Rotweintrauben der Sorte Frühburgunder an einem Rebstock.
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Deutsche Winzer Droht das große Weingutsterben?

Stand: 15.09.2024 15:27 Uhr

Die Stimmung bei den Winzern ist zum Start der Hauptweinlese alles andere als gut: Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg. Dazu trinken immer weniger Menschen Alkohol. Die Weingüter sind unter Druck.

Von Fabian Siegel, SWR

Seit einigen Tagen liest Winzer Moritz Haidle aus Kernen im Remstal bei Stuttgart seine Trauben. Heute ist eine kleine Parzelle mit der Rotweinsorte Regent dran. Definitiv nicht Haidles Lieblingssorte, der Weinberg ist ein Überbleibsel aus früherer Zeit, als auf dem Weingut noch deutlich mehr verschiedene Sorten angebaut wurden als heute.

"In unserer Region habe ich ein wenig das Gefühl, viele machen alles, und sie machen das sehr gut. So wie ein guter Hochzeits-DJ auch jedes Genre spielt. Aber für den Liebhaber ist es dann halt ein bisschen zu beliebig und langweilig", sagt er. Und das sei ein großes Problem auf dem nationalen und internationalen Markt. Der Hochzeits-DJ hat es immer schwerer beim Kunden anzukommen.

Die Werbe-Idylle trügt

Entgegen der romantischen Außendarstellung von sonnendurchfluteten Weinbergen, idyllischen Hofgütern und fröhlichen Winzern: Der Weinbaubranche geht es nicht gut. Mit wem man in den Tagen der beginnenden Hauptweinlese auch spricht in Württemberg, die Einschätzung ist immer die gleiche: Der aktuelle Jahrgang sei trotz vieler widriger Wetterbedingungen gar nicht schlecht. Die Zukunftsaussichten seien eher düster. Erst die Umsatzeinbrüche während der Corona-Pandemie, dann die gestiegenen Energiekosten.

Hinzu kommt, dass seit Jahren weniger Wein getrunken wird. Für das Weinjahr 2022/23 waren es laut Zahlen des Deutschen Weininstituts pro Person noch 19,2 Liter im Jahr - wieder fast eine ganze Flasche weniger als im Vorjahr, als der Pro-Kopf-Verbrauch noch bei 19,7 Litern lag. Beim Rotwein ist der Rückgang noch stärker. Württemberg als einzigem deutschen Anbaugebiet neben der Ahr, in dem mehr Rot- als Weißwein produziert wird, trifft es besonders hart.

Genossenschaften schließen Keller und legen Weinberge still

Immanuel Gröninger hat erleben müssen, dass sich Nostalgie nicht auszahlt. Er ist Vorstandsvorsitzender der Winzergenossenschaft Bottwartaler Winzer in Großbottwar nördlich von Stuttgart. Im vergangenen Jahr hat die Genossenschaft ihren eigenen Keller geschlossen - aus Kostengründen. Die Mitglieder geben ihre Trauben nun bei der Weingärtnerzentralgenossenschaft im rund 20 Kilometer entfernten Möglingen ab.

"Wir kommen aus einer Zeit, als der Betrieb für über 600 Hektar Anbaufläche ausgelegt war", sagt Gröninger. Heute bewirtschafteten die einzelnen Winzer in der Genossenschaft nur noch rund 300 Hektar, viele Weinberge wurden schon stillgelegt. Die Kosten für den eigenen Kellerbetrieb seien zu hoch geworden. Auch wenn die Schließung zu großen Diskussionen geführt habe. "Aber von Emotionen kann man sich nichts kaufen", sagt Gröninger.

Preisdruck ist hoch

Durch die ausgelagerte Produktion könne die Genossenschaft Fixkosten herunterschrauben. Denn noch ein anderes Problem gebe es: Die Winzer können die gestiegenen Kosten nicht einfach so auf den Flaschenpreis umlegen.

"Das Preissegment unter vier Euro läuft sehr gut", sagt Gröninger. "Im Bereich, wo wir mit unseren Weinen sind, wo man hin muss, so um die sieben Euro pro Flasche, ist es aber extrem schwer, den Kunden zu überzeugen."

Kundschaft greift immer häufiger zu Wein aus dem Ausland

Diese Erfahrung hat auch Jürgen Conz von den Weingärtnern Stromberg-Zabergäu in Brackenheim gemacht. Die Genossenschaft hat im vergangenen Jahr einen von zwei Kellern geschlossen, um Kosten zu sparen. "Der Verbraucher gibt das Geld nicht mehr so leicht aus - oder er hat es nicht", sagt Conz.

