Die "Eagle S" in der Ostsee vor dem finnischen Porvoo
faq

Schäden an Unterwasserkabeln Warum Russlands Schattenflotte verdächtigt wird

Stand: 30.12.2024 19:54 Uhr

In der Ostsee häufen sich Schäden an Unterwasserkabeln. Wie ist der Stand der Ermittungen im aktuellen Fall von "Estlink 2"? Warum steht der Verdacht der Sabotage im Raum? Und welche Rolle spielt Russland?

Das Stromkabel "Estlink 2" verläuft in der Ostsee zwischen Finnland und Estland. Am ersten Weihnachtstag war dort ein Schaden festgestellt worden. Ermittler fanden inzwischen eine Schleifspur am Meeresboden, die nach Angaben der finnischen Behörden "Dutzende Kilometer lang" ist. Sie vermuten, dass die Schäden durch den vom russischen St. Petersburg aus gestarteten Öltanker "Eagle S" verursacht wurden - etwa durch einen Anker, den das Schiff am Meeresboden hinter sich hergezogen hat.

Das Schiff hatte den Bereich, in dem das Stromkabel verläuft, zum Zeitpunkt der Störung passiert. Finnland hatte den Tanker daher gestoppt, in finnische Gewässer eskortiert und beschlagnahmt. Die Ermittlungen laufen unter dem Verdacht der "schweren Sabotage". Der Tanker liegt aktuell in Porvoo, rund 40 Kilometer östlich von Helsinki.

Die "Eagle S" gehört der in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässigen Firma Caravella, verwaltet wird es von einer Firma mit Sitz in Indien, es fährt unter der Flagge der Cookinseln. Die finnischen Ermittler vermuten, dass der verdächtige Tanker zur sogenannten russischen Schattenflotte gehört.

Die Karte zeigt das Unterseekabel EstLink 2

Was versteht man unter Schattenflotte?

Gemeint sind Tanker und andere Handelsschiffe, die Russland nutzt, um westliche Sanktionen zu umgehen, die nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine verhängt worden waren. Dem Kreml wird seit längerem vorgeworfen, beim Transport und der Verschleierung seiner Exporte auf Schiffe zu setzen, die undurchsichtige Eigentümerstrukturen aufweisen und oft die Flagge wechseln, unter der sie fahren.

Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen hat der Heimatstaat großen Einfluss auf die Schiffe: Auf See hat der Flaggenstaat die Hoheitsgewalt, seine Rechtsordnung gilt. Auch für die Kontrolle der Einhaltung von internationalen Standards ist zunächst in erster Linie der Flaggenstaat verantwortlich. Russland wird vorgeworfen, für seine Schattenflotte auf Länder zu setzen, deren Gesetze deutlich laxer sind als die westlicher Staaten.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt, Tanker von Schattenflotten seien oft veraltet, wiesen technische Mängel auf und seien dadurch ein Risiko für die Umwelt. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, Russlands Schattenflotte bedrohe die Umwelt und fülle Russlands Kriegskasse. Jetzt stünden diese Schiffe auch unter dem Verdacht, Sabotageakte durchzuführen. Die EU werde jetzt "stärkere Maßnahmen ergreifen, um den Risiken, die von diesen Schiffen ausgehen, entgegenzuwirken".

Der Einsatz einer Schattenflotte ist allerdings kein Novum, sondern schon lange durch andere vom Westen mit Sanktionen belegte Länder bekannt - darunter Venezuela oder Iran. Und die Ausflaggung von Handelsschiffen, um Kosten zu sparen und strengere Regeln zu umgehen, ist bei den meisten Reedereien gängige Praxis.

Was sind Unterwasserkabel?

Durch praktisch alle Meere verlaufen Kabel, die der Datenübertragung oder der Stromversorgung dienen. Sie werden von Spezialschiffen nicht auf, sondern unter dem Meeresbodens verlegt - wie tief, hängt von den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort ab.

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft liegen Unterwasserkabel weit draußen auf den Meeren etwa eineinhalb Meter tief im Meeresboden. Im Wattenmeer sind es demnach bis zu drei Meter, in Küstennähe, wo die Gezeiten und Brandung eine größere Rolle spielen, sogar bis zu fünf Meter. 

Unterwasserkabel zählen zur sogenannten Kritischen Infrastruktur - ähnlich wie Kraftwerke oder Verkehrswege. Damit ist gemeint, dass sie für das Funktionieren modernen Gesellschaften praktisch unverzichtbar sind und deshalb besonders geschützt werden müssen.

Gibt es häufiger Schäden an Unterwasserkabeln?

Unterwasserkabel sind dick ummantelt, um sie zu schützen. Dennoch kommt es immer wieder zu Schadensfällen. Dafür kann es verschiedene Ursachen geben: natürliche wie Seebeben, Stürme oder Korrosion - aber auch solche, bei denen menschliches Handeln eine Rolle spielt. Das Europaparlament stellte in einer Studie vom Sommer 2022 fest, dass mehr als die Hälfte der Ausfälle auf menschliche Fehler zurückzuführen seien. Mit 40 Prozent seien Schleppnetze von Fischern der größte Risikofaktor, Schiffsanker ein weiterer.

In der Ostsee häuften sich zuletzt Schäden an solchen Kabeln - und hier liegt der Verdacht nahe, dass sie nicht aus Versehen sondern absichtlich verursacht wurden. Erst im November etwa war das Datenkabel "Cinia C-Lion1" zwischen Deutschland und Finnland durchtrennt worden. Zudem gab es zeitgleich Schäden an einem Kabel zwischen Litauen und Schweden.

"Das können alles nicht einfach nur Zufälle sein", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock damals. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach von Sabotage. "Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind." Die schwedischen Behörden ermitteln im Zusammenhang mit diesem Vorfällen wegen möglicher Sabotage. Der Fokus der Ermittler liegt auf einem chinesischen Schiff "Yi Peng 3", das zum fraglichen Zeitpunkt die betroffenen Stellen der Kabel passiert haben soll.

Wie reagieren die Anrainerstaaten der Ostsee?

Außer Russland gehören alle Anrainerstaaten der Ostsee zur EU und zur NATO. Die baltischen und die nordischen Anrainer arbeiten nach Angaben von Litauens Regierungschef Gintautas Paluckas an einem Aktionsplan, um den Schutz der Energieinfrastruktur sicherzustellen. Estland startete einen Marine-Einsatz zum Schutz des parallel zu "Estlink 2" verlaufenden Kabels "Estlink 1". Das Militärbündnis NATO kündigte eine stärkere Präsenz in der Ostsee an.

Die russische Führung äußerte sich bislang nicht konkret zu den aktuellen Fällen. Die Angelegenheit falle wohl kaum in den Zuständigkeitsbereich des russischen Präsidialamts, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Christian Blenker, ARD Stockholm, tagesschau, 30.12.2024 20:12 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Dezember 2024 um 19:44 Uhr.