Nach Terrorattacken der Hamas Welche Risiken gibt es für die Weltwirtschaft?
Der Terrorangriff der Hamas hat katastrophale humanitäre Folgen - aber auch die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten die Welt hart treffen. Welche möglichen Risiken sehen Experten?
Schon einmal wurde die Welt von hart von den Auseinandersetzungen in Nahost getroffen. Im Zuge des Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 erließen die arabischen Erdöl exportierenden Länder ein Embargo gegen Staaten mit einer israelfreundlichen Haltung. Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen nur kurz andauerten, kam es zu Verwerfungen an den Ölmärkten.
Die Folge war eine der schwersten Wirtschaftskrisen nach dem Zweiten Weltkrieg - mit hoher Inflation, einer schwachen Konjunktur und einer rasch steigenden Arbeitslosigkeit. Um Energie zu sparen, wurden in Deutschland Schwimmbäder geschlossen, Ferien verlängert, autofreie Sonntage angeordnet und die Sommerzeit eingeführt.
Aktuell keine Verwerfungen an den Märkten
Wie sehr sich diese Situation auf die aktuelle Lage übertragen lässt, ist noch unklar. Momentan scheinen Investoren und viele Branchenexperten nicht davon auszugehen, dass eine erneute globale Ölkrise unmittelbar droht. Öllieferungen seien aktuell nicht gefährdet, weil Israel kein bedeutender Ölexporteur sei. Thomas Puls etwa, Energieexperte am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln erwartet keine weiteren Ausschläge an den Finanzmärkten, wenn denn der Konflikt auf die Region Israel und Gaza beschränkt bleibt.
Ob es dabei bleibt, hängt von der weiteren Entwicklung des Konflikts ab. "Sollte es auch am Persischen Golf zu Auseinandersetzungen kommen und gar die Straße von Hormus gesperrt werden, wären die Folgen für Preis und Verfügbarkeit von Rohöl kaum abzusehen", so Puls. Über die 55 Kilometer breite Meeresenge werden etwa ein Fünftel des weltweiten Öls transportiert.
Ölpreis hat nur mit kurzfristigem Anstieg reagiert
Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, sieht ebenfalls erst einmal nur geringe unmittelbare konjunkturellen Auswirkungen. "Es gibt aktuell keine Anzeichen, dass die Ölproduzenten stärker involviert werden. Die Beziehungen von Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate zu Israel hatten sich zuletzt eher verbessert. Zumindest bei früheren palästinensischen Terroranschlägen in Israel war es nicht zu einer Ausweitung des Konflikts gekommen", so Schularick.
Der Ölpreis habe zwar mit einem kurzfristigen Anstieg reagiert, das Ausmaß sei aber bislang nicht dramatisch. Die hohen Niveaus, die er Ende September verzeichnet habe, seien bislang noch nicht wieder erreicht worden.
Allerdings sieht Schularick einen weiteren potenzieller Spannungsherd in der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und Europa auf der einen und den BRICS-Ländern auf der anderen Seite. Zu diesen gehören inzwischen auch Iran und Saudi-Arabien. Sollte es in Folge des Konflikts zu einer Verschärfung der Sanktionen oder deren Durchsetzung gegen den Iran kommen, rechnet Schularick mit weiter steigenden Ölpreisen.
Auf verschiedene Szenarien reagieren
Die Berater der azemos Vermögensberatung in Offenburg erhalten momentan viele Anrufe besorgter Kundinnen und Kunden, die ebenfalls nervös auf die Lage in Nahost blicken. Deshalb hat Geschäftsführer Rainer Laborenz ein Team zusammengestellt, das verschiedene Szenarien durchspielt.
Grundsätzlich sind die Berater erstaunt darüber, wie gelassen die Ölmärkte bisher auf den wieder aufflammenden Nahost-Konflikt reagiert haben. Schließlich gelte der Ölpreis als klassischer Nahost-Krisenindikator, weil es aufgrund von Boykott-Maßnahmen und Sanktionen zu einer kurzfristigen Verknappung des Ölangebots kommen könnte.
Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass die kriegerischen Handlungen relativ schnell beendet würden, sich der Konflikt allerdings wie bisher weiter mit wiederkehrenden Terrorattacken durch Hamas und Hisbollah fortsetze. "Dies hätte keine nachhaltigen Auswirkungen auf den Ölpreis, weil es leider der traurigen Realität entspricht", so Laborenz.
Was eine Eskalation bedeuten würde
Es gibt aber ein weiteres Szenario, dass weit dramatischere Folgen hätte. Im schlimmsten Fall könnte die westliche Welt erneut im Zuge von Boykottmaßnahmen vom arabischen Erdöl abgeschnitten werden. Dann könnte eine ähnliche Situation wie 1973 eintreten.
"Bei einem starken Anstieg des Ölpreises hätten wir wieder das Problem steigender Inflationsraten", urteilt Laborenz. "Wir bezweifeln, dass die Notenbanken noch viel Zinserhöhungsspielraum haben, denn bei weiter steigenden Zinsen kämen viele Staaten und auch Unternehmen an die Grenzen ihrer Zahlungsfähigkeit. Wir müssten daher längere Zeit mit höheren Inflationsraten leben, ein Zustand, der die Kaufkraft des Geldes und auch das Vertrauen darin nachhaltig erodieren ließe."
Das Worst-Case-Szenario wäre eine Eskalation des Konflikts, an denen auch die Großmächte Russland und USA beteiligt sein könnten. "Dieses Szenario würde mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Ölpreise durch die Decke gingen, was wiederum verheerende Folgen für die Konjunktur nicht nur in der westlichen Welt hätte. Eintrittswahrscheinlichkeit: leider nicht ganz auszuschließen, auch wenn die Märkte dieses Szenario derzeit offenbar nicht einpreisen", so Laborenz.
Kaum Handlungsmöglichkeiten im Westen
Thomas Puls vom IW sieht bei einer negativen Entwicklung kaum Handlungsmöglichkeiten. "Sollte der Ölfluss vom Golf eingeschränkt werden, gibt es keine weiteren Produktionsreserven mehr und auch die strategischen Reserven der Staaten wurden im letzten Jahr zur Preisstabilisierung reduziert. Daher sehe ich in diesem Worst-Case-Szenario keine Möglichkeiten, wirksam einzuschreiten", so die Schlussfolgerung des Ökonomen.
Bleibt also die Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. Für die Wirtschaft - aber noch viel mehr für die betroffenen Menschen.