Hunderte Skelette gefunden Was die Karolingergräber erzählen
In Unterfranken liegen auf einem riesigen Gräberfeld etwa 1000 Skelette aus der Karolingerzeit, oft nur wenige Zentimeter unter der Erde. Archäologen und Ehrenamtliche legen sie nun frei - und entdecken Erstaunliches.
Es ist eine archäologische Sensation: In den vergangenen Wochen wurden nahe Duttenbrunn bei Würzburg 29 historische Gräber entdeckt und freigelegt. Zusätzlich gibt es etwa fünf weitere Verfärbungen im Boden, die sich als Grabgruben deuten lassen. Mehr als 1000 Jahre lagen Skelette wenige Zentimeter unter der Erde. Alles deutet auf die Karolingerzeit hin.
Mehr als 1000 Skelette
"Die Sensation ist, dass es nicht nur zehn Skelette sind, die wir hier gefunden haben", sagt Grabungsleiter Harald Rosmanitz. "Sondern, wenn man das auf die gesamte Fläche hochrechnet, sprechen wir hier von 1000 bis 1500 Bestatteten." Das mache den Fund so interessant, denn ein solches Dorf habe normalerweise keine 1500 Menschen innerhalb von zwei bis drei Generationen bestattet. "Daher wissen wir: Hier war etwas Wichtiges gewesen, das relativ abrupt geendet hat. Es gibt keine Schriftquellen dazu. Bei gut 1000 Bestatteten hätte man schon eine Urkunde verfassen können."
Meist sind die ehemaligen Orte der Karolinger heute überbaut. Hier nicht. Die Wüstung Seehausen liegt einen Kilometer außerhalb des Dorfes Duttenbrunn. "Das Besondere dabei ist, dass Karolingerzeitliche Gräberfelder hier in der Region bisher in dieser Dimension noch nicht aufgedeckt worden sind", sagt Archäologin Christine Reichert. "Wir haben Siedlungsbefunde aus der Karolingerzeit. Aber konkrete Skelette und Grablegen gab es bislang noch nicht."
Ehrenamtliche Grabungshelfer
Wer waren diese Menschen, deren Skelette hier gefunden werden? Wie sind sie gestorben? Das Besondere an dieser Grabung ist, dass sie weitgehend von Ehrenamtlichen durchgeführt wird, die hier - unter fachlicher Anleitung von Archäologen - ihre Vorfahren aus der Region freilegen. Manche Ehrenamtliche kommen für ein paar Stunden, manche verbringen ihren Jahresurlaub hier.
Astrid Winkelmann ist seit ein paar Tagen mit dabei. Während sie ein Skelett freilegt, wird sie ganz ernst: "Immer wieder denke ich mir: 'Mein Gott, du hast auch gelebt, geliebt, gelitten, du hattest mal einen Stoffwechsel. Das hat alles mal funktioniert. Du warst ja so wie ich.' Und da ist zu spüren: Wo kommen wir her?"
Wichtiges Herrschergeschlecht
Alles spricht dafür, dass es sich um eine ehemalige Siedlung aus der Karolingischen Zeit handelt. Das im Frankenreich ansässige Herrschergeschlecht der Karolinger prägte im Frühmittelalter weite Teile Europas. Unter König Karl dem Großen schufen sie ein Reich, das sich von der Elbe bis zum Atlantik und von der Ostsee bis nach Rom hin erstreckte. Die Karolinger waren so geschickt im Anlegen von Wegen und Orten, dass die meisten bis heute existieren.
"Impulsgeber für unsere heutige Zeit"
"Durch die Ausgrabungen kommen wir den Menschen ganz nah, die vor 1300 Jahren hier die Landschaft kultiviert und sehr dicht besiedelt haben", sagt Grabungsleiter Rosmanitz. "Die haben eine Landschaft geschaffen, wie wir sie heute noch vor uns haben. Sie sind die Urväter dieser Landschaft. Sie haben Strukturen geschaffen, die bis heute noch im Nachbardorf erhalten sind. Und es sind Leute, die schon alle Werte haben, die wir heute noch teilen. Die Karolinger werden immer als Impulsgeber gesehen für unsere heutige Zeit."
