Eine Krankenschwester versorgt einen schwer an Corona erkrankten Patienten auf der Intensivstation des Klinikums in Fulda.

Coronavirus Warum erkranken Männer schwerer?

Stand: 21.08.2023 16:31 Uhr

Etwa drei Viertel aller Covid-Intensivpatienten sind Männer. Ihre Wahrscheinlichkeit an Covid zu versterben, lag deutlich höher als bei Frauen. Aber warum ist das so? Eine mögliche Antwort hat jetzt ein internationales Forschungsteam gefunden.

Von Daniela Remus, NDR

Alter, Übergewicht und männliches Geschlecht waren während der Coronapandemie schnell als Risikofaktoren für einen schweren oder tödlichen Verlauf erkannt worden. Die Ursachen für die beobachteten Geschlechtsunterschiede waren weitgehend unbekannt.

Einzelne Studien konnten aber zeigen, dass die Schwere der Erkrankung beim Mann mit einem "metabolischen Ungleichgewicht" zusammenhängt. Vor allem "niedrige Testosteron-Werte beim Mann korrelierten mit einem schweren Infektionsverlauf", erklärt Gülsah Gabriel, Virologin am Leibniz Institut für Virologie in Hamburg und der Stiftung Tierärztliche Hochschule in Hannover. Diese Männer wiesen einen ungewöhnlich niedrigen Spiegel des männlichen Geschlechtshormons Testosteron auf, hatten aber dafür viel weibliches Östrogen im Körper.

Probleme bei Testosteron-Stoffwechsel

Um die molekularen Ursachen dafür zu verstehen, untersuchte ein internationales und interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Gabriel die Gene von nahezu 3000 mit SARS-CoV-2 Erkrankten. Dabei nahmen sie vor allem ein Gen genauer unter die Lupe, das den Stoffwechsel von Testosteron beeinflusst: CYP19A1, das die sogenannte Aromatase anstößt. Das ist ein Prozess, bei dem der Körper Testosteron abbaut und in Östrogen umwandelt.

Denn, was vielleicht auf den ersten Blick überrascht, auch Männer brauchen - in einem gewissen Rahmen - das weibliche Hormon Östrogen, etwa für den Knochenstoffwechsel oder für ihre Fruchtbarkeit. Aber dieser Prozess kann offenbar durch eine Mutation des Gens gestört werden, stellte das Team bei der Auswertung von Daten fest, die eine Gruppe von Humangenetikern der Universität im italienischen Siena während der Pandemie gesammelt hatte.

"Diese Zusammenarbeit zeigt, dass genetische Untersuchungen wichtig sind, um unser Verständnis für molekulare Ursachen von viralen Erkrankungen und ihren Behandlungen zu verbessern", erklärt Alessandra Renieri von der Universität Siena, die die genetische Covid-19-Kohorte etabliert hat. Denn bei der genetischen Untersuchung dieser Kohorte von Coronapatienten, stellte das Forschungsteam fest, dass "vor allem die Männer, die im dortigen Krankenhaus behandelt werden mussten, auffällig oft "eine Mutation in diesem Gen" trugen, betont Studienleiterin Gabriel.

Ungünstige Wechselwirkung

In der allgemeinen Bevölkerung kommt diese genetische Mutation nicht besonders häufig vor. Aber von den Männern, die aufgrund eines schweren Krankheitsverlaufs intensivmedizinisch behandelt werden mussten, trugen 68 Prozent diese Mutation, wie die Forschenden im Fachmagazin Cell Reports Medicine aktuell veröffentlichten.

Gabriel und ihr Team schlussfolgerten daraus, dass diese genetische Variante durch die Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus angeregt wird, die Umwandlung von Testosteron in Östrogen zu intensivieren. Denn bei Experimenten mit anderen Viren wie z.B. SARS-CoV-1 oder Influenza kam es nicht zu einem intensiveren Abbau von Testosteron.

