Neues Buch von Bruno Le Maire Ein Wirtschaftsminister als Romancier
Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat seinen zweiten Roman veröffentlicht - sein fünftes Buch seit Amtsantritt 2017. Manche fragen: Warum kümmert er sich nicht um die Rekordschulden? Der Minister hält dagegen.
1312 literarische Seiten - so viele hat Wirtschaftsminister Bruno Le Maire seit Amtsantritt vor sechs Jahren geschrieben. Mehr als Frankreichs Dichterstar in Vollzeit, Michel Houellebecq. Das entnimmt man einer Grafik der linken Zeitung "Libération". Allein 480 Seiten davon ist der neue Roman lang. Woher die Zeit, Herr Minister?
"Ich verstehe, dass sich die Franzosen das fragen könnten", sagt der Politiker dazu. "Die Antwort ist sehr einfach: Im Buch stecken zehn Jahre Arbeit. Fünf Jahre Recherche über den legendären Pianisten Vladimir Horowitz. Und fünf Jahre Schreiben - im Urlaub, am Wochenende, ab früh um fünf."
Fleißwerk über den Pianisten Vladimir Horowitz
"Fugue américaine" heißt das Fleißwerk. Wobei "fugue" im Französischen Fuge und Flucht bedeutet. Beides trifft auf den Pianisten Vladimir Horowitz zu, über den Le Maire fasziniert schreibt. Der jüdisch-ukrainisch-russische Meister verließ 1925 die Sowjetunion, spielte in Berlin und Hamburg, lebte in Paris und emigrierte 1939 endgültig in die USA. Also "La fugue".
"Nicht nur wegen Horowitz‘ Exil, sondern auch, weil die Fuge in der Musik ein, zwei oder drei Melodielinien kreuzt. Horowitz ist depressiv, aber mit Hilfe seiner Frau Wanda, die wie viele Frauen einen wichtigen Platz im Roman haben, schafft er es wieder auf die Bühne und wird als Pianist eine Legende", erzählt Le Maire.
Dagegen steht das Leben des wahren Buchhelden, Franz Wertheimer, der Pianist werden will, Horowitz auf Kuba für ein Konzert trifft und begreift, er wird nie dessen Talent haben. Er wird auch depressiv, erholt sich aber nicht. Eine für mich wesentliche Frage: Warum fällt einer und steht wieder auf, der andere nicht? Für letztere habe ich ein zärtliches Gefühl, ihnen muss man die Hand reichen."
"Der glücklichste aller Wirtschafts- und Finanzminister"
Ob er sich nicht auch ab und an zurückziehen wolle wie einst Horowitz, wird der Minister in der Sendung "C à vous" - in etwa: "Sie sind dran" - beim öffentlich-rechtlichen TV-Sender France 5 gefragt. Da erinnert Le Maire an 2016, als sein konservatives Lager einen Präsidentschaftskandidaten suchte: "Nein, nur ein Mal. Am Tag nach den Vorwahlen - da habe ich mir gesagt: 'So viel Engagement und Mühen für enttäuschende nicht mal drei Prozent der Stimmen. Ist es das wert?' Ich bin wieder aufgestanden und jetzt der glücklichste aller Wirtschafts- und Finanzminister."
Glücklich? Das Buch wurde fast zeitgleich mit der Herabstufung Frankreichs durch die Ratingagentur Fitch veröffentlicht. Reformmangel, Rentenchaos, Rekord-Staatsverschuldung - das fülle auch einen Roman, Le Maire sei geringschätzend, kritisiert die linke Opposition. Le Maire findet das zu pessimistisch. Er kann sich auch mit 1,7 Millionen neuen Arbeitsplätzen, Reindustrialisierung und gutem Investitionsklima rühmen. Trotzdem schlechtes Timing. Le Maire bleibt jedoch unbeirrt.
Jeder hat seine Fluchtlinien, braucht etwas neben seinem Berufsleben: gärtnern, kochen, Sport treiben. Ich schreibe, und diese Freiheit fordere ich ein. Denn sie gibt ein inneres Gleichgewicht. Damit kann man sogar besser als Minister arbeiten. Auf die teils politischen Fragen im Roman Antworten zu finden, macht frei und ausgeglichen. Und ausgeglichene Minister mit offenem Geist sind nicht schlecht fürs Land."
