Stand der Forschung Gesünder und produktiver dank Viertagewoche?
Manche Länder haben sie bereits getestet oder sogar eingeführt - jetzt startet auch in Deutschland ein Pilotprojekt: 50 Unternehmen testen ab heute die Viertagewoche. Bisherige Studien klingen vielversprechend.
Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Das klingt für viele verlockend. Eine Umfrage im Auftrag des Dachverbands der Betriebskrankenkassen unter 3.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ergab im vergangenen Jahr, dass sich eine Mehrheit eine Abkehr vom Fulltime-Job wünscht. Sowohl bei den Jüngeren als auch bei den Beschäftigten ab 30 Jahren sprach sich jeweils eine knappe Mehrheit von rund 52 Prozent für eine Viertagewoche aus.
In einer Befragung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gaben sogar rund 81 Prozent der Teilnehmenden an, sich eine Viertagewoche zu wünschen. Knapp 73 Prozent erklärten, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen.
Zwei Modelle der Viertagewoche
Für die Viertagewoche gibt es zwei Modelle: Das eine ist die sogenannte komprimierte Viertagewoche, die etwa in Belgien bereits gesetzlich verankert ist. Dabei erledigt der Beschäftigte sein bisheriges Arbeitsvolumen an nur vier Tagen - bei einer 40-Stunden-Woche kann sich ein Arbeitstag so von acht auf zehn Stunden am Tag verlängern.
Im anderen Modell wird die Arbeitszeit nicht komprimiert, sondern reduziert - der Beschäftigte arbeitet also nicht mehr 40, sondern nur noch 32 Stunden pro Woche - und das meist bei gleicher Bezahlung. Mehrere Länder - etwa Großbritannien, Spanien und Island - haben diese Variante bereits getestet, die Studienlage ist entsprechend umfangreich.
Bessere Gesundheit und hohe Zufriedenheit
Es gebe sehr gute Erkenntnisse darüber, dass die Viertagewoche mit einer hohen Zufriedenheit, einer besseren Gesundheit und einer höheren Work-Life-Balance einhergehe, sagt Laura Venz im Gespräch mit tagesschau24. Sie ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Leuphana Universität in Lüneburg.
Laut Venz ist insbesondere die Zufriedenheit ein wichtiger Punkt. Je weniger man arbeite, desto mehr Zeit habe man für andere Dinge - den Haushalt, die Kinderbetreuung oder Hobbys. "Wir wollen eigentlich nicht unser gesamtes Leben der Arbeit opfern, sondern es soll auch noch etwas darüber hinaus geben."
Umstieg zunächst ungewohnt
Der Umstieg auf die Viertagewoche kann sowohl für Beschäftigte als auch für Unternehmen erst einmal ungewohnt sein. "Das ist tatsächlich etwas, das wir feststellen, dass die ersten vier Wochen der Umstellung auf die Viertagewoche mit einem erhöhten Stresslevel einhergehen, weil man eben nicht einfach exakt so weiterarbeiten kann wie vorher", sagt Venz - und fügt hinzu: "Man kann es schon, sollte es aber vielleicht nicht."
Zunächst gehe es darum, Dinge neu zu sortieren und neu zu ordnen - ein erheblicher Aufwand. "Aber wir sehen, dass sich das nach etwa vier Wochen sehr gut einpendelt und ein Gewöhnungseffekt kommt", so Venz. Dann seien die Beschäftigten wieder auf dem vorherigen Level und hätten das Gefühl, "endlich effizienter zu arbeiten und weniger Zeit zu vergeuden".
So war es etwa in Großbritannien: Dort testeten 2022 61 Unternehmen mit rund 2.900 Mitarbeitenden ein halbes Jahr lang die Viertagewoche - und waren offenbar überzeugt: 56 Firmen beschlossen anschließend, das Modell erst einmal beizubehalten. Die Mitarbeitenden waren der Studie zufolge ausgeglichener und gesünder, die Produktivität hat sich sich sogar erhöht.
Modellprojekt in Deutschland
Ein Modell auch für Deutschland? Dort nehmen jetzt 50 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen an einem umfassenden Pilotprojekt zur Einführung der Viertagewoche teil. Anschließend wird die Universität Münster das Projekt wissenschaftlich auswerten.
Wissenschaftlerin Venz weist darauf hin, dass sich die Viertagewoche in manchen Bereichen schwerer umsetzen lässt als in anderen. "Denken wir an die gewünschte Arbeitszeitverkürzung bei den Lokführern, die die GDL ja jetzt eingefordert hat. Natürlich kann ein Lokführer trotzdem nur einen Zug auf einer bestimmte Strecke fahren oder führen. Und dementsprechend ist es dort nicht möglich, die Produktivität [..] exakt aufrechtzuerhalten." Gleiches gelte für die Pflege: "Ich pflege ja nicht plötzlich schneller, das kann ja nicht funktionieren."
Plädoyer für Umstrukturierung
Venz plädiert für eine komplette Umstrukturierung von Betrieben. Unternehmen müssten sich genau überlegen, wer welche Aufgaben übernimmt und "im Idealfall" mehr Beschäftigte einstellen, was natürlich mit mehr Kosten verbunden sei.
"Ich verstehe komplett, dass da erst mal alle Alarmglocken angehen", sagt Venz, erinnert aber gleichzeitig an den Fachkräftemangel: "Wir haben einen Markt, in dem das Angebot an Arbeitsplätzen sehr groß ist, beispielsweise im Bereich der Pflege." Da könne eine Viertagewoche - bei allen Herausforderungen, die damit einhergingen - ein großer Hebel sein, um Arbeitgeber attraktiver zu machen.
Arbeitspsychologin Venz weist darauf hin, dass sich die Zeiten verändert haben: Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt erlaube es den Bewerberinnen und Bewerbern, Ansprüche zu stellen und sich den Arbeitgeber gezielt auszusuchen. "Und ja, warum sollte ich mich dann nicht für den entscheiden, der mir eine Viertagewoche anbietet?"