Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland "Der Fiskalpakt wird bleiben, der Euro überleben"
Die Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland könnten den Kampf gegen die Euro-Krise erschweren. Ob die neuen Regierungen die Sparpolitik fortsetzen, ist unsicher. Trotzdem: "Der Fiskalpakt wird bleiben", meint ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause im Gespräch mit tagesschau.de. Und auch der Euro werde überleben.
tagesschau.de: Bei den Wahlen in Frankreich und Griechenland wurden die bisherigen Regierungen abgestraft. Hat Europa den Sparkurs abgewählt?
Rolf-Dieter Krause: Das sieht jedenfalls so aus. Die Griechen haben aber sehr widersprüchlich gewählt. Nach allen Umfragen wollen drei Viertel von ihnen im Euro bleiben. Trotzdem haben sie mehrheitlich Parteien gewählt, die nicht die Konsequenzen daraus tragen wollen. Eines wird in beiden Ländern deutlich: Es gibt eine Sehnsucht der Menschen, die harten Folgen nicht tragen zu müssen, die die falsche Politik des vergangenen Jahrzehnts nach sich zieht. Aber diese Folgen sind nun mal da, egal wer in Griechenland oder Frankreich regiert.
Rolf-Dieter Krause leitet seit 2001 das ARD-Fernsehstudio in Brüssel. Bereits 1992 veröffentlichte der gebürtige Lüneburger sein Buch "Europa auf der Kippe: Vierzehn Argumente gegen den Vertrag von Maastricht". 2012 wurde er vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Er sei im Schicksalsjahr der Eurokrise zum Erklärer Europas geworden.
tagesschau.de: Welche Auswirkungen wird das Wahlergebnis auf die griechische Wirtschaft haben?
Krause: Es ist keine eindeutige, handlungsfähige Regierung aus dieser Wahl hervorgegangen. Am wahrscheinlichsten ist eine Regierungsbildung unter Antonis Samaras mit seiner Partei Nea Dimokratia an der Spitze. Aber Samaras hat offenbar auch nichts gegen Neuwahlen. So lange, bis ein Wahlergebnis kommt, das ihm passt.
Aber das ist ein sehr riskanter Weg. Griechenland muss schon in kürzester Zeit wieder Sparmaßnahmen angehen, und es braucht wieder Geld. Die griechische Bevölkerung bringt schwere Opfer, aber die sind die Gegenleistung für die schweren Opfer, die Europas Steuerzahler für Griechenland bringen. Griechenland braucht dafür eine handlungsfähige Regierung, die die vereinbarten Maßnahmen umsetzt. Wenn es daran fehlt, dann fehlt die Voraussetzung für Europas Solidarität.
"Der Euro wird das überleben"
tagesschau.de: Welche Auswirkungen haben diese instabilen Mehrheitsverhältnisse auf die Stabilität des Euro?
Krause: Da sind mehrere Unbekannte im Spiel. Ich denke, der Euro wird das überleben, der ist schon bisher so gebeutelt worden, dass eine Menge zu seiner Stabilisierung getan worden ist. Aber diese Krise ist vor allem eine Vertrauenskrise. Niemand will den Griechen mehr Geld leihen, weil man nicht darauf vertraut, dass man es zurückbekommt. Vertrauensbildung wäre also jetzt das wichtigste. Da schadet es, wenn die griechische Regierung nicht eindeutig zu den Vereinbarungen der vergangenen Monate steht.
Samaras gilt in Brüssel ohnehin nicht als verlässlicher Partner. Er hat im Wahlkampf immer wieder geäußert, dass er die Vereinbarungen neu verhandeln will, obwohl er ihnen zuvor zugestimmt hatte. Er redet zu Hause anders als gegenüber seinen Partnern. Und wenn er jetzt - wie Hollande - von Wachstumsförderung spricht, von weniger sparen, dann sorgt das wieder für Misstrauen. Beide - Samaras und Hollande - müssen eine entscheidende Frage beantworten: Woher soll das Geld kommen, das sie nicht mehr einsparen wollen?
"Wenn Griechenland nicht spart, wird nicht gezahlt"
tagesschau.de: Aber die Vereinbarungen mit Griechenland sind doch bereits verhandelt. Wie könnte das Land da jetzt wieder aussteigen?
