Entdeckung in Cheops-Pyramide "Neue Kammer ist eine Sensation"
Sie ist über zwei Meter hoch und neun Meter lang - in der ägyptischen Cheops-Pyramide ist eine bislang unbekannte Kammer entdeckt worden. Im Interview erklärt Forscher Große, wie er dabei vorgegangen ist, und welche Entdeckungen folgen könnten.
tagesschau.de: Herr Große, Sie sind gerade in Ägypten und haben dort mit vielen Forschern aus der ganzen Welt zusammengearbeitet - was genau haben Sie gefunden?
Christian Große: Wir haben eine bislang noch unbekannte Kammer gefunden, die erstaunlich große Abmessungen hat. Und diese Kammer ist neun Meter lang, etwa 2,10 Meter breit und 2,30 Meter hoch in Giebelform. Und das ist eine Sensation, weil diese Kammer nur ein paar Meter oberhalb des Eingangs liegt, den die Touristen normalerweise benutzen. Da sind also tatsächlich über die Jahre hinweg viele Tausend Touristen an dieser Kammer - die noch nicht entdeckt war - vorbeigegangen.
Christian Große hat an der Technischen Universität München die Professur für zerstörungsfreie Prüfung inne. Er forscht unter anderem zu Qualitätssicherung, Inspektion und Dauerüberwachung von Bauteilen, Anlagen und Bauwerken. Er ist zudem Mitglied im Kuratorium des Deutschen Museums in München.
Vieles noch unentdeckt
tagesschau.de: Nun sind diese Pyramiden ja etwa 4500 Jahre alt und eigentlich dachte man, man weiß alles darüber. Aber dem ist wohl nicht so?
Große: Von der großen Cheops-Pyramide sind nur etwa zehn Prozent bekannt. Es gibt drei bekannte Kammern: Das ist die Königskammer, die Königinnenkammer, die Felsenkammer und dann noch die Große Galerie. Die sind verbunden mit kleinen Gängen und das ist alles, was man kennt. Bei einer sehr großen Grundfläche ist das jetzt auch nicht erstaunlich, dass da vielleicht auch noch was anderes ist. Ich vermute tatsächlich, dass da noch viel unentdeckt ist. Die Größe der Gesteinsblöcke ist da nicht hilfreich, denn mit vielen Prüfverfahren kommt man da nicht gut durch.
tagesschau.de: Wie ist es gelungen, diese Kammer wirklich zu finden? Denn diese Pyramide ist ja Weltkulturerbe, da kann man nicht einfach Steine wegnehmen oder ein Loch reinbohren.
Große: Es waren viele Forschungsteams beteiligt unter der Leitung der Cairo University. Das begann mit einer Myonen-Tomographie. Das sind Partikel aus dem All, die man mit Sensoren auffangen kann. Es begann 2015: Damals hat man ganz grob mehrere Flächen identifiziert, wo man eine Anomalie vermutet hat.
Neben dem sogenannten Big Void oberhalb der Großen Galerie hat man gesagt, dass im Bereich des Eingangs, mit dem sogenannten North Face Corridor, auch eine Anomalie wäre. Unser Team ist dann 2019 zu diesem Team dazugestoßen und wir haben dann mit Ultraschall, mit Radar und schließlich auch zuletzt mit Endoskopie versucht, dort weitere Informationen zu gewinnen und sind dabei dann tatsächlich auf diese Kammer gestoßen.
Mit dem Endoskop durch Gesteinslücken
tagesschau.de: Und Sie mussten überhaupt nichts zerstören, weil es an den sehr großen Felsbrocken eine kleine Lücke gibt? Oder wie hat das funktioniert?
Große: Ja. Basierend auf unserer sehr exakten Vorhersage konnten wir feststellen, dass das eigentlich gar nicht so weit unter der Oberfläche ist. Hinter diesem "Chevron"-Bereich, im unteren Bereich, da gibt es eine Lücke, da sind Steine auch schon von Grabräubern ausgebrochen worden. Die sind aber nicht weiter vorgedrungen.
Und zwischen vier großen Gesteinsblöcken, die schräg angeordnet sind, sind wir dann mit dem Endoskop reingegangen. Wir haben dann auch ein bisschen Glück gehabt, dass wir diese Lücke gefunden haben, durch die unser Endoskop - das hat nur fünf Millimeter Durchmesser - gepasst hat. Und dann konnten wir plötzlich in die Kammer schauen.
tagesschau.de: Und was haben Sie jetzt in dieser Kammer entdeckt?
Große: Das ist ein Raum, der - für uns überraschend - sehr groß ist. Das hat eigentlich mit den bekannten Gängen in der Pyramide gar nicht so viel zu tun. Dieser Raum hat ein giebelförmiges Dach und ist mit 2,30 Meter erstaunlich hoch und auch 2,10 Meter breit.
Teil der Cheops-Pyramide in Ägypten. Vier schräg angeordnete Steine, auch "Chevron" genannt.
Funktion der Kammer unklar
tagesschau.de: Kann man schon sagen, wofür dieser Raum da war?
