vormittag die Debatte zur Sterbehilfe im Bundestag übertragen wird.
Interessiert verfolgt er die Redebeiträge der Abgeordneten. Das, worüber sie debattieren, hat mit ihm zu tun. Seinem Wunsch, sein Leben zu beenden.
Rechtslage bleibt bestehen: "Ich finde das gut"
Dass am Schluss keiner der beiden Gesetzesentwürfe eine Mehrheit bekommt, freut ihn: "Ich finde das gut," sagt er. Beide Entwürfe hätten ihn nicht überzeugt, erklärt er. Denn in beiden war vorgesehen, dass sich Sterbewillige einer Beratung unterziehen müssen. "Ich bin froh, dass ich das nicht machen muss."
Mayer hat schon lange für sich entschieden, dass er seinem Leben selbst ein Ende setzen möchte und dafür Hilfe in Anspruch nehmen will. Als das Bundesverfassungsgerichts 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung kippte, schöpfte er Hoffnung.
Im Urteil betonten die Richter die Freiheit des Einzelnen und damit verbunden das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, gegen die der Paragraf 217 letztendlich verstoße. "Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen”, hieß es in dem Urteil. "Das Urteil hat mich beflügelt," sagt Mayer. Er möchte allerdings ein bestimmtes Mittel einnehmen, um seinen Tod herbei zu führen: Natrium-Pentobarbital.
Kampf um Medikament für Suizid
Zusammen mit Rechtsanwalt Robert Roßbruch, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), kämpft er seit mehreren Jahren für die Herausgabe des Mittels - "und zwar bevor mich die Krankheit bei vollem Bewusstsein zu Tode foltert", so formuliert Mayer seinen Wunsch. Er will genau dieses Mittel haben, weil er es selbstständig zu sich nehmen kann. Zuhause, im Kreis von Menschen, die ihm wichtig sind.
Bis heute hat das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Antrag Mayers und mehr als 240 weiterer Antragsteller auf Ausgabe von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung abgelehnt, weil es gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoße. Mayer klagte inzwischen durch mehrere Instanzen gegen diese Entscheidung. Nun wartet er auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, das für Oktober erwartet wird.
Mit 27 Jahren bekam Mayer die Diagnose. Sein Leben hat sich massiv verändert.
Rund um die Uhr auf Pflege angewiesen
Mayer bekam mit 27 Jahren die Diagnose Multiple Sklerose - ein Schock für ihn. Bis dahin führte er ein ausgefülltes Leben. Er hatte eine Partnerin, arbeitete als Feuerwehrmann auf der US-Airbase in Ramstein. In seiner Freizeit spielte er Gitarre in verschiedenen Rockbands. Die Krankheit schritt zunehmend voran, Mayer war bald auf einen Rollstuhl angewiesen. Lange konnte er noch seinen Oberkörper, Hände und Arme bewegen und arrangierte sich mit seiner Krankheit: "Ich konnte mich auch noch selbst versorgen." Das geht seit vielen Jahre nicht mehr.
Durch seinen Alltag begleitet ihn ein Team von Assistenten, das er Tag und Nacht benötigt: "Für wirklich alles, wenn es mich am Kopf juckt oder wenn ich etwas essen will, muss ich jemanden rufen. Wenn ich nachts im Bett Schmerzen habe, muss mich jemand umdrehen. Das ist sehr, sehr beschwerlich."
Gefühle von Einsamkeit und Ohnmacht
Sein Zustand mache ihn einsam, sagt Mayer, und die Abhängigkeit von anderen Menschen lasse ihn verzweifeln. "Ich bin gefangen in meinem Körper," so drückt er seinen Zustand aus. Im Verlauf seiner jahrzehntelangen Krankengeschichte mit unzähligen Klinikaufenthalten und Reha-Maßnahmen habe sich in ihm der Wunsch nach einem "Notausgang" manifestiert: "Was mache ich, wenn ich die Schmerzen und das Leid nicht mehr aushalten kann? Was steht mir noch bevor?"
Seine größte Angst sei, aufgrund einer im Endstadium möglichen Lähmung der Atemwege zu ersticken. Künstlich ernährt werden, das wolle er nicht.
"Wir haben damit gerechnet"
Harald Mayers Rechtsanwalt Roland Roßbach ist nicht überrascht von der heutigen Entscheidung des Bundestages. "Wir haben damit gerechnet", erklärt er, "und wir sehen auch keinen Regelungsbedarf beim Thema Suizidhilfe." Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2020 biete ausreichende Rechtssicherheit. Er will sich weiter zusammen mit Mayer darauf konzentrieren, die Herausgabe des Mittels Natrium-Pentobarbital zu erreichen. "Wir hoffen auf die höchstrichterliche Entscheidung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig."
Gehen, wenn seine Schmerzen Überhand nehmen
Harald Mayer denkt viel darüber nach, wann er sein Leben beenden möchte, sagt er. Auf die Frage, ob er es im Moment noch für lebenswert halte, antwortet er schnell und spontan: "Ja!" Doch er fürchtet, dass sich das schnell ändern könnte.
Der Verlauf der Krankheit sei unberechenbar, schon jetzt funktioniere seine Blase nicht mehr, er fürchtet sich davor, dass weitere Organe versagen. Die Entscheidung, wann der richtige Zeitpunkt ist, zu gehen, sei schwer. Aber Harald Mayer will sie selbst treffen.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de
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