Maurer zu Forschung auf der ISS Spenderorgane aus dem Weltall
Vor genau einem Jahr flog der Astronaut Maurer zur ISS. In den sechs Monaten im All führte er zahlreiche wissenschaftliche Experimente durch. Im Interview erzählt er von Krebsforschung im Weltall und warum ein Flug zum Mars so kompliziert ist.
tagesschau.de: Auf der ISS werden zahlreiche wissenschaftliche Experimente durchgeführt. Ein Gegenstand der Forschung sind aber auch die Astronauten selber, denn die Schwerelosigkeit kann schwere Folgen für den menschlichen Körper haben. Wie geht es Ihnen seit Ihrer Rückkehr vor rund sechs Monaten, wie haben sich Ihre Knochen, Muskeln, Organe und Gefäße verändert?
Matthias Maurer: Es gibt eine Hypothese, die besagt, dass ein Raumflug eine bis zu zwanzigfache Alterung der Blutgefäße bewirken kann. Da denkt man natürlich erst einmal: Oh, hoffentlich nicht bei mir. Und die ersten Ergebnisse haben gezeigt, dass ich hoffentlich ein Ausreißer bin bei dieser Hypothese oder vielleicht die Hypothese sogar widerlegen kann.
Denn die Ärzte haben gesagt: Deine Blutgefäße sind tipptopp in Ordnung. Sie erkennen keine Alterung. Das waren die Flugmediziner, die mich untersucht haben. Aber gleichzeitig ist natürlich dieser Datensatz Teil eines Gesamtpakets, und dieses Gesamtpaket wird momentan noch ausgewertet.
3D-Tumorzellen danke Schwerelosigkeit
tagesschau.de: Ihre Forschung auf der ISS soll den Menschen auf der Erde ja auch ganz konkreten medizinischen Nutzen bringen. Könnten Sie uns ein paar Beispiele nennen?
Maurer: Wir haben eine alternde Gesellschaft, viele Menschen sterben an Herz-Kreislauf- Erkrankungen oder an Krebserkrankungen. In beiden Bereichen forschen wir auf der ISS. Wir betreiben hier auf der Erde sehr viel Krebsforschung, um neue Medikamente zu finden, die dann Tumorzellen abtöten sollen. Diese Tumorzellen auf der Erde sind aber meistens in der Petrischale gequetscht. Sie sind nicht optimal 3D wie im menschlichen Körper.
Nun können wir einerseits hingehen und sagen, wir machen sehr viele Tierversuche, was ich aber total schlecht finde. Oder wir fliegen - was ich besser finde - diese Tumorzellen ins All. Dort wachsen sie perfekt dreidimensional aufgrund der Schwerelosigkeit und dann können wir dort Medikamente testen. Das ist gerade ein großer Ansatz, den die NASA verfolgt.
tagesschau.de: Wie könnten denn Menschen davon konkret profitieren?
Maurer: Ein Blick in die Zukunft: Viele Menschen, die eine kaputte Niere haben, sind darauf angewiesen, an der Maschine zu hängen, damit das Blut immer wieder gereinigt wird. Die einzige Lösung wäre, ein Spenderorgan zu finden. Aber es gibt nicht genügend Spenderorgane. Nun gibt es den Ansatz, Organe im Weltall zu züchten. Und wir haben sogar schon Herzmuskel oben gezüchtet, die anfingen zu schlagen. Das waren bisher ganz, ganz kleine Proben. Aber die Vision ist hier, dass wir langfristig vielleicht sogar wirklich Organe im Weltall züchten können.
Wasser - ein knappes Gut im All
tagesschau.de: Auf der ISS sammeln Sie auch Erfahrung für das Leben in autarken Systemen auf dem Mond oder dem Mars. Dabei wird immer wieder die Ressource Wasser genannt. Wie weit sind Sie da?
Maurer: Das Wasser, was wir auf der Raumstation verwenden, ist das gleiche Wasser, was Alexander Gerst schon bei seinen Missionen vor vier und vor acht Jahren verwendet hat. Es wird immer wieder recycelt und aufgearbeitet. Wir haben momentan nicht 100 Prozent Recyclingrate, sondern 91 Prozent. Das heißt, wir sind sehr, sehr gut, aber wir verlieren immer noch Wasser. Das ist natürlich nicht ausreichend, um eine Reise zum Mars anzutreten, wenn man neun Prozent Wasser verliert, das ist zu viel.
Und diese Technologie, die können wir natürlich dann auch direkt übertragen auf Anwendungen auf der Erde. Das Wasser, was wir oben hatten für die tägliche Hygiene, waren 200 Milliliter. Uns wurde gesagt: Das dürft ihr pro Dusche nicht überschreiten. Das wird dann abgerubbelt und ist wieder in einem Handtuch drin. Das Handtuch hängt man auf und über die Luftumwälzung, also über die Klimaanlage, wird das Wasser dann wieder aufgenommen.
Das gleiche passiert mit dem Schweiß, der wird auch wieder aufgenommen und sogar unser Urin geht durch die Anlage durch, wird gefiltert, gereinigt und wird dann auch wieder zu Trinkwasser aufbereitet.
Mars-Mission mit enormen Herausforderungen
tagesschau.de: Bei Reisen zum Mars wäre der Wasserverlust nicht das einzige Problem. Allein die Weltraumstrahlung wäre für die Astronauten viel zu hoch. Gibt es da inzwischen Lösungen?
