Zinswende eingeleitet Was steckt hinter Russlands Zinserhöhung?
Warum hat die russische Zentralbank zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder die Leitzinsen erhöht? Wichtige Gründe sind der Wertverfall des Rubel und die Erwartung einer steigenden Inflationsrate. Auch der Ölpreis trägt zu den Problemen bei.
Monatelang hat die russische Zentralbank den Anschein von Normalisierung verbreitet und den zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 drastisch angehobenen Leitzins sukzessive wieder gesenkt. Seit September 2022 lag der Zinssatz bei nur noch 7,5 Prozent und damit sogar unter Vorkriegsniveau. Warum entschied sich die Zentralbank aber nun zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder für eine Zinserhöhung und hob den Leitzins am Freitag um einen ganzen Punkt auf 8,5 Prozent an - und damit stärker als von den meisten Ökonomen erwartet?
Notenbankchefin Elvira Nabiullina machte deutlich, dass eine weitere Erhöhung das wahrscheinlichste Szenario sei. Denn obwohl die Teuerungsrate zuletzt unter der von der Zentralbank angestrebten Marke von vier Prozent lag, sehen die Währungshüter wachsende Inflationsgefahren. Die Notenbank rechnet damit, dass die Inflationsrate dieses Jahr bei 5,0 bis 6,5 Prozent landen wird und erst 2024 zum Stabilitätsziel von vier Prozent zurückkehren wird. Dieser Entwicklung versucht sie nun gegenzusteuern.
Durch eine flexible Zinspolitik konnten die Währungshüter die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Konflikts und der westlichen Sanktionen gegen Russland abfedern. Für dieses Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2,5 Prozent erwartet, im Vergleich zu einer früheren Schätzung von 0,5 bis 2,0 Prozent für das Bruttoinlandsprodukt.
Sorge vor Währungsverfall
Ein Satz aus der Erklärung der Notenbank zur Zinsanhebung verweist zugleich auf einen weiteren Grund für den Schritt: "Trends bei der Binnennachfrage und die Abwertung des Rubels seit Anfang 2023" verstärkten die Gefahr steigender Preise erheblich, hieß es.
Im Verlauf des vorigen Jahres verlor der Rubel mehr als 35 Prozent seines Wertes, erholte sich dann aber wieder. Doch seit Monaten erlebt die russische Währung nun erneut einen relativ kontinuierlichen Wertverluste gegenüber Dollar und Euro. Beobachtern zufolge geht dies unter anderem auf den Ölpreis zurück, der trotz der Beschlüsse der Opec+ zur Begrenzung der weltweiten Produktion weiterhin relativ niedrig ist.
Auch vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Leitzinserhöhung zu sehen - die vermutlich nicht die einzige bleiben wird. "Angesichts der starken Kapitalabflüsse und der verminderten Unterstützung der Währung durch den Leistungsbilanzüberschuss des Landes ist es unwahrscheinlich, dass dieser Schritt allein eine weitere Abwertung des Rubels verhindern kann", sagte Alexander Isakov, Wirtschaftsexperte für Russland in Bloomberg Economics.
Die jüngsten politischen Ereignisse, wie der Aufstand der Wagner-Söldner Ende Juni, haben den Außenwert des Rubels weiter geschwächt. Experten gehen davon aus, dass dadurch die Preise für Waren und Dienstleistungen über die Sommermonate stärker anziehen dürften.
Negative Zahlungsbilanz im Juni
Die Schwäche des Rubels wird von der Zentralbank auf sinkende Exporte und eine Erholung der Importe zurückgeführt. Im Juni verzeichnete Russlands Zahlungsbilanz zum ersten Mal seit 2020 ein negatives Ergebnis. Die Zentralbank plant nun, ab August Gelder aus dem Staatsfonds NWF für Devisenmarkt-Interventionen zu nutzen. Dabei wurde ein Limit von 300 Milliarden Rubel, also etwa 2,97 Milliarden Euro, pro Halbjahr festgelegt, um die Liquiditätssituation auf dem heimischen Devisenmarkt zu berücksichtigen.
Laut Sofya Donets , Ökonomin bei Renaissance Capital, dürfte der Preisdruck in der zweiten Hälfte dieses Jahres größtenteils hoch bleiben. "Die Beschleunigung des Preiswachstums angesichts des unerwarteten Ausmaßes der Abschwächung des Rubels hat eine Zinserhöhung unvermeidlich gemacht", sagte Donets in einer Notiz vor der Entscheidung.