Hohe Auslandsnachfrage Gaskraftwerke produzieren mehr Strom
Trotz stark gedrosselter Energielieferungen aus Russland haben deutsche Gaskraftwerke im Juli mehr Strom erzeugt als 2021. Das liegt auch an der hohen Nachfrage aus Ländern wie Frankreich.
Gaskraftwerke in Deutschland haben im Juli deutlich mehr Strom produziert als im Vorjahresmonat. In diesem Juli stieg die erzeugte Strommenge auf 4036 Gigawattstunden von 3558 Gigawattstunden im Juli 2021. Das entspricht einem Anstieg von 13,5 Prozent, wie aus dem Strommarktdatenportal Smard der Bundesnetzagentur hervorgeht.
Bereits im Mai dieses Jahres lag die erzeugte Strommenge deutlich über der des Vorjahres, im Juni allerdings etwas darunter. Blickt man in das Jahr 2020, liegen die Zahlen aller drei Monate wiederum deutlich über allen Werten von 2021 und 2022. So erzeugten etwa Gaskraftwerke im Juli 2020 insgesamt 5888 Gigawattstunden Strom.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte jüngst einen Stopp der Stromproduktion mit Hilfe von Gas gefordert. Man müsse daran arbeiten, dass zur Gaskrise nicht eine Stromkrise komme, so Lindner in der "Bild am Sonntag". "Deshalb darf mit Gas nicht länger Strom produziert werden, wie das immer noch passiert." Das Wirtschaftsministerium verwies darauf, dass ein völliger Verzicht auf Gas im Stromsektor zu einer Stromkrise und Blackouts führe.
Stromexport nach Frankreich fast versechsfacht
Der Branchenverband Zukunft Gas vermutet als Grund für das aktuelle Plus eine stark erhöhte Stromnachfrage aus Frankreich, wo derzeit zahlreiche Atomkraftwerke nicht am Netz sind, sowie aus der Schweiz. Dort kann derzeit wegen der Dürre nicht so viel Strom aus Wasserkraft produziert werden.
Bereits im zweiten Quartal habe sich der Stromexport aus Deutschland nach Frankreich gegenüber dem Vorjahr fast versechsfacht. Beim Export in die Schweiz betrug der Anstieg sogar mehr als das Sechsfache. "Diese Strommengen wurden zum Teil wohl mit Gaskraftwerken produziert und exportiert", sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.
"Nachbarschaftliche Solidarität"
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" von einem Effekt gesprochen, der etwas mit "nachbarschaftlicher Solidarität" zu tun habe, "auch wenn er unter Gas-Gesichtspunkten nicht wünschenswert ist".
Energieexperte Mirko Schlossarczyk vom Energieberatungshaus enervis energy advisors sagt im Gespräch mit tagesschau.de, dass man eine gegenläufige Bewegung zu dem sehe, was energiepolitisch eigentlich vorhergesehen sei: Gas zu sparen in der Verstromung. Eine 13,5 Prozent höhere Stromproduktion aus Gaskraftwerken im Juli 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat bedeutete, dass etwa eine Terawattstunde (TWh) mehr Gas zur Verstromung eingesetzt wurde.
Derzeit kämen viele Probleme zusammen, so Schlossarczyk. Im Sommer sei es in Frankreich historisch immer wieder zu Instandhaltungsmaßnahmen der Kernkraftwerke gekommen. Nun gebe es außerdem Probleme mit dem fehlenden Kühlwasser und technische Schwierigkeiten. All das führe dazu, dass Deutschland das erste Mal seit Jahren in den Sommermonaten per Saldo erhebliche Mengen Strom nach Frankreich liefere. Die französischen Strompreise hätten Höchststände erreicht, die vor allem durch hohe Risikoaufschläge geprägt seien.
Hohe Gaspreise bedeuten auch teuren Strom
"Wenn wir sagen: Wir müssen Gas sparen, weil wir es im Wärmemarkt brauchen, dann müsste man konsequenterweise auch sagen, dass man die Gaskraftwerke stilllegt", so Schlossarczyk. Dann müsse es die klare Entscheidung geben, Gas nicht mehr zu verstromen. Denn solange die hohen Gaspreise in den Strommarkt abgewälzt werden könnten, werde das nach marktwirtschaftliche Regeln auch gemacht. Die andere Frage sei, inwieweit das bei einer möglichen Gasmangellage vertretbar sei.
Eine Entspannung der Strompreise hält der Experte nicht für ausgeschlossen. Sie hänge aber von verschiedenen Faktoren ab. Voraussetzung sei auch die Normalisierung der Pegelstände in den Flüssen und eine Verbesserung der Situation bei den französischen Kernkraftwerken. Zudem müsste, wie im Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (EKBG) geplant, eine Reihe von Kohlekraftwerken ans Netz zurückkehren. Das jedoch gehe nicht von heute auf morgen. Auch ein Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke könne für Entlastung sorgen.