Maurer: Es gibt verschiedene Möglichkeiten und das ist zum Teil natürlich noch Science Fiction. Eine wäre, das Raumschiff schneller zu fliegen, damit wir nicht sechs Monate Hinflug und dann sechs Monate Rückflug brauchen. Dafür bräuchte es einen schnelleren Antrieb. Nuklearantriebe sind hier im Forschungsstadium, die die Reise signifikant beschleunigen könnten.
Die zweite Möglichkeit ist: Wir könnten versuchen, das Raumschiff stärker abzuschirmen. Eine Bleiummantelung wäre gut, aber natürlich auch nicht ideal, weil Blei viel zu schwer ist. Aber man könnte auch sagen: Wir machen ein Magnetfeld um unser Raumschiff, so ähnlich wie auf der Erde. Und auch das ist noch ein bisschen Utopie.
Die dritte Möglichkeit könnte sein, die Astronauten besser vor der Strahlung zu schützen, indem wir sie zum Beispiel entweder mittels Medikamenten oder mittels Kühlung in eine Art Winterschlaf versetzen. Bei einer niedrigen Körpertemperatur sind die Strahlenschäden geringer. Und dann bräuchten wir auch nicht so viele Ressourcen: weniger Atemluft, weniger Trinkwasser und natürlich auch weniger Nahrung.
tagesschau.de: Wie wäre es um die Psyche der Astronauten bestellt? Sie selbst haben gerade sechs Monate Isolation auf der ISS hinter sich.
Maurer: Ja, ein Hauptproblem wäre natürlich auch die Psychologie. Man muss sich vorstellen: So ein Raumschiff, was Richtung Mars fliegt, ist deutlich kleiner als die ISS. Auf der ISS sind wir komplett beschäftigt, immer aktiv mit Forschung. Auf einer Reise zum Mars könnten wir nicht so viele Experimente mitnehmen, die wir während des Fluges machen. Den Platz hätte man ja gar nicht und das Gewicht können wir nicht mitnehmen. Das heißt, da wäre sehr viel Leerlauf für die Astronauten.
Und wenn man aus dem Fenster schaut, verliert man irgendwann auch den Blick zur Erde. Man sieht nur noch schwarz. Ich denke, das würde schon eine Belastung sein für die Astronauten - die Heimat aus dem Auge zu verlieren, draußen nur schwarz zu sehen. Deshalb müsste die Gruppendynamik und die psychologische Betreuung der Astronauten, auch die Auswahl der Astronauten, da noch mal deutlich intensiver sein.
ISS-Touristen hinterlassen "Schneise der Verwüstung"
tagesschau.de: Hatten Sie auf der ISS mal einen Moment, in dem Sie dachten: Gut, dass ich auf der Erde psychologische Handreichungen bekommen habe, von denen ich jetzt profitiere?
Maurer: Es gab in der Tat einen Tag, der mir nicht so gefallen hat. Als die Touristen - der US-Immobilieninvestor Larry Connor, der kanadische Geschäftsmann Mark Pathy, der israelische Unternehmer Eytan Stibbe und der frühere spanisch-amerikanische NASA-Astronaut Michael López-Alegría - oben ankamen und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen haben. Sie haben beim Durchschweben Sachen von den Wänden runter gestoßen, also nicht absichtlich, aber sie waren natürlich sehr unbeholfen am Anfang. Sie wollten viel machen, konnten das aber nicht, weil sie sich komplett übernommen hatten und dann auf unsere Hilfe angewiesen waren.
Gleichzeitig haben sie aber versucht, möglichst viel Außendarstellung zu machen, also Videoclips aufzuzeichnen, Liveübertragungen zu machen. Und sie haben sich dann einfach alles mögliche Equipment genommen, das eingestellt, wie sie dachten, wie es richtig ist und an Stellen hinterlassen, wo es nicht hingehört, in einem Zustand, der nicht vorgesehen ist. Und da hatte ich mal einen Tag, wo ich gesagt habe: Hört bitte endlich mal auf, meine Arbeit zu sabotieren. In dem Moment habe ich dann auch gedacht: Okay, gut, dass ich so ein bisschen psychologisch vorbereitet wurde.
tagesschau.de: Touristen sollen in Zukunft ja regelmäßig zur ISS fliegen. Was ist diesbezüglich Ihr Fazit?
Maurer: Also die Touristen, oder - korrekt müsste ich ja sagen - die Privatastronauten, so ist ja die offizielle Sprachregelung der NASA, sind schon ausgebildet. Aber natürlich in einer kurzen Schnellausbildung. Und sie haben alle ihre eigenen Ziele. Und mit einer Schnellausbildung ist natürlich nicht die gleiche Qualität erreichbar, wie das jetzt bei Profiastronauten der Fall ist. Und von daher mussten wir ihnen sehr viel zeigen, sie sehr stark unterstützen und unser eigenes Arbeitsprogramm wurde ausgebremst in diesen knapp zwei Wochen, die sie oben waren.
Langfristig wird die Firma Axiom, die die Touristen hochgebracht hat, eigene Module zur Raumstation bringen. Dann wird sich das Ganze wieder entspannen. Dann werden die Touristen oder die Privatastronauten in ihrem eigenen Teil der Raumstation arbeiten, forschen und dann auch dort ihre Toilette, sowie Schlafplätze haben und auch die Aussichtsplattform, wo sie runterschauen können zur Erde.
Das Interview führte Ute Spangenberger, SWR