Kurze Kapitel, präzise Beschreibungen
Der vierfache Vater fordert eine Work-Life-Balance. In etwa wie die Bevölkerungsmehrheit im Kampf gegen die Rentenreform. Immerhin fordert Le Maire zu politischem Engagement auf. Horowitz habe der Politik entkommen wollen, doch sie holte ihn ein, verurteilte seinen Vater zu Gulag. Und in Frankreich erstarkt nun die extreme Rechte.
"Jeder, der Lust hat, sollte sich politisch engagieren. Es ist zu einfach zu sagen, Politik sei schmutzig, da sind alle korrupt und verbiegen sich. Das ist nicht die Realität", so Le Maire. "Politisches Engagement ist unerlässlich für unsere Nation. Wenn jene, die Überzeugungen haben, an die Vernunft und den französischen Universalismus glauben, nicht politisch kämpfen, überlassen sie den Platz Menschen, die einen anderen Entwurf für Frankreich haben - weniger edel und weniger schön." Das klingt fast nach einem Goethe-Zitat. Im Buch lässt er einen Protagonisten sagen:
Du hast Unrecht, Dich nicht für Politik zu interessieren. Niemand entkommt der Politik. (...) Überlass sie nicht den Mittelmäßigen. Das endet immer schlecht.
Das Buch beginnt "catchy", wie eine Leserin schreibt. Der Sohn des Haupthelden Franz bekommt per Post ein Manuskript und veröffentlicht es. Es ist das Buch, das der Leser heute in der Hand hält. Die abstoßendsten Kapitel habe er aber gestrichen, so Franz. Und schon fragt die Neugier: Welche? Vier Teile, vier Epochen. Die Kapitel kurz, die Beschreibungen präzise, manchmal zu episch. Sprachlich eine feine Feder, mit Rhythmus, Humor und einem Spritzer Erotik. Im Netz kursiert bereits der Hashtag "Ich bin gedehnt wie nie" - ein direktes Zitat, das den Ich-Erzähler in Extase bringt.
Erotikbücher von der Staatssekretärin
Aus der Regierungsmannschaft kommt Unterstützung: Der Arbeitsminister musste über die Stelle lachen, findet es aber gut, dass hinter Ministeranzügen Gefühle steckten. Charmant, wertet die Kollegin für den Mittelstand - Minister seien auch Menschen mit Freud, Leid und Leidenschaft. Was kürzlich die Erotikbücher publizierende Staatssekretärin Schiappa auch noch mit freizügigen Fotos im Playboy bewies.
Le Maire wollte sich keine Selbstzensur auferlegen. "Ja, es gibt viel Sinnlichkeit in dem Buch. Es beginnt auf Kuba, in Havanna. Weil ich wollte, dass die Sinnlichkeit des Spiels von Horowitz mit der der Figuren, mit der Landschaft, den Städten, der Karibik, dem Klima korrespondiert. Sensualität ist wichtig für einen Text."
Stilübung des Goncourt-Preisträgers
Die literarische Welt ist zurückhaltender. Zwar wirke noch jedes erotische Zitat aus dem Text gerissen lächerlich, räumt Nicolas Mathieu ein, Träger des Goncourt, des wichtigsten französischen Literaturpreises. Schreibt dann die Erotikszene auf seinem Instagram-Konto als "kleine Stilübung" aber einfach um.
Dabei verkehrt der Klavier spielende Le Maire in der Szene, ist mit Houellebecq befreundet und literarisch kein Analphabet. Er hat drei Eliteschulen absolviert, einen Bachelor in Germanistik, die Masterarbeit über Marcel Proust, die Lehrbefugnis für höhere Schulen in modernen Sprachen als Jahrgangsbester.
Im Roman erscheinen denn auch deutsche, englische, spanische Passagen im Original. Er konfrontiere das Französische gern mit anderen Sprachen, sagte der polyglotte Minister der "Libération", und träufele ihr eine andere Musik ein. Was aber wünscht sich Bruno Le Maire von seinen Lesern? "Den Autoren sollen sie ignorieren. Unwichtig! Ich würde mich freuen, wenn viele das Buch schließen und sich sagen: Wir hatten einen sehr schönen Moment."