"Ikea-Hacking" Individuelle Massenmöbel
Vor 50 Jahren eröffnete die erste Ikea-Filiale in Deutschland. Seit fast 20 Jahren gibt es den Trend "Ikea-Hacking", bei dem Menschen Ikea-Möbel umgestalten oder zweckentfremden, um sie individuell anzupassen.
Jules Yap, die 2006 die Plattform "Ikeahackers.net" gründete, gilt als Pionierin des Ikea-Hackings. Die 54-Jährige aus Kuala Lumpur in Malaysia hatte damals eine Wohnung gekauft und suchte im Internet nach Einrichtungsideen. In Online-Foren fand sie zum Beispiel Anregungen, wie etwa Schiebetüren eines Kleiderschranks als Raumteiler genutzt werden können. Da diese Hacks auf Foren gut versteckt waren, beschloss sie, eine eigene Plattform zu schaffen, um die Ideen zugänglicher zu machen.
Die Webseite wuchs schnell und entwickelte sich zu einer Anlaufstelle für Menschen aus aller Welt, die ihre kreativen Hacks teilen wollten. Studierende, Familien und Rentner schicken ihre Kreationen ein. Besonders viele Einsendungen kommen aus den USA. In den ersten Jahren erhielt Yap bis zu 15 Einsendungen pro Woche, heute sind es nur noch zwei oder drei, was vor allem daran liegt, dass viele ihre Ideen direkt auf eigenen Social-Media-Kanälen veröffentlichen.
Die Klickzahlen auf der Webseite bleiben jedoch stabil. Der Blog begann als Hobby, mittlerweile kann Yap davon leben. Vor zehn Jahren geriet sie in einen Konflikt mit Ikea, als der Konzern eine Unterlassungsauforderung schickte und sie aufforderte, die Domain an Ikea zu übergeben. Schnell mobilisierte sich die Community und schickte Mails an Ikea. Nach weiteren Gesprächen lenkte das Unternehmen ein. Heute beschreibt Yap das Verhältnis zu Ikea als "friedliche Koexistenz".
Ein Wickelaufsatz, der extra für eine Ikea-Kommode entwickelt wurde.
Ikea-Hacking als Ausdruck eines Megatrends
Laut dem Professor für Trendforschung Sebastian Wolf von der Hochschule der Medien in Stuttgart ist Ikea-Hacking Teil des größeren Do-it-yourself-Trends, der in sozialen Medien wie Instagram und TikTok besonders präsent ist. "Es geht um Individualisierung und die Möglichkeit, eigene Kreativität in alltägliche Dinge einzubringen", sagt Wolf. Ikea-Möbel sind nahezu überall verfügbar und eignen sich durch ihr schlichtes Design sowie die günstigen Preise besonders gut für Hacks.
Eine interessante Entwicklung sieht Wolf darin, dass mittlerweile Unternehmen entstanden sind, die Ikea-Hacks professionell anbieten. "Ursprünglich bedeutete Hacking, dass man selbst kreativ aktiv wird. Jetzt gibt es Firmen, die darin ein Geschäftsmodell erkannt haben. Kunden kaufen individualisierte Möbelstücke, ohne selbst handwerklich tätig zu werden", so Wolf.
Die Rolle der Community in den sozialen Medien ist laut Wolf zentral für den Erfolg des Ikea-Hackings. Zudem profitiert auch Ikea selbst von diesem Trend, da der Markenname durch die DIY-Bewegung immer wieder in den Vordergrund gerückt wird. Nachhaltigkeit spielt bei all dem nur eine untergeordnete Rolle. Wenn Kunden aber Möbelstücke umbauen, um sie weiter benutzen zu können, verlängere das natürlich die Lebensdauer. Dennoch sei Ikea "fast furniture", so Wolf.
Professionelle Ikea-Hacks: Limmaland
Ein Beispiel für die Professionalisierung des Ikea-Hackings ist das Unternehmen "Limmaland" aus Köln. Daneben gibt es weitere Firmen, die sich beispielsweise auf individuelle Füße von Tischen, Stühlen und Sofas oder Küchentüren von Ikea spezialisieren. Stefanie Gärtner und ihre Geschäftspartnerin Rabea Knippscheer gründeten 2014 die Firma, die sich auf Hacks für Ikea-Kindermöbel spezialisiert hat. Die Idee entstand, als Gärtner nach einer Möglichkeit suchte, eine verkratzte Malm-Kommode zu verschönern, und dabei im Internet auf spezielle Folien stieß. Schnell erkannten die Gründerinnen eine Marktlücke im Bereich Kinderzimmer, einem wichtigen Segment für Ikea.
Limmaland begann mit Folien für Tische, zum Beispiel mit Straßenkarten, damit die Kinder darauf spielen können. Ein Bestseller des Unternehmens ist heute eine Fußstütze für den Antilop-Kinderstuhl, die die Haltung von Kleinkindern verbessert. Zudem gibt es Sitzkissen, spülmaschinenfeste Silikonmatten und Folien, die die Beine des Stuhls verschönern. Das Modell kostet bei Ikea 20 Euro. Je nach Wunsch können Kunden nochmal zwischen 50 und 70 Euro ausgeben, um den Stuhl aufzuwerten.
Wichtig ist, dass die Hacks einfach und praktisch sind: "Ein Hack funktioniert, wenn er nützlich ist und die Kunden nicht viel selbst machen müssen", erklärt Gärtner. Das Geschäftsmodell lohnt sich: Das Unternehmen zählt heute 18 Mitarbeiter und erzielte 2023 einen Umsatz im unteren siebenstelligen Bereich, erzählt Gärtner. In juristischer Hinsicht gab es mit Ikea bisher keine Konflikte. Auf Social Media kommentiert oder liked Ikea hin und wieder Beiträge von Limmaland.
Ein klassischer Ikea-Tisch. Als Hack ist hier eine Folie angebracht, auf der die Kinder spielen können.
Wie steht der Konzern zum Ikea-Hacking?
Auf Nachfrage von tagesschau.de sagt Ikea Deutschland, dass man sich über das Interesse an den Produkten freue. Gleichzeitig weist das Unternehmen auf potenzielle Sicherheitsrisiken beim Hacken hin. Ikea hat den Hacking-Trend aber selbst längst erkannt. Auf der Webseite veröffentlicht das Unternehmen selbst Ideen, um so Kunden bei sich zu halten, damit diese nicht bei Drittanbietern kaufen. Allerdings weist Ikea daraufhin, dass dann die Garantie erlischt.