Große: Ich bin kein Ägyptologe, aber auch die Ägyptologen können da momentan nur Vermutungen anstellen. Das bedarf sicherlich weiterer Messungen. Wenn die Ägypter solche Räume gebaut haben in "Chevron"-Form, deutet es eigentlich immer darauf hin, dass dort etwas Besonderes ist. Das ist erst mal auch ein konstruktives Mittel um die Lasten abzufangen von dem oberen Bereich, um etwas darunter oder dahinter zu schützen. Mit anderen Worten: Jetzt beginnt erst die Suche, was unter oder hinter der Kammer ist.
"Erwarte weitere Entdeckungen"
tagesschau.de: Sie haben mit Ihrer Forschungsarbeit sozusagen den Grundstock dafür gelegt. War Ihre Arbeit notwendig, damit die Archäologen jetzt weiterarbeiten können?
Große: Das ist richtig. Aber für uns ist es auch sehr wichtig. Meine Disziplin ist ja die zerstörungsfreie Prüfung, also eben nicht in irgendeiner Form etwas aufbohren zu müssen oder Steine entfernen zu müssen. Wir hatten auch die ganze Zeit eine Aufsicht hier von den ägyptischen Autoritäten. Aber auch meine Kollegin, die Konservierungswissenschaftlerin Clarimma Sessa von der TU München, hat immer darauf geachtet, dass wir nichts kaputt machen.
Und das ist jetzt die Grundlage für weitere Untersuchungen. Wir haben gezeigt, dass unsere kombinierte Anwendung unterschiedlicher Prüfverfahren in der Lage ist, solche Hohlräume aufzuspüren. Und ich erwarte, dass wir in Zukunft da noch weitere Entdeckungen machen können.
"Und dann brach der Jubel aus"
tagesschau.de: Wie wird es da jetzt weitergehen mit der zerstörungsfreien Untersuchung?
Große: Wir wollen natürlich mehr Informationen über diese Kammer zusammenstellen. Wir haben noch nicht alle Daten ausgewertet, da wird es sicherlich auch in der nächsten Zeit einige Publikationen geben. Und dann sehen wir eine gute Chance von einer anderen Stelle, nämlich von der Großen Galerie aus, also von der anderen Seite der Kammer, auch Untersuchungen machen zu können, die erhellen, wie es dort weitergeht.
Eine Vermutung ist, dass diese Kammer vielleicht zusammenhängt mit dem Big Void oberhalb der Großen Galerie. Das wäre natürlich eine Sensation, wenn es ein komplettes Gangsystem gäbe.
tagesschau.de: Wie haben Ihre archäologischen Kollegen reagiert, als es die ersten Bilder von der Endoskop-Kamera gab?
Große: Wir haben erst mal alle die Luft angehalten und waren dann total baff. Und dann brach der Jubel aus, das war unbeschreiblich. Unsere ägyptischen Kollegen und unsere japanischen und französischen Kollegen waren dabei. Und natürlich hatten wir das immer geahnt. Aber das dann wirklich selber live zu sehen, das ist fantastisch.
Ein internationales Team war an der Entdeckung beteiligt.
Gute Teamarbeit
tagesschau.de: Bisher wurde ja nur spekuliert, dass es diesen Raum gibt. Was war das für ein Gefühl, als Sie gesagt haben: Jetzt haben wir es wirklich geschafft und wir haben es nachgewiesen?
Große: Es gab große Diskussionen im Vorfeld, ob mit unseren Methoden tatsächlich so etwas gefunden werden kann. Es ist natürlich ein bisschen Genugtuung dabei, dass wir gezeigt haben, dass das sehr gut funktioniert. Und wir haben - und das ist das Schöne - auch in einem richtig guten Team zusammengearbeitet.
Wir haben diese Messungen auch genutzt zur Ausbildung unserer ägyptischen Kollegen hier vor Ort. Das war ein sehr freundschaftliches Miteinander auf sehr hohem wissenschaftlichen Niveau. Und wir haben auch mit den Japanern, mit den Kanadiern und den Franzosen sehr effizient zusammengearbeitet. In meinem Team der TU München sind zum Beispiel auch eine russische und eine ukrainische Wissenschaftlerin, die sehr friedlich miteinander forschen. Das ist eigentlich das Schönste, wie ich finde, an meiner Wissenschaft.
tagesschau.de: Was bedeutet Ihnen ganz persönlich dieser Tag?
Große: Das ist natürlich ein Highlight. Viele Jahre harter Arbeit stecken da drin. Und natürlich auch viel, ich sage mal Know-How-Erweiterung, die wir gehabt haben. In Deutschland ist die Anzahl an Pyramiden ja doch relativ gering, da hat man nicht sehr viele Möglichkeiten zu trainieren. Und die Pyramide bietet viele Herausforderungen. Es war für mich sehr schön zu sehen, wie all die Arbeit und die ganzen Ausbildungsschritte, die wir gemacht haben, dann zusammenkamen.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.