Medienbericht Bahn-Fahrpläne per "Lotterie"?
Die Fahrpläne der Deutschen Bahn mussten dieses Jahr zwischen zwei und drei Millionen Mal geändert werden, haben Recherchen der Süddeutschen Zeitung ergeben. Ein Aufsichtsratsmitglied spricht von "Kontrollverlust".
Signalstörungen, Stellwerksausfälle und kaputte Weichen haben bei der Deutschen Bahn offenbar ein Ausmaß angenommen, das einen geordneten Ablauf des Zugverkehrs kaum noch möglich macht. Das ergaben Recherchen der Süddeutschen Zeitung (SZ). Danach mussten die Fahrpläne der DB allein in diesem Jahr zwischen zwei und drei Millionen Mal geändert werden. Die Planung der Zugfahrten gerate zunehmend zum Lotteriespiel, schreibt die Zeitung.
"Fahrpläne werden nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt", zitiert die SZ ein Mitglied des Aufsichtsrats. Das sei ein "Riesenproblem" und führe zu einem "Kontrollverlust" bei den Fahrplänen. Die Sicherheit des Zugverkehrs sei dadurch zwar nicht beeinträchtigt, unterstreicht der Manager. Die Folgen seien dennoch "katastrophal".
Auf tagesschau24 sagte der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, die Darstellung, dass Fahrpläne nur noch geschätzt würden, sei "sicherlich etwas übertrieben". Allerdings sei jahrzehntelang zu wenig Geld in die Bahn investiert worden. "Dann funktioniert ein solch komplexes System wie die Bahn eben irgendwann überhaupt nicht mehr", so Naumann. Die Bahn brauche mehr Geld, eine kontinuierliche Finanzierung und einen Plan, wie sie künftig aussehen solle.
Zwei Drittel der Züge kommen "pünktlich"
Unlängst hatte die Deutsche Bahn die Verspätungsstatistik für den Monat Juli veröffentlicht. Danach waren die Fernzüge im Juli zwar wieder pünktlicher unterwegs als im äußerst schwachen Juni. Die Pünktlichkeitsquote lag aber immer noch bei nur 62 Prozent. Mehr als jeder dritte ICE und IC hatte also eine Verspätung von mindestens sechs Minuten. Ab dieser Zeit geht ein Zug als verspätet in die Statistik ein.
Im Juni hatte die Quote noch bei 53 Prozent gelegen. Schwere Unwetter und starke Flutschäden hatten die Pünktlichkeit abstürzen lassen. Züge, die komplett ausfallen - auch das kommt bei der Bahn derzeit häufig vor - werden von der Pünktlichkeitsstatistik des Unternehmens nicht erfasst.
Um die Unpünktlichkeit zu reduzieren, halte die Bahn immer mehr Züge in Reserve - oftmals seien es ältere Modelle, heißt es dazu in dem SZ-Bericht weiter. Diese würden eingesetzt, wenn die laut Fahrplan vorgesehenen Züge ihr Ziel so spät erreichen, dass die nächste Fahrt hinfällig werde. Die Bereitstellung von Zügen und Personal sei besonders teuer und auf Dauer wohl unbezahlbar, so die SZ.
"Älteste Stellwerkslandschaft in Westeuropa"
Hauptproblem der Deutschen Bahn sind die zahlreichen Baustellen auf dem überlasteten und an vielen Stellen überalterten Streckennetz. Sie bremsen den Bahnverkehr stark aus.
Die Bahn hat deshalb das Baustellenmanagement umgestellt und will viele Arbeiten künftig in vorgegebenen Zeitfenstern bündeln. In einer Stellungnahme der Bahn hieß es dazu: "Mit dem fundamental neuen Baustellenkonzept wird die DB bis 2026 die zusätzlichen unterjährigen Fahrplanänderungen halbieren."
Die Sanierung des Bestandsnetzes stehe klar im Fokus von Bund und Deutscher Bahn. Und mit einem steigenden Bauvolumen steige "automatisch" die Anzahl von Baufahrplänen. "Denn jede einzelne Zugfahrt bekommt einen eigenen neuen Fahrplan, sobald eine Baustelle ansteht." So müssten für die viermonatige Großbaustelle zwischen Hamburg und Berlin viele tausend Zugfahrten neu geplant werden. "Jeder dieser einzelne Planungsschritte fließt in die große Zahl von insgesamt drei Millionen Änderungen am Fahrplan ein", so die Bahn.
"Deutschland hat heute die älteste Stellwerkslandschaft in Westeuropa", sagte Philipp Nagl, Vorstandschef der DB Infrago, die als gemeinwohlorientierte DB-Tochter das Schienennetz und die Bahnhöfe betreibt. In veralteten Stellwerken würden museumsreife Schaltpulte mit Tesafilm notdürftig zusammengeklebt, damit sie nicht auseinanderfielen, berichten Angestellte gegenüber der SZ. "In den vergangenen Jahrzehnten wurde zu wenig erneuert, zu wenig in die Sanierung gesteckt", so Nagl.
In diesem Jahr wird die Bahn rund 16 Milliarden Euro ausgeben, um das Schienennetz zu sanieren und zu modernisieren. Nagl stellt fest, dass es in 2024 erstmals gelingen werde, die Überalterung der Infrastruktur zu stoppen und die Trendwende einzuleiten.