Sanktionen gegen Russland Schattenflotte unterläuft Öl-Embargo
Mehr als ein Dutzend Schiffe liefern russisches Rohöl trotz Verbots direkt in europäische Häfen. Das zeigt eine Recherche von Report Mainz. Umweltschützer warnen vor einem Ölunfall in der Ostsee.
Nina Noelle sitzt in einem orangefarbenen Schlauchboot, das in der Ostsee treibt, rund 20 Kilometer vor der Küste der Halbinsel Darß. In der Hand hält sie eine rund 50 Zentimeter große Boje, die mit einer kleinen Fahne und einem GPS-Peilsender ausgestattet ist. Langsam setzt sie die Boje in der Ostsee aus, es folgen weitere. Die Aktivistin der Umweltschutzorganisation Greenpeace will herausfinden, in welche Richtung sich ein potenzieller Ölteppich ausbreiten würde.
Laut Greenpeace steigt die Gefahr einer Ölkatastrophe in der Ostsee - vor allem wegen der steigenden Zahl an Tankern, die mit russischem Rohöl beladen durch die sogenannte Kadetrinne fahren. Diese Schifffahrtroute ist eng und vielbefahren, gilt daher als besonders gefährlich. Sie verläuft wenige Kilometer von der deutschen Küste entfernt, von der Halbinsel Darß im Osten bis nach Fehmarn im Westen.
"Wir sind heute hier, um mit diesen Sendern zu schauen, welche Folgen und Auswirkungen für das Ökosystem in der Ostsee ein Unfall hier in der Kadetrinne hätte", erklärt Noelle. "Also wo würde sich das Öl verteilen, an welchen Stränden würde es angeschwemmt werden. Und wie sehr belastet wäre das Naturschutzgebiet auch, in dem wir uns hier gerade befinden." Einige Tage später liegen die Ergebnisse vor. Demnach wären Küstenabschnitte von Fehmarn bis Eckernförde von einem Öl-Unfall in der Kadetrinne am stärksten betroffen.
Russland greift auf Schattenflotte zurück
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fahren vermehrt Tanker mit russischem Rohöl an Bord durch die Ostsee. Sie sind Teil der sogenannten Schattenflotte. Das sind Schiffe, die Russland beim Export von Rohöl helfen - teilweise illegal, indem sie EU-Sanktionen umgehen. Denn eigene Schiffe kann Russland nicht mehr so einfach einsetzen. Also nutzt man dubiose Tanker aus exotischen Ländern, deren Besitzer häufig im Verborgenen bleiben.
Auch dem Umweltminister von Schleswig-Holstein, Tobias Goldschmidt, bereiten die vielen Tanker in der Ostsee Sorgen. Aber als Landesminister könne er nicht viel gegen die gefährliche Flotte tun: "Letztlich ist das eine Aufgabe der Nationalstaaten, darauf Einfluss zu nehmen, was auf der Ostsee in den internationalen Gewässern stattfindet. Ich als Umweltminister bin vor allen Dingen dafür da, eventuelle Ölunfälle zu bekämpfen und Vorsorge zu treffen."
Immer mehr Öltanker in der Ostsee
Laut einer aktuellen Datenauswertung von Greenpeace passierten im vergangenen Jahr fast 1.000 Öltanker die Ostsee, so viele wie noch nie. Für ihre Auswertung hat die Umweltschutzorganisation eigenen Angaben zufolge Daten der britischen Lloyd’s List Intelligence genutzt. Das Unternehmen gilt als Spezialist für die Überwachung und Analyse des internationalen Schiffsverkehrs.
In den ersten sieben Monaten 2024 wurden laut den Daten 539 Tankschiffe erfasst, gegenüber 290 im selben Zeitraum 2021. Nachvollziehbar ist zudem, dass dort immer mehr alte Schiffe unterwegs sind.
Öltanker verstoßen gegen EU-Sanktionen
Ein Teil der Flotte verstößt gegen geltende EU-Sanktionen, wie Recherchen von Report Mainz zeigen. Manche Schiffe, die mutmaßlich russisches Rohöl geladen haben und von russischen Ostseehäfen aus gestartet sind, steuerten laut GPS-Daten direkt Häfen in der EU an, um das Rohöl dort abzupumpen.
Dass Tanker mit russischem Öl seit einigen Wochen direkt Häfen in der EU ansteuern, konnte Report Mainz mehrfach dokumentieren. Dies verstößt gegen geltende EU-Sanktionen: Seit März 2023 sind russische Rohöltransporte per Schiff in die EU verboten. An den Transporten beteiligt waren vor allem Schiffe von griechischen Reedereien, deren Schiffe zum Teil der Schattenflotte zugerechnet werden.
Report Mainz konnte zum Beispiel den Tanker "Calida" im Ölhafen von Augusta drehen. Er war am 23. August 2024 im russischen Ust-Luga in der Ostsee gestartet und kam in Augusta in Italien am 11. September 2024 an. Nach seinem Stopp in Augusta hatte er nach Satellitendaten 5,8 Meter weniger Tiefgang - ein Beleg dafür, dass er ganz oder teilweise leergepumpt wurde.
Europäische Häfen angefahren
Die Reporter konnten anhand von Satellitendaten seit Juli 2024 etwa 15 Tanker beobachten, die von den russischen Ostsee-Häfen in Primorsk, Ust Luga sowie dem Ölhafen Noworossijsk im Schwarzen Meer direkt europäische Häfen ansteuerten.
Anhand des Tiefgangs zeigte sich, dass die Schiffe in den russischen Ölhäfen vollgepumpt wurden und schwer beladen ablegten. Nach der Ankunft in den Zielhäfen verringerte sich der Tiefgang auch dieser Tanker um mehrere Meter. Die rund 250 Meter langen Schiffe können jeweils mehr als 150 Millionen Liter Rohöl transportieren.
EU-Kommission sieht Zuständigkeit bei Mitgliedsstaaten
Angesteuert wurden vor allem italienische Häfen wie Triest oder Augusta, vereinzelt auch Häfen in Kroatien, Frankreich oder Spanien, wie die Recherchen zeigten. Zu möglichen Sanktionsverstößen der beobachteten Reedereien beziehungsweise Tankschiffe wollte sich die EU-Kommission auf Anfrage nicht äußern, die Überwachung der EU-Sanktionen sei Aufgabe der Mitgliedsländer. Die zuständige italienische Zollbehörde ließ mehrere Anfragen zu den Schiffsbeobachtungen unbeantwortet.
Die griechische Reederei TMS Tankers Ltd., die mit ihren Schiffen bei mehreren Transporten von russischem Rohöl beteiligt war, ließ ebenfalls eine Anfrage zu möglichen Sanktionsverstößen unbeantwortet. Die Reederei war in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Transporten von russischem Öl kritisiert worden, unter anderem von ukrainischen Sanktionsexperten.
Bundesregierung will weitere Öltanker sanktionieren
Die EU-Staaten hatten Ende Juni in ihrem 14. Sanktionspaket gegen Russland erstmalig Sanktionen gegen einzelne Öltanker beschlossen. Auf Anfrage von Report Mainz heißt es aus dem Auswärtigen Amt, dass in Zukunft weitere Schiffe auf die Sanktionsliste gesetzt werden sollen. Dazu befinde man sich derzeit in enger Abstimmung mit den G7- und den EU-Partnern. Das Ministerium verfüge über Erkenntnisse zu möglichen Verstößen gegen Importrestriktionen bezüglich russischen Rohöls bzw. Rohölprodukte.