Archäologie Neandertaler erfanden Mehrkomponentenkleber
Neandertaler benutzten bereits vor mehr als 40.000 Jahren einen Klebstoff aus mehreren Komponenten. Forschende der Universität Tübingen machten den bisher frühesten Fund in Europa.
Seit den 1960-er Jahren lagert im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin eine Sammlung steinzeitlicher Funde aus der französischen Neandertalerfundstelle Le Moustier. Seitdem hatte niemand genau darauf geschaut.
Nun hat ein Team um den Archäologen Patrick Schmidt vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen die einzeln verpackten Fundstücke angesehen und an den Abschlägen, Schabern und Klingen organische Reste in Form von roten Spuren gefunden.
Diese organischen Reste und Ockerspuren wurden mit Hilfe von Computertomografie, Infrarotspektroskopie und anderen Techniken analysiert. Dabei haben die Forschenden herausgefunden, dass es sich um ein Gemisch von Ocker mit Bitumen handelt. Ocker ist ein gelblich gefärbtes natürliches Pigment, das überall auf der Welt vorkommt, wenn viel Eisen in der Erde enthalten ist. Das Eisen oxidiert und verleiht der Erde die so kennzeichnenden Rostfarben.
Bitumen ist ein Erdölderivat. Man findet es entweder in trockener Form oder zähflüssig in erdölreichen Regionen.
Mehrkomponentenkleber aus Bitumen und Ocker
Bei der näheren Analyse fand das Forschungsteam um Patrick Schmidt heraus, dass für den Kleber Bitumen mit ungefähr 55 Prozent Ocker gemischt wurde. Doch den Archäologen gelang es nicht, diesen Klebemix mit dem getrockneten Bitumen, das sie in der Nähe der Neandertaler-Fundstelle gesammelt hatten, und Ocker nachzubilden.
Das funktionierte erst, als sie auf zähflüssiges Bitumen setzten. Das flüssige Bitumen kommt als teerähnliches Erdöl in sogenannten Bitumenseen - oder besser Bitumentümpeln - an die Oberfläche. "Das zähflüssige Bitumen kann so mit Ocker gemischt werden, um an ein Steinwerkzeug eine Art Griff anzubringen“ so Schmidt.
Neandertaler mischten Bitumen mit Ocker, um den Klebstoff herzustellen.
Beleg für die Ingenieurskunst der Neandertaler
Bisher war bekannt, dass Neandertaler Birkenpech als Kleber genutzt haben, um solche Griffe an ihre Steinwerkzeuge anzubringen. Der Fund des ersten Mehrkomponentenklebers aus Bitumen und Ocker bedeutet nun, dass Neandertaler auch anderes Material nutzten, wenn kein Birkenpech vorhanden war. Nach Einschätzung des Archäologen Schmidt ist das "wie frühe Ingenieurskunst, die im Prinzip ja auch nichts anderes ist als das Beantworten eines Bedarfs damit, dass man ein Material herstellt."
Hoffnung auf weitere Entdeckungen aus der Zeit der Neandertaler
Das ist eines der ersten Male, dass so etwas in Europa entdeckt wurde. Deshalb sei der Fund so spektakulär, erklärt der Tübinger Archäologe im SWR. Und möglicherweise haben die Neandertaler noch andere Klebergemische genutzt.
Der Archäologe hofft auf weitere Entdeckungen: "Es ist durchaus vorstellbar, dass andere Klebstoffe benutzt wurden. Es gibt Hinweise darauf." Allerdings habe man nur sehr kleine Reste gefunden, sagt Schmidt. An einer Fundstelle der Neandertaler in Italien vermute man, dass eventuell Baumharz als Ersatzkleber genutzt wurde. "Die Quellenlage hier ist aber noch sehr, sehr schwierig, denn es sind sehr schlecht erhaltene Fundstücke."
Auch ob der Neandertaler seinen Kleber tatsächlich nur für die Steinwerkzeuge benutzt hat oder auch für andere Dinge wie zum Beispiel Behausungen, ist schwer zu sagen. Denn die Quellenlage ist extrem dünn - immerhin geht es um die Zeit zwischen vor 40.000 Jahren und 200.000 Jahren.
Für Schmidt ist sicher: "Wir befinden uns auf jeden Fall ganz in der finalen Phase der Präsenz der Neandertaler. In dieser ganzen Zeit kennen wir eine Handvoll Fundstellen, wo kleine Reste gefunden wurden. Man hat also ein ganz kleines Fenster auf die Vergangenheit, durch das man versuchen muss, die Menschen von damals zu verstehen."