Deutscher Einzelhandel Mehr Ladendiebstahl durch Inflation?
Nahrungsmittel haben sich in den vergangenen Monaten stark verteuert. Wird deswegen nun in Supermärkten mehr geklaut? Klare Belege dafür gibt es derzeit nicht.
Ladendiebstahl ist kein Thema, über das Einzelhandelsketten gerne sprechen. Man mache "grundsätzlich keine Angaben zur Häufigkeit von Diebstählen in unseren Filialen", heißt es etwa von Lidl. Auch Rewe, Edeka und Aldi Süd lassen die entsprechenden Fragen von tagesschau.de unbeantwortet. Dem Handelsverband HDE liegen nach eigenen Angaben für das laufende Jahr keine Zahlen zu Ladendiebstählen vor.
"Die eine oder andere Wurst verschwindet"
Allenfalls vereinzelt äußern sich Händler. Kati Sommer, die in Magdeburg zwei Rewe-Filialen führt und gleichzeitig Präsidentin des Handelsverbands Sachsen-Anhalt ist, berichtet von einem Anstieg von Diebstählen durch Hausfrauen und Rentner.
"Mit ihrem Geldbeutel müssen sie kalkulieren, und da verschwindet dann schon mal die eine oder andere Wurst oder das eine oder andere Brot in einer Extratasche", sagte Sommer dem mdr. Auch von anderen Händlerinnen und Händler erfahre sie zunehmend von Ladendiebstählen.
Preise überdurchschnittlich gestiegen
Klar ist: Der Preisanstieg bei Nahrungsmitteln liegt deutlich über der ohnehin schon außergewöhnlich hohen Inflationsrate. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stiegen die Nahrungsmittelpreise im September verglichen mit dem Vorjahresmonat um 18,7 Prozent. Der Gedanke, dass die wirtschaftliche Not Menschen dazu treiben könnte, etwas im Supermarkt mitgehen zu lassen, liegt also durchaus nahe.
Offenbar wird diese Vermutung auch von den Händlern selbst geteilt. In einer Studie des Kölner Handelsinstituts EHI heißt es, dass die befragten Unternehmen aufgrund der steigenden Preise "zunehmende Diebstahlsgefahren" sehen. Die Befragung fand bereits im März und April statt, als die Preissteigerungen noch nicht so hoch waren wie derzeit. Durch die sinkende Kaufkraft wachse die "unredliche Bedarfsdeckung, meinen die Händler", heißt es in der Studie weiter.
Handelsexperte ist skeptisch
Der Autor der EHI-Studie, Frank Horst, ist aber skeptisch, ob es tatsächlich so kommt. Er untersucht schon seit Jahren die "Inventurdifferenzen" der Einzelhändler. Dabei handelt es sich um Waren, die im Bestand fehlen, obwohl ihr Verkauf nicht dokumentiert wurde. So versucht Horst, Ladendiebstähle zu erfassen, die zunächst unbemerkt bleiben und deshalb nicht in der Kriminalitätsstatistik auftauchen.
In der Vergangenheit habe er keine Verbindung zwischen der Wirtschaftsentwicklung und der Zahl von Ladendiebstählen feststellen können, sagt Horst. Als 2015 und 2016 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, die zunächst von staatlichen Leistungen lebten, habe das keine Auswirkungen auf die Zahl der Inventurdifferenzen gehabt: "Auch in Zeiten höherer Arbeitslosigkeit gab es keine erkennbaren Veränderungen", so Horst. "Wenn Menschen ärmer werden, führt das nicht zwangsläufig zu mehr Diebstahl."
Höhere Sicherheitsmaßnahmen möglich
Der Handelsverband HDE schließt sich dieser Sichtweise an. Stattdessen beobachtet er ein verändertes Kaufverhalten: "So schauen beispielsweise mehr Kundinnen und Kunden gezielt nach Sonderangeboten oder kaufen weniger ein als gewohnt", sagt HDE-Sprecher Stefan Hertel.
EHI-Handelsexperte Horst kann sich vorstellen, dass die Einzelhändler verstärkte Sicherheitsmaßnahmen ergreifen werden, falls sie tatsächlich mehr Diebstähle feststellen sollten. "Im Lebensmitteleinzelhandel sind bisher nur wenige Artikel - wie beispielsweise Spirituosen oder Rasierklingen - besonders gesichert", so Horst. Security-Personal ist im Lebensmitteleinzelhandel weit weniger üblich als beispielsweise im Elektronikfachhandel. Die von tagesschau.de befragten Einzelhandelsketten wollten sich hinsichtlich einer möglichen Erhöhung von Sicherheitsmaßnahmen nicht äußern.