Fahrgastverband Pro Bahn "Man braucht einen Plan, wie die Bahn aussehen soll"
Die Politik in Deutschland wolle viel von der Bahn, finanziere das dann aber nicht langfristig, sagt der Pro Bahn-Ehrenvorsitzende Naumann. Im tagesschau24-Interview nennt er drei Dinge, die Länder wie die Schweiz besser machen.
tagesschau24: Dass die Bahn mit Problemen zu kämpfen hat - bei Zuverlässigkeit oder Pünktlichkeit - wird die meisten wohl nicht überrascht haben. Haben Sie erwartet, dass die Dimension so groß ist, wie in aktuellen Berichten beschrieben?
Naumann: Es wird immer schlechter. Und es darf auch nicht wundern. Wenn jahrzehntelang zu wenig Geld in das System investiert worden ist, dann funktioniert ein solch komplexes System wie die Bahn eben irgendwann überhaupt nicht mehr.
tagesschau24: Nun sagt ein Aufsichtsratsmitglied, dass die Fahrpläne nur noch geschätzt würden. Ist das übertrieben?
Naumann: Das ist sicherlich etwas übertrieben. Aber es gibt - wie bei vielen solcher Übertreibungen - immer ein Fünkchen Wahrheit. Man geht immer davon aus, dass alles funktioniert. Aber wenn alles funktionieren würde, dann würde auch der Fahrplan stimmen. Aber es ist eben in der Realität nicht so. Es gibt viele kleine Verzögerungen, weil dies oder jenes nicht funktioniert.
Dann kommt noch hinzu, dass wir gerade im Regionalverkehr teilweise eine große Überlastung haben durch das Deutschlandticket. Auch wieder eine Sache, die politisch verordnet worden ist und die die Bahn mit den Kapazitäten gar nicht in jedem Fall schaffen kann.
"Eine kontinuierliche Finanzierung"
tagesschau24: Das Ausland macht vor, wie es gehen könnte. Schauen wir zum Beispiel in die Schweiz, da funktioniert die Bahn wie ein Uhrwerk. Was machen die Schweizer besser? Könnten wir von denen nichts lernen?
Naumann: Wir können von denen drei Dinge lernen. Erstens: Wir brauchen mehr Geld. Die Schweiz gibt viermal so viel pro Einwohner und Jahr für ihr System Schiene aus. Das merkt man, das tut sie über Jahrzehnte. Zweitens macht die Schweiz für das System Bahn eine kontinuierliche Finanzierung. Es wird nicht jedes Jahr nach dem Haushalt geschaut.
Drittens braucht man einen Plan, wie die Bahn aussehen soll. Die Schweizer haben im Jahr 1985 damit angefangen zu sagen, wie ihre Bahn im Jahr 2000 aussehen soll. Jetzt sagt man: Wie soll unsere Bahn im Jahr 2030 aussehen - und macht einen Plan dafür und arbeitet kontinuierlich auf diesen Plan zu.
"Wir brauchen so was wie den Deutschlandtakt"
tagesschau24: Man müsste also auch in Deutschland zunächst mal einen Fahrplan erstellen und danach die Infrastruktur entsprechend anpassen?
Naumann: Ganz genau so ist es. Wir brauchen so was wie den Deutschlandtakt. Den muss man einmal planen. Und dann muss man konsequent auf diesen Deutschlandtakt zugehen und die Infrastruktur so planen, dass dieser Deutschlandtakt dann auch gefahren werden kann.
tagesschau24: Aber Sie haben schon gesagt, das kostet eine Menge Geld. Die Schweizer pumpen eine Menge Geld in ihre Bahninfrastruktur. Woher würde das denn in Deutschland kommen? Würde das bedeuten, dass sich vielleicht die Ticketpreise erhöhen?
Naumann: Das Bahnfahren ist in der Schweiz tatsächlich etwas teurer als bei uns. Das ist sicherlich ein Punkt. Aber solange wir auf der anderen Seite das Autofahren so stark subventionieren, kann die Bahn gar nicht höhere Preise nehmen, weil sie dann keine Kunden mehr gewinnen würde.
tagesschau24: Sie als Vertreter des Fahrgastverbandes: Würden Sie den Menschen denn überhaupt noch empfehlen, die Bahn zu nehmen?
Naumann: Bahnfahren ist nach wie vor immer noch entspannter als im Stau zu stehen. Wenn ich Bahn fahre, kann ich auch mal ein Nickerchen machen. Da kann ich mich mit meinem PC beschäftigen oder ein Buch lesen. All das kann ich beim Autofahren nicht.
Zum anderen tue ich auch der Umwelt damit einen großen Gefallen, weil die Bahn sehr viel schadstoffärmer unterwegs ist. Im Fernverkehr fahren wir zu 100 Prozent mit Ökostrom und auch der Flächenverbrauch für eine Bahnstrecke ist deutlich geringer als der Flächenverbrauch für eine Autobahn.
Das Gespräch führte Romy Hiller, tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Form angepasst.