Energiekrise Wie kommen die Strompreise zustande?
Die jüngsten Rekordpreise am Strommarkt verunsichern die Verbraucher. Die Preisbildung folgt einem speziellen Mechanismus. Wie sieht er aus - und was tut die Politik dagegen?
Was macht ein Stromversorger, wenn er morgen voraussichtlich mehr Strom liefern muss, als er selbst zur Verfügung hat? Er kauft Strom zu, bei bewährten Partnern - oder an der Börse, deren Preise auch für außerbörsliche Geschäfte bestimmend sind. In Deutschland ist das die Strombörse "European Energy Exchange", kurz EEX, mit Sitz in Leipzig.
Die Preisbildung dort funktioniert nach einem europaweit einheitlichen Prinzip. Dabei kommen immer die Kraftwerke zuerst zum Zug, die den günstigsten Preis anbieten können. Lange Jahre führten die Atomkraftwerke diese Einsatzreihenfolge (englisch "Merit Order" genannt) an. Es folgten die Braun- und Steinkohlekraftwerke. Strom mit dem Verbrennen von Erdgas oder gar Öl zu produzieren, war schon immer das teuerste traditionelle Verfahren.
Die Erneuerbaren Energien, vor allem also Strom aus Wind- und Solarkraftwerken, spielen eine Sonderrolle. Unter dem Schutz des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG), das eine vorrangige Berücksichtigung dieser Strommengen in der Merit Order vorschreibt, sind die Verfahren immer kostengünstiger geworden. Wind und Sonne zählen heute, je nach Berechnungsmethode, zu den günstigsten Stromlieferanten.
Teuerstes Kraftwerk bestimmt den Preis
Die einheitliche Regelung namens Merit-Order-Prinzip nun besagt, dass das teuerste Kraftwerk, das noch benötigt wird, um den Bedarf zu decken, den Strompreis bestimmt. Diesen Preis können also auch alle anderen, günstigeren Anbieter vereinnahmen.
Das Ziel ist, die Anbieter mit den günstigsten, effizientesten Verfahren zu belohnen und deren Produktion zu fördern. Gleichzeitig sollen aber auch die teureren Kraftwerke, die letztlich eine sichere Stromversorgung gewährleisten, im Markt gehalten werden. Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert - und tendenziell auch den Börsenpreis gesenkt. Insbesondere die Anbieter Erneuerbarer Energien tragen dazu bei - wenn denn der Wind weht und die Sonne scheint. Je mehr Ökostrom eingespeist wurde, desto weniger teure Kraftwerke wurden gebraucht.
Doch was als durchaus gute Idee gelten kann, ist im Zuge der Energiekrise des Jahres 2022 zum Problem geworden. Denn die teuersten Kraftwerke - die Gaskraftwerke - sind angesichts der Explosion der Gaspreise noch teurer geworden. Und Strom aus Gas wird immer noch gebraucht. Zuletzt stammten noch rund zehn Prozent des verbrauchten Stroms aus Gaskraftwerken. Und deren Kosten schlagen dank des Merit-Order-Prinzips voll auf den Börsenpreis durch.
Mehrere Preistreiber
Das ist der wesentliche Preistreiber am Strommarkt. Dazu kommt die aktuelle Häufung technischer Probleme bei den französischen Atomkraftwerken, die wegen Wartungsarbeiten derzeit nur rund die Hälfte der installierten Leistung liefern können. Auch die derzeitige Dürre wirkt preissteigernd, insbesondere weil der Kohletransport über die Flüsse angesichts der niedrigen Pegelstände behindert wird und daher weniger Kohlestrom angeboten werden kann.
Bei den Stromkunden schlagen die hohen Preise glücklicherweise nicht im vollen Ausmaß durch. Denn die Energieversorger kaufen große Mengen langfristig zu festen Preisen ein. Am Terminmarkt der Strombörse EEX ist dies für bis zu sechs Jahre möglich. Aber der Anteil teureren Stroms nimmt naturgemäß schon seit einiger Zeit zu. Die Stromrechnung wird also mittelfristig signifikant höher ausfallen.
Strompreise sollen unabhängiger vom Gaspreis werden
Um die Verbraucher zu schützen, will die Politik daher den Strommarkt reformieren. Das grundsätzliche Merit-Order-Prinzip soll dabei nach jetzigem Stand nicht angetastet werden. Stattdessen werden verschiedene andere Lösungsmodelle diskutiert. Insbesondere wird ein Mechanismus gesucht, der die Endkundenpreise für Strom vom steigenden Gaspreis entkoppelt. Schon vor einer tiefgreifenderen Reform des Strommarktes, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für Anfang 2023 ankündigte, soll es ein "Notfallinstrument" geben, das schon in den nächsten Wochen greift.
Denkbar wäre eine künstliche Verbilligung des Gases, das für die Stromerzeugung verwendet werden muss, was auf eine Subventionierung der teuren und CO2-kritischen Gaskraftwerke mit Steuergeldern hinausliefe. Ein anderer Ansatz zielt auf die viel diskutierten "Übergewinne" der günstigeren Anbieter von Kohle- oder Ökostrom, die man auf die Verbraucher umverteilen könnte - was wiederum eine alte Diskussion aufrührt und teils den Absichten des EEG widersprechen würde.
In Deutschland ist auch das Thema einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke noch nicht endgültig vom Tisch. Derzeit soll ein Stresstest klären, ob das Stromnetz ohne deutschen Atomstrom auch in einer Krisensituation stabil bliebe oder möglicherweise gefährdet wäre.