Arbeiter auf einer Baustelle hoch über Hongkong
Analyse

Hoffnungszeichen für Konjunktur Wie es um die Weltwirtschaft steht

Stand: 17.01.2023 08:04 Uhr

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos stehen in dieser Woche viele Krisen auf der Agenda. Zuletzt gab es aber Entspannungssignale für die globale Konjunktur. Das macht Experten Hoffnung.

Eine Analyse von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Energiekrise, hohe Inflation und gestörte Lieferketten: Die Weltwirtschaft steht spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark unter Druck. Niedriges Wachstum und eine hohe Verschuldung waren die Folge. Zuletzt gab es aber erste Entspannungssignale. Fallende Gaspreise, sinkende Inflationsraten und die Wiedereröffnung in China geben Grund zur Hoffnung - zurecht?

IWF erwartet keine globale Rezession

Zumindest die Anleger an den Aktienmärkten glauben offenbar an einen Aufschwung. Allein der deutsche Leitindex DAX verbuchte seit Jahresbeginn ein Kursplus von rund 8,5 Prozent, nachdem er 2022 noch das schlechteste Börsenjahr seit 2018 erlebt hatte. Doch nicht nur bei den Investoren hat sich das Bild über die wirtschaftliche Situation aufgehellt.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von keiner globalen Rezession aus und hält an seinen Konjunkturaussichten fest. Zwar werde sich das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr weiter verlangsamen, doch mit aufeinander folgenden Herabstufungen wie 2022 rechne sie nicht, sagte jüngst IWF-Direktorin Kristalina Georgieva. Stattdessen gehe sie davon aus, dass die Abschwächung des globalen Wachstums die Talsohle erreicht und sich gegen Ende 2023 und Anfang 2024 umkehrt.

Die Begründung: Die Befürchtungen eines Anstiegs der Ölpreise hätten sich nicht bewahrheitet, die Arbeitsmärkte seien weiter robust und die Menschen würden trotz der Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation weiter Geld ausgeben. So kann laut IWF die größte Volkswirtschaft der Welt, die Vereinigten Staaten, in diesem Jahr eine Rezession vermeiden und eine "weiche Landung" für ihre Wirtschaft erreichen. Und auch Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas kann eine Winter-Rezession wohl abwenden.

Rückgang der Gaspreise sorgt für "deutlich verbesserte" Lage

"Im Vergleich zum Zustand vor zwei oder drei Monaten hat sich die Lage der Weltwirtschaft deutlich verbessert", sagt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, im Gespräch mit tagesschau.de. Er verweist vor allem auf den Rückgang der Gaspreise. "Jeder Euro weniger beim Preis für eine Megawattstunde bedeutet eine Milliarde Euro weniger Belastung für die deutsche Wirtschaft." Für andere Länder gelte ein ähnlicher Mechanismus, wenn auch andere Größenordnungen, so Dullien.

Die Großhandelspreise für Gas in Europa sacken derzeit stark ab. Der als Referenz geltende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in den Niederlanden lag gestern bei rund 57 Euro je Megawattstunde. Zum Vergleich: Im März und August 2022 hatte der Preis zeitweise noch über 340 Euro notiert. Die Stabilisierung auf dem Energiemarkt hat auch Auswirkungen auf die Gesamtinflation. Sowohl in der Eurozone als auch in den USA stiegen die Verbraucherpreise zum Jahresende weniger stark als erwartet.

Auch für Jens Südekum, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre am Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) der Heinrich-Heine-Universität, hat sich die Lage in den vergangenen sechs Monaten durch die Entspannung in der Gaskrise "deutlich aufgehellt". "Die Aussicht auf eine schlimme Rezession hat sich verflüchtigt", beschreibt der Experte gegenüber tagesschau.de. Ähnlich sieht es der Konjunkturexperte vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Klaus-Jürgen Gern: "Das Risiko, dass wir in eine weltwirtschaftliche Rezession rutschen, ist kleiner geworden."

Unsicherheitsfaktoren für die Weltwirtschaft bleiben

Und dennoch: Einige Vorhersagen für die globale Konjunktur fallen weiterhin düster aus. So warnte etwa die Weltbank in der vergangenen Woche vor einer globalen Rezession und senkte ihre Wachstumsprognose von 3,0 auf lediglich 1,7 Prozent - abgesehen von den Krisenjahren 2009 und 2020 der niedrigste Wert seit fast drei Jahrzehnten. US-Starökonom Nouriel Roubini bezifferte die Wahrscheinlichkeit, dass die Industrienationen spätestens 2024 in einer Rezession versinken, jüngst in einem "Handelsblatt"-Interview auf 65 Prozent.