Ungleichgewicht der Hormone auch in der Lunge

In einem weiteren Schritt untersuchte die Forschungsgruppe Proben von Patienten, die an Corona verstorben sind. Und entdeckte, "dass auch im Lungengewebe der Männer, die an Corona verstorben sind, die Aktivität dieses Gens immer noch sehr stark ausgeprägt ist", so Virologin Gabriel. Das könnte erklären, so die Forschenden, warum eine Coviderkrankung bei Männern oft zu schweren Lungenproblemen führt und überproportional häufig tödlich verläuft.

Mit diesen Erkenntnissen gelang es den Forschenden erstmalig zu zeigen, dass SARS-CoV-2 nicht nur den Hormonhaushalt in den Geschlechtsorganen durcheinanderbringt, sondern dass auch in der Lunge hormonelle Prozesse ablaufen. Sie wird sozusagen zu "einem metabolischen Organ" wie die Studienleiterin betont. Der Mangel an Testosteron ist nicht nur in der Lunge nachweisbar, sondern beeinflusst offenbar auch tatsächlich die Lungenfunktion.

Neue Therapieoption durch Tierversuch?

Um diesen Befund abzusichern, haben die Forschenden ihre Hypothese in Tierversuchen überprüft. Indem sie Hamster mit dem Wirkstoff Letrozol behandelten, der dafür bekannt ist, den Prozess der Umwandlung von Testosteron in Östrogen zu hemmen. Solche sogenannten Aromatase-Inhibitoren sind bereits seit Jahren auf dem Markt. Sie werden beispielsweise therapeutisch genutzt, um bei hormonell bedingtem Brustkrebs die Metastasierung zu verhindern, indem sie die Produktion des weiblichen Hormons Östrogen reduzieren.

Von dieser Behandlung profitierten in den Experimenten vor allem die männlichen Tiere. Sie wurden schneller wieder gesund und auch ihre Lungenfunktion erholte sich erstaunlich schnell: Bei der Untersuchung des Lungengewebes zeigte sich, dass damit die Entwicklung einer Lungenfibrose verhindert werden kann. Bei den weiblichen Tieren dagegen änderte sich durch die Wirkstoffgabe kaum etwas am Krankheitsverlauf.

Klinische Studien als nächster Schritt

Ob diese Therapie auch bei schwer an Covid erkrankten Männern erfolgreich sein könnte, müssen klinischen Studien zeigen. Aber schon jetzt sei klar, so der Dresdner Endokrinologe Stefan Bornstein, der nicht an der Studie beteiligt war, dass diese Erkenntnisse den Blick auf das Hormonsystem und seine Bedeutung für den Verlauf von Infektionskrankheiten grundlegend veränderten.

Denn bisher gingen Wissenschaftlerinnen und Endokrinologen davon aus, dass Östrogen vor Infektionskrankheiten besser schütze als Testosteron. Etwa, weil auch bei der saisonalen Influenza, Geschlechtsunterschiede zugunsten der Frauen sichtbar sind. Aber so einfach sei es eben nicht, sagt Bornstein. Diese "sehr spannende" und gut gemachte Studie zeige: Es gehe nicht in erster Linie um einzelne Hormone, sondern um die Balance im Hormonhaushalt, und der sei bei Männern eben grundsätzlich anders aufgestellt als bei Frauen.

Deshalb sei dieses Forschungsergebnis nicht nur ein erster, sehr wichtiger Schritt, um möglicherweise bei zukünftigen Corona-Wellen schwere Verläufe bei Männern zu behandeln. Es weise auch den Weg, um in Zukunft ganz neue Behandlungsstrategien zu entwickeln: Nämlich auch bei Infektionskrankheiten die Rolle der Hormone stärker als bisher miteinzubeziehen. Und dieses neue Wissen könnte sogar als Grundlage dafür dienen, auf zukünftige Pandemien besser vorbereitet zu sein, so der Endokrinologe.