Krause: Eigentlich gar nicht. Die Europäische Hilfe für Griechenland ist an Anpassungsprogramme geknüpft, die mit der griechischen Regierung vereinbart wurden. Da ist ganz genau geregelt, was die Griechen alles tun müssen. Die Hilfe wird aber in Tranchen gezahlt und nicht auf einen Schlag. Die Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB schaut vor Ort, ob die Vereinbarungen umgesetzt werden. Und wenn nicht, dann gilt die Hilfsbereitschaft Europas nicht mehr.
tagesschau.de: Das heißt, die Auszahlung der nächsten Tranchen ist gefährdet?
Krause: Ja, wenn Samaras sich nicht an die Vereinbarungen hält. Und das steht zu befürchten.
"Woher will Hollande das Geld für Wachstumsförderung nehmen?"
tagesschau.de: Auch François Hollande in Frankreich hat angekündigt, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, obwohl Sarkozy bereits zugestimmt hatte. Ist es möglich, dass Hollande den Fiskalpakt dennoch aufweicht?
Krause: Der Fiskalpakt ist in Frankreich noch nicht ratifiziert. Bisher haben ihn überhaupt erst zwei Länder ratifiziert. Technisch besteht also die Möglichkeit, dass Frankreich nicht beitritt, ob diese Möglichkeit aber politisch besteht, ist die Frage.
Frankreich befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen Lage. Das Land hat durch sehr hohe Lohnabschlüsse stark an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die Verschuldung ist sehr hoch. Das ist ein Sprengsatz. Denn auch Hollande weiß nicht, woher er das Geld für eine Wachstumspolitik nehmen will. Die Steuereinnahmen reichen nicht, und die Reichensteuer, die er einführen will, wird das Problem auch nicht lösen. Auch er braucht Kredite, und wenn er die Stabilitätspolitik aufgibt, wird er von den Märkten mit höheren Zinsen bestraft werden.
tagesschau.de: Was würde denn passieren, wenn Frankreich den Fiskalpakt nicht ratifiziert?
Krause: Der Fiskalpakt gilt nur in den Ländern, die ihn ratifizieren. Aber nur die bekommen auch Hilfen aus dem Rettungsfonds. Den Pakt könnte es geben, Frankreich wäre eben nur nicht dabei. Aber politisch wäre ein solcher Pakt ohne Frankreich eigentlich erledigt.
"Merkel kann den Fiskalpakt nicht neu verhandeln"
tagesschau.de: Würde Hollande so weit gehen? Oder ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass er und Merkel einen Kompromiss finden zwischen Haushaltsdisziplin und Wachstumsförderung?
Krause: Hollande gilt als pragmatisch. Frau Merkel kann den Fiskalpakt aus innenpolitischen Gründen nicht neu verhandeln. Sie hat fast schon zu oft nachgegeben. Aber es kann Ergänzungen geben zur Wachstumsförderung. Die Frage dabei ist, wie die aussehen sollen: Wenn man einfach Staatsgeld in die Wirtschaft pumpt, entfacht man ein Strohfeuer und erhöht die Schulden. Wenn man hingegen Wachstumshemmnisse abbaut, Strukturen verändert, flexibler wird, dann kann das viel bewirken.
tagesschau.de: Ist Deutschland denn ein gutes Vorbild, was das Sparen betrifft? Die deutsche Konjunktur sprudelt und trotzdem wird nicht gespart.
Krause: Stimmt. Statt Schulden abzubauen, vergrößern die Regierungen in Bund und Ländern die Schulden unseres Landes von Jahr zu Jahr. Wenn man nicht in Zeiten der Hochkonjunktur Konsolidierungspolitik betreibt, wann denn dann?
Andererseits haben die Deutschen in den Jahren zwischen 2001 und 2008 schon vieles erledigt, was andere Länder nicht erledigt haben. Die anderen Länder haben sich an niedrigen Zinsen erfreut und über ihre Verhältnisse gelebt. In Deutschland hat man stattdessen Lohnzurückhaltung geübt und den Arbeitsmarkt reformiert. Deshalb brummt unsere Wirtschaft jetzt. Allerdings hat auch bei uns eine Regierung dafür büßen müssen: Die Regierung Schröder ist für die Maßnahmen, die uns jetzt so nützen, abgewählt worden.
Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.