Maßnahmen gegen Russland Wie stark wirken die neuen EU-Sanktionen?
Nach Russlands Angriff auf die Ukraine plant die EU neue Sanktionen. Wichtige Bereiche der russischen Wirtschaft sollen von Schlüsseltechnologien abgeschnitten sein. Auf die härteste Maßnahme verzichten die Europäer offenbar vorerst.
Die baltischen EU-Staaten haben nach dem Angriff auf die Ukraine einen Ausschluss Russlands aus dem weltweiten Banken-Zahlungssystem SWIFT gefordert. Auch Tschechiens Präsident Milos Zeman brachte diese Maßnahme ins Spiel. Doch scheut die Europäische Union vor diesem Schritt offenbar noch zurück.
Ein EU-Krisengipfel soll am Abend über weiteren Sanktionen gegen Russland beraten. Ein SWIFT-Ausschluss stehe derzeit aber nicht auf der Tagesordnung, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Dazu gebe es im Moment keine Einigung unter den EU-Staaten. Dieser Schritt hätte sehr weitreichende Konsequenzen - auch in Europa.
SWIFT-Ausschluss würde auch Europa treffen
Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) - der Zentralbank der Notenbanken - halten europäische Institute den größten Teil des Auslandsengagements internationaler Geldhäuser in Russland, das insgesamt auf fast 30 Milliarden Dollar taxiert wird. Einige EU-Staaten betonten zuletzt, ein SWIFT-Ausschluss würde zwar russische Banken und Unternehmen hart treffen. Aber auch europäische Gläubiger könnten dann nur noch schwer an ihr Geld kommen.
Die Abkürzung SWIFT steht für "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication". Die 1973 gegründete Organisation hat ihren Hauptsitz in Belgien. SWIFT ist eigentlich ein Netzwerk zum Austausch elektronischer Informationen zwischen Banken und wird von rund 11.000 Geldinstituten weltweit genutzt. Das System wurde eingeführt, um einen sicheren internationalen Zahlungsstandard anbieten zu können. Bei internationalen Transaktionen wird ein SWIFT-Code verwendet, um die Identität der Bank oder des Finanzinstituts zu bestätigen. Diese Sicherheitsmaßnahme sorgt dafür, dass das Geld auf dem richtigen Konto landet.
System für den internationalen Handel
Wer also aus diesem Netzwerk ausgeschlossen ist, kann kaum mehr Zahlungen ins Ausland senden oder internationale Geldtransfers erhalten. Während die Amerikaner einem Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System als Sanktion offenbar aufgeschlossen gegenüberstehen, sind europäische Länder zurückhaltend. Denn Deutschland und andere europäische Staaten haben deutlich mehr Handelsbeziehungen mit Russland. CDU-Chef Friedrich Merz zog vor einigen Tagen einen drastischen Vergleich mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland: "SWIFT infrage zu stellen, das könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte und auch für die Waren- und Dienstleistungsbeziehungen sein."
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat heute früh bereits verschärfte Sanktionen der Europäer wegen des russischen Angriffs angekündigt. Sie sagte, man wolle russisches Vermögen in der Europäischen Union einfrieren und den Zugang russischer Banken zu den europäischen Märkten stoppen. Zudem soll es laut Nachrichtenagentur dpa Exportkontrollen für Hightech-Produkte geben. Industrie und Energiebranche sollen offenbar getroffen werden, ebenso Mitglieder der Führung in Moskau und einflussreiche Oligarchen. Ebensowenig wie ein SWIFT-Ausschluss Russlands ist offenbar ein Ausfuhrverbot für Erdgas derzeit geplant.
"Sanktionen halten den Angreifer nicht auf"
Allerdings gilt als umstritten, wie wirkungsvoll die Maßnahmen sind. Schon die zuvor angekündigten Sanktionen haben Russlands Präsidenten Putin nicht davon abgehalten, den Einmarsch in die Ukraine zu befehlen. Litauens Ex-Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite beurteilt ihre Wirksamkeit skeptisch. "Sanktionen werden den Angreifer nicht aufhalten, sondern nur bestrafen. Kriegsverbrecher konnten nur auf dem Schlachtfeld gestoppt werden", twitterte sie.
Auch Experten wie Vasily Astrov vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche bezweifeln die Wirkung des erweiterten Handelsverbots, das vor dem Einmarsch in die Ukraine von der EU beschlossen wurde. Dazu zählten auch ein Verbot mit dem Handel russischer Staatsanleihen. Dem "Handelsblatt" sagte der Russland-Kenner, Russland sei kaum auf Gelder aus dem Ausland angewiesen. Das Land habe eine extrem niedrige Staatsverschuldung und könne sich Geld von den eigenen Banken leihen. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds liegt die russische Staatsverschuldung bei rund 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Hohe Devisenreserven
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer verweist auf Devisenreserven in Höhe von 630 Milliarden Dollar, über die Putins Regierung nach Jahren einer sehr restriktiven Haushaltspolitik verfüge. "Das würde reichen, um für ein Jahr alle Importe zu bezahlen, ohne dass Russland etwas exportieren müsste", sagte Krämer der "Süddeutschen Zeitung". Und klar sei auch: Mit jeder neuen Sanktion treibe der Westen Russland einen Schritt weiter in die Arme Chinas. Und das asiatische Land warte nur darauf, die wirtschaftliche und politische Front gegen die USA weiter verstärken zu können.
Viele Marktbeobachter gehen davon aus, dass die Sanktionen gegen Russland zu entsprechenden Gegenmaßnahmen führen werden. Bastian Hepperle von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe spricht von einer "Sanktionsspirale". Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Bank sagte gegenüber dem ARD-Börsenstudio: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass Russland auf die Sanktionen antworten wird." Man wisse, wie sich Deutschland und Europa am härtesten treffen lassen, so Brzeski: durch die starke Abhängigkeit von russischem Gas und Öl.