Altersarmut Wenn es fürs Leben kaum reicht
Kaum Geld für Essen und Strom - und oft nicht einmal für Medikamente. Das Entlastungspaket für den Herbst soll denen helfen, die am wenigsten haben, heißt es. Aber was brauchen sie eigentlich?
Eigentlich will Dagmar Neiser nur einen Obstsalat. Eis essen war sie ewig nicht. Ins Restaurant? Da winkt sie ab. Nein, aber ein Obstsalat, das wäre etwas für die 71-jährige Münchnerin und ihren Ehemann Peter. Denn Obst gab es schon lange nicht mehr.
Die beiden sind auf Grundsicherung angewiesen, also Hartz IV für Rentner. Miete und Gas werden vom Amt übernommen. Alles andere, wie Strom, Medikamente oder Lebensmittel, finanzieren sie selbst. Etwa 600 Euro haben sie dafür im Monat zur Verfügung. Sämtliche Rücklagen, die sie während ihres gut 30-jährigen Arbeitslebens angespart haben, sind inzwischen aufgebraucht.
Neues Gesamtpaket
Für Menschen wie das Ehepaar Neiser hat Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt versprochen, mehr zu tun. Er wolle "schnell" ein Gesamtpaket schnüren, "das alle Bevölkerungsgruppen umfasst", sagte er. Damit sprach er auch über Menschen, die wenig bis kein Geld verdienen.
Die also auch nichts zurücklegen können, und trotzdem die Folgen und Unsicherheiten von Pandemie, Inflation und Krieg zu spüren bekommen. Denn Menschen wie Dagmar Neiser haben nichts von angehobenen Steuerfreibetragsgrenzen, Kinderboni, Homeoffice-Pauschalen oder Tankrabatten.
Im September 2021 erhielten fast 680.000 Menschen über 65 Jahren die Grundsicherung. Sozialverbände gehen aber davon aus, dass die Altersarmut deutlich weiter verbreitet ist: "Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein", schätzt Verena Bentele. Sie ist die Bundesvorsitzende des Sozialverbands VdK. "Denn aus unserer Rechtsberatung wissen wir, dass viele Menschen keine Grundsicherung beantragen, weil sie das stigmatisierend finden."
Sozialverbände fordern konkretere Entlastungen für die Armen
Aus dieser Überlegung heraus fordern der VdK und andere Sozialverbände eine ganze Liste an Dingen, die getan werden müssten, um arme Menschen in diesen Zeiten mehr zu unterstützen.
Das reicht von der Ausweitung der Beratungsangebote über die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro auch für Rentnerinnen und Rentner, bis hin zum Wegfall der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel. Sollten die Bemühungen weiter so an den Ärmsten der Gesellschaft vorbeigehen, so der VdK, drohe eine "soziale Krise".
Bisher keine fiskalen Entlastung bei Nachzahlungen
Dagmar Neiser sagt, sie habe keine Lust, sich das Leben zu verderben. Aber ja, manchmal fühle sie sich von der Politik vergessen. Während der gesamten Pandemie haben sie bisher 200 Euro Corona-Bonus bekommen. Das war's.
Und dann noch dieser Winter vor der Tür. Schon jetzt stehen ihr knapp 300 Euro Nachzahlung für Strom ins Haus. "Die Unsicherheit belastet mich sehr. Ich frage mich ständig: Bemühen wir uns genug? Können wir davon noch leben? Was, wenn nicht?", sagt Neiser, die sehr viel Lebenszeit damit verbringt, Strom, Gas und Geld zu sparen.
Immer mehr Senioren auf Spenden angewiesen
Wenn Dagmar Neiser einkauft, dann muss sie auf das Geld achten. Der Beutel, den die ehemalige Verwaltungsangestellte vom Supermarkt nach Hause trägt, ist nicht besonders schwer. Trotzdem hat der Einkauf heute immerhin 27 Euro gekostet. Da bleiben ihr noch acht Euro übrig von dem Geld, das sie jeden Monat anonym über den Lichtblick e.V. gespendet bekommt.
Der Verein unterstützt Rentnerinnen und Rentner, bei denen das Geld nicht ausreicht. Von dort hat sie auch das Pflegebett, das ihr die Krankenkasse nicht zahlen wollte. Genauso wie die Atemmaske, die Medikamentenzuschüsse und einen Kleiderschrank. "Gäbe es die nicht, dann wüsste ich nicht weiter. Die haben mich gerettet", sagt Neiser immer wieder.
Die Ausgaben des Vereins für Lebensmittel-Hilfen dürften bis zum Ende des Jahres um das Dreifache im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sein, schätzt eine Sprecherin. Bei den Tafeln sieht es ähnlich aus: Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die sich Lebensmittel von der Tafel holen, hat sich deutschlandweit innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Vergangenes Jahr waren es laut Bundesverband der Ausgabestellen 350.000. Zudem arbeiten immer mehr Menschen über das Renteneintrittsalter hinaus, einige von ihnen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen.
Pläne "noch viel zu unkonkret"
Auch Dagmar Neiser hat von der Ankündigung des Bundeskanzlers gehört. Wann diese Hilfen kommen, ist aber noch ungewiss. In Neisers Augen ist das alles noch zu unkonkret. Eine Einmalzahlung würde ihr wenig bringen, eher bräuchte sie zusätzlich zur Grundsicherung einen monatlichen Betrag, den sie fürs Einkaufen ausgeben kann. Oder gleich den Wegfall der Mehrwertsteuer für Lebensmittel. Egal was, es sollte möglichst schnell kommen.