Wirecard-Prozess in München Verteidiger setzen auf Angriff
Am zweiten Wirecard-Prozesstag haben sich die Verteidiger der drei Angeklagten gegenseitig attackiert. Der Anwalt von Ex-Vorstandschef Braun forderte, das Verfahren auszusetzen. Sein Mandant werde sich vorerst nicht äußern.
Florian Eder, der Anwalt des ehemaligen Wirecard-Statthalters in Dubai, Oliver Bellenhaus, rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Gerade hat Alfred Dierlamm, der Verteidiger von Ex-Wirecard-CEO Markus Braun, zum Rundumschlag gegen Bellenhaus ausgeholt. Dieser habe der Staatsanwaltschaft etwas "vorgelogen". Es geht um einen Aspekt, der für diesen Prozess von zentraler Bedeutung ist: Hat ein wichtiger Teil des Wirecard-Auslandsgeschäfts, nämlich der mit Drittpartnern in Asien, tatsächlich existiert, oder war er frei erfunden?
Bellenhaus hat bei mehreren Vernehmungen zu Protokoll gegeben, die online abgewickelten Zahlungen von Wirecard-Drittpartnern in Asien seien frei erfunden gewesen. Aus diesem Grund hätten auch die 1,9 Milliarden Euro, die auf philippinischen Treuhandkonten für Wirecard verwahrt werden sollen, niemals existiert. Wirecard musste am 25. Juni 2020 einen Insolvenzantrag stellen, weil dieses Geld nicht auffindbar war.
Braun-Anwalt beantragt Aussetzung des Verfahrens
Die Staatsanwaltschaft München I hat deswegen gegen Bellenhaus, Braun und den ehemalige Chefbuchhalter von Wirecard, Stephan von Erffa, Anklage erhoben. Die Vorwürfe: Untreue, falsche Darstellung der Wirecard-Bilanzen zwischen 2015 und 2018, Marktmanipulation und gewerbsmäßiger Bandenbetrug. Sie ist überzeugt davon, dass das Trio die Anleger, Investoren und die gesamte Öffentlichkeit über Jahre mit fingierten Geschäftszahlen getäuscht hat. In seinem "Opening Statement" wies Braun-Anwalt Dierlamm die Vorwürfe zurück. Und nicht nur das. Er machte der Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe.
So leide das gesamte Verfahren an einem "Geburtsfehler", weil sich die Ermittler auf die Aussagen eines unglaubwürdigen Zeugen verlassen hätten - auf den Kronzeugen Bellenhaus. Vielmehr gebe es handfeste Belege für die Existenz einer "Schattenstruktur", in die Bellenhaus Millionen aus dem Wirecard-Konzern heraus geleitet habe. Dem sei die Staatsanwaltschaft trotz mehrfacher Hinweise und Bitten der Braun-Verteidigung allerdings nicht nachgegangen. "Ich habe in meiner fast 30-jährigen Erfahrung als Verteidiger kein anderes Verfahren erlebt, in dem ein Mandant so kriminalisiert und vorverurteilt wurde", kritisierte Dierlamm. Er meint damit, dass sich die Staatsanwaltschaft früh auf Braun als Anführer einer Bande festgelegt habe.
Dierlamm hat deswegen die Aussetzung des Hauptverfahrens beantragt. "Eine Hauptverhandlung, die vor allem darauf angelegt ist, Ermittlungsdefizite zu heilen, ist zum Scheitern verurteilt", begründete er diesen Schritt. Die Entscheidung über diesen Antrag soll kurzfristig erfolgen. Bis dahin wird sich Braun nicht persönlich äußern, gab Dierlamm bekannt. Frühestens ab Januar nächsten Jahres komme das infrage.
"Völlig unter der Gürtellinie"
Rund zwei Stunden Zeit gewährte Richter Markus Födisch Dierlamm - bis zur Mittagspause. Danach hatte Bellenhaus-Anwalt Florian Eder Gelegenheit, die Ausführungen Dierlamms zu kontern. "Die Wirecard war ein Blendwerk", sagte Eder mit Blick auf die Darstellung seines Mandanten hinsichtlich der fingierten Bilanzen des Konzerns. Die Angriffe Dierlamms auf Bellenhaus nannte er "völlig unter der Gürtellinie". Bellenhaus habe entschieden, "sich trotz sicheren Aufenthalts im Ausland" in Deutschland seiner Verantwortung zu stellen.
"Herr Bellenhaus hat Schuld auf sich geladen, indem er durch sein Handeln geholfen hat, ein betrügerisches System am Leben zu halten. Ich darf mich für Herrn Bellenhaus bei den Geschädigten entschuldigen", sagte Eder. Eine solche Entschuldigung hatte Bellenhaus schon am 19. November 2020 im Rahmen einer kurzen Vernehmung im Wirecard-Untersuchungsausschuss ausgesprochen. In dieser Hauptverhandlung will er diese persönliche Entschuldigung nach Angaben seines Anwalts wiederholen.
Kronzeuge Bellenhaus hofft auf milderes Strafmaß
Der nächste Verhandlungstag ist für Mittwoch angesetzt, dann hat er dazu Gelegenheit. Im Gegensatz zu Markus Braun will sich Bellenhaus schon zum jetzigen Zeitpunkt ausführlich äußern. Ob dann auch schon eine Befragung von anderen Anwälten möglich ist, ließ sein Verteidiger offen. Eder machte zudem keinen Hehl daraus, dass sich sein Mandant aufgrund der Kronzeugen-Rolle ein milderes Strafmaß erhofft.
Anwältin: Erffa - keine zentrale Figur in diesem Skandal
Der dritte Angeklagte Stephan von Erffa will nach Angaben seiner Anwältin Sabine Stetter ebenfalls zunächst schweigen. Sie zeichnete in ihrem eher kurzen Statement das Bild eines Wirecard-Managers, der - anders als in der Anklage dargestellt - keine zentrale Figur in diesem Skandal und im Unternehmen gewesen sei. "Mit Deputy CFO hatte er sogar nur einen reinen Fantasie-Titel", betonte Stetter.