Wie sehen es die Experten hierzulande? "Ich würde die Wahrscheinlichkeit für eine globale Rezession mittlerweile auf unter 50 Prozent setzen", betont IMK-Ökonom Dullien. Trotzdem gebe es weiterhin ziemlich große Risiken wie eine Eskalation im Ukraine-Krieg und neue Probleme auf den Energiemärkten. Auch dass die Zentralbanken nun die Zinsen langsamer erhöhen, sei nicht in Stein gemeißelt. "Da besteht die Gefahr, dass sie die Zinsen zu stark erhöhen und dadurch eine Rezession auslösen oder verschärfen."

"Ich glaube immer noch, dass wir ein relativ schwaches Jahr für die Weltwirtschaft vor uns haben. Einen Anlass, extrem pessimistisch zu sein, sehe ich aber nicht", meint IfW-Experte Gern. In Europa verhindere die Entspannung der Energiekrise einen konjunkturellen Einbruch. Positive Impulse verspreche er sich im Jahresverlauf auch aus China, wo unlängst die strikte Null-Covid-Politik aufgehoben wurde. Die Wiedereröffnung in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt trägt dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge dazu bei, die Situation bei den Lieferketten zu entspannen.

Lieferkettenprobleme nehmen ab

Im Dezember litten nach einer Umfrage des ifo-Instituts nur noch 50,7 Prozent der Unternehmen hierzulande darunter, dass bestellte Vorprodukte und Materialien schwer zu bekommen seien. Im November waren es noch 59,3 Prozent. "Durch die Lieferengpässe im Jahr 2021 und 2022 haben Firmen einen enormen Berg an Aufträgen nicht abgearbeitet, die noch in den Büchern stehen. Nun können sie trotz weniger Neuaufträgen mehr produzieren, was die Industrie weltweit stützt", erklärt Gern.

Wirtschaftswissenschaftler Südekum bremst derweil ein wenig: "Die positive Entwicklung der Weltwirtschaft ist getrieben durch USA, Europa und China. Abseits der drei großen Player gibt es viele kleinere Länder mit enormen Problemen." Entwicklungs- und Schwellenländer wie Sri Lanka, Ägypten oder Argentinien könnten durch die Zinswende in den USA und die damit verbundene Aufwertung des US-Dollars in Schuldenkrisen rutschen.

Konjunkturforscher Gern hält dieses Szenario aber für unwahrscheinlich: "Die Befürchtungen, dass der Zinsanstieg dort zu einem massiven Kapitalabfluss und Turbulenzen an den Finanzmärkten führt, haben sich nicht bewahrheitet." Er sehe nicht, warum sich das ändern solle. Für Gern sei das größte Risiko, dass in den USA der Konsum nach den vielen finanziellen Hilfen nun einbreche.

Ende für die Globalisierung?

Das Weltwirtschaftsforum (WEF), das derzeit in Davos stattfindet, sagt indes in ihrer aktuellen Risikoanalyse ein "unsicheres und turbulentes Jahrzehnt" voraus, in dem eine "neue Ära" auf Wachstum und Fortschritt folge. Die hohe Inflation, eine weltweite Rezession und sinkende Investitionen könnten demnach den offenen Welthandel behindern. Daher steht das WEF in diesem Jahr unter dem Motto "Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt".

"Mit der Covid-Krise ist klar geworden, dass Effizienz nicht alles ist, sondern es auch auf Resilienz ankommt", meint Dullien. "Ein Schritt weg von der extremen Globalisierung kann deshalb auch eine Versicherung sein." Die teilweise Verlagerung der Produktion von strategischen Gütern und die Diversifizierung von Partnerschaften sei zwar womöglich teurer, könne das Leben aber verlässlicher machen.

Auch Südekum sieht eine Umorganisation von globalen Lieferketten: "Die Lieferketten waren bislang auf Kostenminimierung ausgelegt und zu riskant im Falle einer Pandemie oder bei geopolitischen Spannungen." Die steigenden Kosten könnten zwar konjunkturell eine Belastung darstellen - das sei aber keine kurzfristige Auswirkung. Aktuell laufe der Welthandel noch stabil. "Im laufenden Jahr überwiegen die positiven Signale."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Januar 2023 um 08:00 Uhr.