Tafeln in Deutschland Am Limit
Krieg in der Ukraine, gestiegene Energiepreise, teure Lebensmittel - die Nachfrage bei den Tafeln ist so groß wie seit Langem nicht mehr. Doch ausgerechnet jetzt sinkt mancherorts die Spendenbereitschaft.
Von Mirela Delić, SWR
Karyna ist vor etwa drei Wochen in Koblenz angekommen. Gemeinsam mit ihrer drei Jahre alten Tochter, Mutter und Tante ist sie aus Charkiw in der Ukraine geflohen. Jetzt wartet sie wie viele andere vor der Ausgabestelle der Koblenzer Tafel. "Meine Freundin hat mir erzählt, dass man hier heute Lebensmittel bekommen kann."
Deutschlandweit bieten die Tafeln derzeit solche Sonderausgaben an. Sie richten sich an geflüchtete Menschen aus der Ukraine und ihre Gastgeber. Der Andrang ist groß. Eigentlich war diese Essensausgabe vor allem für Menschen aus Koblenz gedacht. Gekommen sind aber auch viele aus den Nachbarorten. "Wir gehen davon aus, dass das Geld nicht sofort fließt, wenn die Leute hier ankommen. Wir wollen mal sehen, was daraus wird", sagt Peter Bäsch, Vorsitzender der Tafel in Koblenz.
Vor allem die Tafeln in Großstädten spüren die Folgen des Krieges in der Ukraine, wie der Bundesverband der Tafeln mitteilt. Beispielsweise in Berlin: Dort berichtet die Tafel von vielen neuen Kundinnen und Kunden aus der Ukraine. Der neue Andrang sei aber fast überall zu verzeichnen und betrifft auch kleinere Orte, beispielsweise Kusel in Rheinland-Pfalz: "In den vergangenen acht Wochen sind 100 neue Kunden zu uns gekommen", sagt Wolfram Schreiner, Geschäftsführer der Kuseler Tafel. Auch die Tafeln in anderen Städten melden eine ähnliche Entwicklung.
Krieg in der Ukraine und Inflation
"Die Tafeln sind aktuell so sehr gefordert wie nie zuvor", sagt Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbands der Tafeln. Der Krieg in der Ukraine sei aber nur eine Ursache dafür, weshalb die vielen Ehrenamtlichen der Tafeln an ihre Grenzen stoßen. Auch schon vor Kriegsbeginn verzeichneten die Stellen immer mehr Zulauf.
Bereits durch die Coronavirus-Pandemie hätten immer mehr Menschen mit finanziellen Einbußen zu kämpfen gehabt. Hinzu kommen nun die gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten. "Für Menschen mit wenig Geld sind die Preissteigerungen eine echte Bedrohung", sagt Brühl.
Mehr Bedarf, aber weniger Spenden
Den steigenden Bedarf zu decken wird nach Angaben des Bundesverbands immer schwieriger, auch weil die Stellen in einigen Städten immer weniger Spenden erhielten. "Das Ausmaß, in dem die Tafeln davon betroffen sind, ist unterschiedlich. Im Fall der Berliner Tafel ist der Umfang der Lebensmittelspenden beispielsweise seit Jahresbeginn um circa ein Drittel zurückgegangen", erklärt Brühl.
Diese Entwicklung bestätigt auch der Geschäftsführer der Tafel im rheinland-pfälzischen Bingen, Ralf Blümlein: "Es ist ein echter Kampf im Moment. Es wird immer schwerer, die benötigten Spenden zusammenzubekommen. Wir haben bereits Lebensmittel selbst hinzugekauft, aus der eigenen Tasche. Lange können wir das aber nicht so machen."
Ursache Hamsterkäufe?
Über die Gründe, warum die Spendenbereitschaft in einigen Regionen zurückgeht, lässt sich nur spekulieren. "Käuferinnen und Käufer greifen aktuell vermehrt nach günstigen und reduzierten Produkten. Für die Tafeln bleibt weniger Ware übrig", vermutet Brühl. Auch Hamsterkäufe könnten eine Ursache dafür sein, dass die Tafeln weniger Lebensmittel zur Verfügung gestellt bekommen.
Ein weiterer Grund könnte sein, dass Lebensmittelbetriebe immer genauer kalkulieren müssen. In Zeiten, in denen die Rohstoffpreise sehr hoch sind, sei das besonders wichtig, erklärt Gerd Laun-Pavlowsky, Geschäftsführer der Bäckerei Preis in Hochheim am Main. "Wir versuchen noch bewusster zu produzieren, sodass wir am Ende weniger Überschuss haben." Die Lebensmittel, die übrig bleiben, spendet die Bäckerei aber weiterhin an verschiedene Organisationen in der Region.
Manfred Werner, Inhaber von Werners Backstuben mit 50 Bäckerei-Filialen in und um Mainz, spendet auch regelmäßig an die Tafeln in der Region. Die aktuellen Preissteigerungen würden aber die Menge seiner Spenden nicht beeinflussen. "Wir haben immer mehr Retoure als die Tafeln eigentlich nehmen können", sagt er. "Bei uns ist genug da und wir werden weiter beliefern, unabhängig von Preissteigerungen." Jedoch müssten sie demnächst darüber nachdenken, die Preise anzupassen. Das treffe dann wieder die Verbraucher.
Tafeln fordern mehr Unterstützung der Bundesregierung
Um die Situation zu entschärfen, fordert der Bundesverband der Tafeln die Bundesregierung dazu auf, konkrete und schnelle Hilfe für armutsbetroffene Menschen zu leisten. Die im Entlastungspaket enthaltene Einmalzahlung für Menschen in Hartz IV und Altersgrundsicherung seien nicht ausreichend, um die finanzielle Belastung durch die Pandemie und die Preissteigerungen auszugleichen. "Wir fordern stattdessen 100 Euro Zuschuss pro Monat", sagt Brühl. Auch Regelsätze und Sozialleistungen müssten angehoben werden.
Der Verband ruft auch dazu auf, wieder mehr zu spenden. Neben Lebensmitteln werden auch Geldspenden benötigt, denn auch bei den Stromkosten machen sich die Preiserhöhungen bemerkbar. Bei einigen Tafeln werden bereits Lieferungen ausgesetzt und Abholungen gestrichen, um Benzinkosten zu sparen.
Ziel müsse es jedoch sein, die Nachfrage bei den Tafeln langfristig zu senken. "Die Versorgung der Menschen ist Aufgabe des Staates. Wir von den Tafeln unterstützen nur, wir sind keine Existenzhilfe. Unser Anliegen ist es, kurzfristig in Not geratene Menschen zu unterstützen."