Fast ein Jahr länger als geplant Wirecard-Prozess verlängert sich
Wirecard ist im Sommer 2020 zusammengebrochen. Doch der Prozess um den Bilanzbetrugsfall des früheren DAX-Konzerns läuft noch immer. Das Gericht rechnet nicht mit einem schnellen Ende.
Der Prozess um den vermutlich größten Bilanzbetrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte könnte sich fast doppelt so lange hinziehen wie ursprünglich geplant. Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I hat für den Wirecard-Prozess 86 zusätzliche Prozesstage bis zum 19. Dezember dieses Jahres anberaumt. Das teilte ein Gerichtssprecher auf Anfrage mit.
Der Prozess gegen den Ex-Vorstandschef Markus Braun, den Kronzeugen Oliver Bellenhaus und den ehemaligen Chefbuchhalter des 2020 kollabierten DAX-Unternehmens läuft seit dem 8. Dezember 2022. Ursprünglich hatte die Kammer 100 Verhandlungstage angesetzt, deren letzter in der kommenden Woche der 10. Januar gewesen wäre.
Existierten 1,9 Milliarden Euro je?
Das Unternehmen war im Sommer 2020 zusammengebrochen, nachdem die Wirtschaftsprüfer 1,9 Milliarden Euro nicht ausfindig machen konnten, die in der Bilanz verbucht werden sollten. Laut Anklage existierte das Geld nie. Braun und Komplizen sollen danach als kriminelle Bande Scheingeschäfte vorgetäuscht haben, um den eigentlich defizitären Konzern über Wasser zu halten.
Der im Juli 2020 - also vor fast dreieinhalb Jahren - in Untersuchungshaft genommene Braun hat sich jedoch für unschuldig erklärt. Nach Darstellung des österreichischen Managers sollen die wahren Kriminellen um den untergetauchten Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek und den Kronzeugen Bellenhaus Unsummen auf die Seite geschafft haben.
Braun und Bellenhaus beschuldigen sich gegenseitig, keiner der bislang vernommenen Zeugen konnte Licht ins Dunkel bringen. So ist ungeklärt, ob die seit dem Sommer 2020 vermissten 1,9 Milliarden Euro je existierten - und falls ja, von wem die Gelder schlussendlich unterschlagen wurden. Der ebenfalls seit Juli 2020 ununterbrochen in U-Haft sitzende Kronzeuge Bellenhaus bestreitet seinerseits Brauns Vorwürfe.
Schwierige Aufklärung
Die Aufklärung gestaltet sich unter anderem deswegen so schwierig, weil die Tatorte sich großenteils in Asien befanden: in Dubai, Singapur, auf den Philippinen und in weiteren asiatischen Ländern. Das Gericht hatte in den vergangenen Monaten zahlreiche Zeugen aus dem Ausland geladen, die jedoch nicht erschienen.
Ausgesagt haben bislang hauptsächlich frühere Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter der einstigen Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München. Brauns Ex-Untergebene gaben jedoch durch die Bank an, nichts vom Milliardenbetrug gewusst zu haben. Erste Zeuginnen im neuen Jahr werden nun am 10. Januar die frühere Leiterin der Rechtsabteilung der Wirecard-Bank, auf sie folgt am Folgetag eine frühere Vertriebsmanagerin.