Werkzeuge der Steinzeit Faustkeile im Raster-Elektronen-Mikroskop
Mit experimenteller Archäologie verschaffen sich Forschende in Mainz und Neuwied einen Einblick in das Leben unserer frühen Vorfahren. Dazu untersuchen sie Faustkeile aus der Steinzeit.
Wie lebten Menschen in der Steinzeit? Um das besser zu erkunden, haben Forschende am Leibniz-Institut für Archäologie (LEIZA) in Mainz und in Neuwied untersucht, wie Nachbildungen von Steinwerkzeugen auf verschiedene Belastungstests reagieren. Bei den Untersuchungsobjekten handelt es sich um Nachahmungen von 1,6 Millionen Jahre alten Faustkeilen, die im Hochland von Äthiopien gefunden wurden.
Nutzung von Steinwerkzeug läutete neue Ära ein
Vor mehr als zwei Millionen Jahren begannen Menschen, Steinwerkzeuge herzustellen. Für die Anthropologie markiert diese Fähigkeit den Beginn der Gattung "Homo", zu der auch wir Menschen, die Homo Sapiens, gehören.
Zu den bekanntesten Vertretern der Frühmenschen gehören der Homo erectus, der aufrechte Mensch, und der Homo habilis, der geschickte Mensch. Die Analyse von Gebrauchsspuren an ihren Steinwerkzeugen stellt eine der sehr wenigen Möglichkeiten dar, etwas über das Alltagsleben dieser Vorfahren aus längst vergangenen Zeiten in Erfahrung zu bringen.
Vor mehr als zwei Millionen Jahren begannen Menschen, Steinwerkzeuge herzustellen.
Belastungstests offenbaren Verwendung
Joao Marreiros erforscht am Leibniz-Zentrum für Archäologie in Neuwied originalgetreue Nachbildungen der Arbeitsgeräte. Er möchte wissenschaftlich exakt nachweisen, wofür die Frühmenschen die verschiedenen Werkzeuge benutzten. Dafür hat der Forscher zwei Steine in Roboter eingespannt. Durch Schläge und Ritzbewegungen soll der Roboter die Nachbildungen der Steinwerkzeuge an verschiedenen Materialen wie Holz und Knochen abnutzen.
"Wenn die Forschenden mit verschiedenen Materialien arbeiten, dann weisen die Schneiden der Werkzeuge charakteristische Beschädigungen auf", erklärt Marreiro. Diese Beschädigungen ließen sich an verschiedenen Mikroskopen exakt bestimmen. Ein Vergleich mit den Gebrauchsspuren der Original-Steinwerkzeuge ergebe Aufschluss darüber, für welche Arbeiten bestimmte Werkzeugformen und Gesteinsarten wahrscheinlich genutzt wurden.
Frühmenschen bearbeiteten Holz und Knochen
Die Forschenden wollen unter anderem herausfinden, wie gut sich Holz mit den Steinwerkzeugen bearbeiten lässt und welche Spuren die Arbeit am Werkzeug hinterlässt. Einer der beiden Roboter zieht daher eine Säge aus Feuerstein wieder und wieder über ein Holzbrett.
Joao Marreiros erforscht Nachbildungen der Steinwerkzeuge.
Unter dem Mikroskop zeigen sich typische Abnutzungsspuren in Form von muschelförmigen Absplitterungen. Sie sind charakteristisch dafür, wenn scharfe Feuersteinklingen zur Holzbearbeitung verwendet werden. Eine wichtige Anwendung für Steinzeitwerkzeuge war außerdem das Aufbrechen von Knochen. Knochenmark war eine begehrte Nahrungsquelle.
Ein Raster-Elektronen-Mikroskop liefert Aufnahmen der Abnutzung von Werkzeugen.
Die Forschenden wollen herausfinden, mit welchen Werkzeugen Steinzeitmenschen Knochen bearbeitet haben. Ein zweiter Roboter lässt dazu immer wieder einen Steinwürfel mit definierter Kraft auf den massiven Beinknochen eines Auerochsen fallen. Den Steinwürfel untersuchen die Forschenden später unter anderem in einem Raster-Elektronen-Mikroskop.
Der aus Portugal stammende Wissenschaftler will so charakteristische Strukturschäden bei verschiedenen Gesteinsarten in Abhängigkeit von ihrer Anwendung als Werkzeug ermitteln.
Gebrauch von Steinwerkzeugen kulturell bedingt
Sehr interessant sei laut Marreiros, "dass Gesteinsarten, die härter und haltbarer sind, nicht unbedingt am häufigsten von den Frühmenschen verwendet wurden". Die Forschenden vermuten daher, dass unter anderem der kulturelle Hintergrund oder die Überlieferung von Kenntnissen über die Materialauswahl bestimmte.
Noch heute gebe es Volksgruppen in Äthiopien, die mit Steinwerkzeugen arbeiteten, erklärt Marreiros. Sie stellen ebenfalls oft nicht die rationale Perspektive der Haltbarkeit des Gesteins in den Vordergrund, sondern bezögen sich bei der Auswahl auf die Tradition.
Neue Standards für die Analyse
Die Gebrauchsspurenanalyse gibt es in der Archäologie schon seit den 1980er-Jahren. Doch bisher habe es an einer Systematisierung der Analysetechniken gemangelt, erklärt Sabine Gaudzinski-Windheuser, Leiterin des Forschungsprojekts im SWR.
Jedes Labor hatte seinen eigenen Bezugsrahmen, sodass die Ergebnisse, die hier erzielt worden sind, von der Community oft nicht wirklich nachvollzogen werden konnten.
Sabine Gaudzinski-Windheuser leitet das Forschungsprojekt.
Am LEIZA sei man dabei, Standards zu erarbeiten, die diese Spurenanalyse tatsächlich zu einer wissenschaftlichen, archäologischen Subdisziplin machten. So werden die Roboter im Labor von Joao Marreiros noch lange damit beschäftigt sein, mit den unterschiedlichsten Steinwerkzeugen Objekte aus Holz, Knochen oder Stein zu bearbeiten, um das Verständnis für die Lebensumstände unserer fernen Vorfahren zu erweitern.
In einer früheren Version des Textes hieß es, dass Steinwerkzeuge mit einem Computertomographen untersucht wurden. Die Untersuchung fand aber mit einem Raster-Elektronen-Mikroskop statt. Wir haben den Text entsprechend verändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen