Zinssenkung trotz hoher Inflation Russische Zentralbank im Dilemma
Aufgrund der Sanktionen leidet Russland unter einer galoppierenden Inflation und einer schwächelnden Wirtschaft. Um eine Rezession zu verhindern, senkt die Notenbank die Leitzinsen überraschend kräftig. Treibt das die Teuerung?
Um ihren Job dürfte sie derzeit kaum einer beneiden in Russland: Elvira Nabiullina leitet die russische Notenbank. Die 58-Jährige ist für ein Himmelfahrtskommando abkommandiert: Sie muss Russland vor der Staatspleite und den zunehmend negativen Folgen der westlichen Sanktionen retten. Und das so, ohne Präsident Wladimir Putin zu verärgern.
Dabei steckt sie in einem echten Dilemma: Sie muss einerseits die wachsende Inflation bekämpfen und gleichzeitig der schwächelnden Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Senkt sie die Zinsen, hilft sie zwar der Konjunktur, verstärkt aber den Preisauftrieb. Hebt sie die Zinsen an, bremst sie die Wirtschaft.
Elvira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank, hat eine schwere Aufgabe.
Überraschend kräftige Zinssenkung
Momentan scheint Nabiullinas oberste Priorität zu sein, die durch die Sanktionen geschwächte Wirtschaft zu stützen. Am Freitag senkten die russischen Währungshüter den Leitzins von 17 auf 14 Prozent. Ökonomen hatten einen kleineren Zinsschritt auf 15 Prozent erwartet. Anfang April hatte die Zentralbank den Leitzins bereits von 20 auf 17 Prozent gesenkt. Nach Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine Ende Februar hatte sie den Leitzins noch auf 20 Prozent verdoppelt, um einen Rubel-Absturz zu verhindern.
Nach Angaben der Regierung hat sich das russische Wirtschaftswachstum im März auf 1,6 Prozent verlangsamt. Im Februar legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch um 4,3 Prozent zu. Wegen der westlichen Sanktionen dürfte Russlands Wirtschaft bald in die Rezession rutschen. Im Kreml stellt man sich schlimmstenfalls auf eine Schrumpfung des BIP von bis zu 12,4 Prozent im Gesamtjahr ein.
Schwere Rezession droht im Gesamtjahr
Die von der russischen Notenbank befragten Ökonomen prophezeien einen Rückgang der Konjunktur um 9,2 Prozent. Damit sind sie noch pessimistischer als der Internationale Währungsfonds (IWF): Er sagt einen Wirtschaftseinbruch von 8,5 Prozent voraus.
Notenbankchefin Nabiullina fordert die Wirtschaft zum Umbau auf. Sie könne nicht unbegrenzt von ihren Finanzreserven leben und müsse sich nun neu aufstellen. Bereits im Frühjahr und Sommer werde eine Phase des Strukturwandels beginnen müssen, in denen die Unternehmen neue Geschäftsmodelle erfinden sollen. Die Im- und Exportbeschränkungen sowie die kompliziertere Logistik im Außenhandel dürften der Wirtschaft hart zusetzen.
"Hersteller werden nach neuen Partnern und Logistikmöglichkeiten suchen oder auf die Herstellung von Produkten früherer Generationen umsteigen müssen", verlangt die wohl mächtigste Frau Russland. Die Exporteure wiederum müssten sich nach neuen Abnehmern umschauen. All dies werde Zeit brauchen, erklärte die Notenbankerin.
Inflation dürfte bis 23 Prozent steigen
Die neuerliche Zinssenkung rechtfertigt Nabiullina mit dem Hinweis, dass die Risiken für eine finanzielle Instabilität und höhere Verbraucherpreise nicht gestiegen seien. Die Notenbank räumte aber ein, dass die Inflation weiter steigen dürfte. Im April hatte die Teuerungsrate bei 17,6 Prozent gelegen. Die Währungshüter erwarten im Gesamtjahr eine Rate von 18 bis 23 Prozent.
Immerhin - eines hat die auch im Ausland hoch angesehene Notenbank-Präsidentin geschafft: Sie hat den Rubel stabilisiert. Zum Wochenschluss kletterte der Rubel zum Euro auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Allerdings funktioniert der russische Devisenmarkt schon längst nicht mehr nach rein rationalen Kriterien. Ein Grund für die Rubel-Stärke könnte sein, dass die russische Zentralbank einen Zwangsumtausch in Rubel für Exporteinnahmen eingeführt hat.
Zahlungsausfall vorerst abgewendet
Bald droht der nächste Lackmustest für Russlands Zentralbankchefin: In wenigen Wochen könnte Russland ein technischer Zahlungsausfall drohen, wenn das Land seine Anleihengläubiger nicht mehr bedienen kann. Die drohende Staatspleite am 4. Mai konnte aber gerade noch abgewendet werden. Heute hat das russische Finanzministerium knapp 650 Millionen Dollar an die Inhaber zweier russischer Staatsanleihen überwiesen.