Baukunst, Schriftkultur, Schulwesen, Medizin, Stadtleben, Landwirtschaft bekommen eine neue Bedeutung. Mit den Karolingern beginnt ein kultureller Aufschwung. "Sie haben die Antike rezipiert. Sie haben auf der anderen Seite aber auch Innovationen eingeführt wie die Dreifelderwirtschaft", sagt Rosmanitz. "Sie haben eine Struktur geschaffen, auf der unsere heutige Gesellschaft basiert und zwar nicht nur die deutsche, sondern die gesamte europäische."
Kellerfundament freigelegt
In den letzten Tagen wurde auch eine rechteckige Steinstruktur gefunden und ausgegraben. Man hatte so etwas vermutet aufgrund der Ergebnisse der geophysikalischen Messungen im Vorfeld der Grabungen. Die Oberkante einer Gebäudeecke wurde aufgedeckt. Die Mauer ist bis zu 60 cm breit, in Mörtel verlegt und besteht aus Kalksteinen.
Die Archäologen vermuten, dass es sich um ein Kellerfundament handelt. Die Mauer wurde zu einem noch nicht datierbaren Zeitpunkt abgetragen und die Steine kippten in das Gebäudeinnere. Die Oberfläche dieses Mauerversturzes wurde jetzt freigelegt. Eine sichere Datierung der Mauer, wann sie gebaut und genutzt wurde, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich.
Die Funde beschränken sich auf Keramikscherben und Tierknochen von Schwein und Rind, teilweise mit Zerlegungsspuren. Das spricht für Schlachtabfälle und damit für eher wohlhabende Bewohner. Zumindest widersprechen die Funde aber bislang nicht einer Datierung in die Karolingerzeit.
Erste Skelette schon vor langer Zeit gefunden
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden nahe Duttenbrunn erstmals Skelette gefunden und auch in den letzten Jahren tauchten beim Pflügen immer wieder welche auf. Die Knochen liegen teilweise nur 30 cm unter der Erde. Dadurch können sie relativ einfach geborgen werden. "Allerdings ist die Bedrohungslage groß. Das heißt, die Funde kommen an die Oberfläche, weil sie hochgepflügt werden und deswegen können wir sie auch auflesen", erklärt Ralf Obst vom Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege. Darum sei es so dringlich, die Skelette jetzt zu retten.
Grabbeigaben gibt es hier nicht. Auch das ist ein Hinweis, dass es sich um Skelette aus der Karolinger-Zeit handelt. Denn die Karolinger waren Puristen. Sie ließen den Heiden- und Mischglauben der Merowingerzeit hinter sich. Karl der Große christianisierte sein Reich, regierte mit harter Hand und politischem Geschick.
Aussehen und Augenfarbe rekonstruieren
"Da findet ein Dialog mit der Vergangenheit statt", schwärmt die ehrenamtliche Ausgrabungshelferin Winkelmann. Die meisten Ehrenamtlichen kommen aus der unmittelbaren Umgebung. Nachfahren dieser Kultur. Archäologie ist immer auch eine Wissenschaft über die Gegenwart: warum sind wir heute so wie wir sind?
"Für uns ist es eine Sensation, weil wir den Karolingern ganz nahe kommen", sagt Grabungsleiter Rosmanitz. Durch DNA-Untersuchungen und andere anthropologische Identifikationsmöglichkeiten wie Strontium-Analysen könne man viel mehr über die Verstorbenen erfahren. "Wir können sagen, woher die Leute kamen. Wie haben sie sich ernährt? Lebten sie in Wohlstand? Wann sind sie gestorben? An was sind sie vielleicht gestorben? Man kann heute Schädel rekonstruieren und ihnen wieder ein Gesicht geben. Durch die DNA kann man sogar sagen, welche Augenfarbe sie gehabt haben und welche Nasengröße. Plötzlich stehen die einem gegenüber - und wir finden das Urmaterial dazu."
In Staatssammlung verwahrt
Nach der Dokumentation vor Ort - also Fotografie, Vermessung, Zeichnungen und 3D-Aufnahmen - werden die einzelnen Skelette entnommen und verpackt. Bevor sie dann endgültig in die Anthropologische Staatssammlung München gebracht und dort verwahrt werden, sollen sie anthropologisch gesichtet und von einem Genetiker beprobt werden, um eine DNA-Analyse durchzuführen.
In den letzten Tagen wurden die Arbeiten vor allem in den Besiedelungs-Bereichen mit Steinfundament fortgesetzt. Mittlerweile pilgern Bürgerinnen und Bürger und ganze Schulklassen zum Grabungsort. Bis Ende September wird hier ausgegraben. Die eine oder andere Sensation wird noch erwartet.