Hinzu komme, dass der Kunde immer häufiger zu Produkten aus dem Ausland greife als zum heimischen Wein. "Da müssen wir auch selbstkritisch sein und anerkennen, dass wir zu wenig fürs Image unserer eigenen Weine getan haben", sagt Conz.

Hoffnung auf Biowein

Aufgeben will er nicht. "Ich sitze hier in meinem Büro im zweiten Stock und schaue raus auf die Weinberge. Wenn ich denke, das wäre weg - das ist ein No-go." Man kämpfe deshalb weiter. "Wie viele Hektar wir verlieren, wir wissen es nicht. Aber was wir tun können, ist den Betrieb optimieren."

Seit 1993 investiere die Genossenschaft in Biowein-Produktion, inzwischen sei man größter Biowein-Produzent im Land. Dort sieht er Chancen - trotz zurückgehendem Alkoholkonsum, den auch er beobachtet.

Insolventer Winzer: Umsatz dauerhaft eingebrochen

Nur ein paar Kilometer weiter ist es schon vorbei: Der Sonnenhof von Martin Fischer in Gündelbach, einem Vorort von Vaihingen an der Enz, gehörte nach Meinung zahlreicher renommierter Weinführer regelmäßig zu den Top-10-Weingütern in Württemberg. Nun startet die erste Saison ohne Weinlese. Das Weingut ist insolvent.

"Ich schiebe es schon auf die Corona-Krise - geschlossene Gastronomie, keine Festivitäten", sagt Martin Fischer. Es habe einfach viel weniger Absatz gegeben, gleichzeitig sei Kurzarbeit im Weingut aber nicht möglich. "Der Wein wächst und muss gepflegt werden, ob wir ihn verkaufen oder nicht." Dann sei mit dem Krieg in der Ukraine die nächste Krise gekommen. "Die Leute sind zurückhaltend im Einkaufen, und das hat einfach zu dauerhaft weniger Umsatz geführt als vor 2020", sagt Fischer.

Schluss nach fünf Jahrzehnten

Jetzt verkauft der Sonnenhof seine letzten Flaschen. Dann wird nach über fünf Jahrzehnten und zwei Generationen Schluss sein mit dem Weinanbau. "Das Gefühl zu wissen, das sind jetzt die letzten Flaschen, die hier rausgehen - das kann ich nicht beschreiben. Aber es tut auf jeden Fall sehr weh" sagt Fischer.

Droht das große Weingutsterben? Er glaubt, ja. "Das höre ich auch in der Branche, dass es sicherlich noch deutlich mehr Betriebsaufgaben geben wird - ob direkt Insolvenzen oder eben auch einfach Betriebsaufgaben."

Wie raus aus der Krise?

Gefährdet sind längst nicht mehr nur die, die schlecht wirtschaften. Die Krise ist global, fast in allen Ländern wird weniger Wein verkauft - bei steigenden Produktionsmengen. In Deutschland ist die Lage angespannt. In fast keinem der bedeutenden Weinländer der Welt wird so wenig selbst hergestellter Wein getrunken wie hier

Gleichzeitig - auch das zeigen aktuelle Zahlen des Deutschen Weininstituts - hinkt Deutschland bei den Exporten mit 3,5 Millionen Hektolitern pro Jahr hinterher im Vergleich zu Ländern mit ähnlich großer Anbaufläche wie etwa Südafrika, Chile, Portugal oder Australien.

Deutsches Weinangebot ist unübersichtlich

Woran das liegen kann? Für den Gelegenheitstrinker kann der deutsche Markt zuweilen unübersichtlich bis überfordernd sein. Nirgendwo sonst kursieren so viele verschiedene Begriffe auf Flaschen: Deutschland legt, anders als etwa Italien oder Frankreich, viel Wert auf Süßegrade wie "lieblich", "halbtrocken", "trocken". In anderen Ländern spielt das gar keine Rolle. Hinzu kommen Prädikate wie Spätlese, Auslese, Kabinett. Der eine Winzer betont seine Lagen, der andere seine Sorten. Die Quittung gibt es am Supermarktregal.

Winzer Moritz Haidle aus Kernen hat sich deshalb dazu entschlossen, sein Hauptaugenmerk auf die Sorten zu legen, für die er geschätzt und prämiert ist: Riesling und Lemberger. Andere Rebsorten fährt er zurück. Das Ziel: Ein schärferes Profil für Groß- und Privatkunden.

Für viele Winzer wie Moritz Haidle ist der Wein ihr Leben. Auch deshalb will er die Dinge nicht zu negativ sehen. Und, trotz allen Frusts: Der aktuelle Jahrgang soll ja gar nicht mal so schlecht werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 12. September 2024 um 22:15 Uhr.