Trauben hängen an einem Weinstock.
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Genossenschaftlicher Weinbau Wenn sich der Unternehmer selbst enteignet

Stand: 24.06.2024 19:26 Uhr

Um sein Familienweingut zu retten, geht ein Bio-Winzer in der Pfalz einen radikalen Schritt: Er wandelt seinen Betrieb in eine sich selbst gehörende Genossenschaft um. Könnte das Modell Schule machen?

Von Oliver Bemelmann, SWR

Die Familie von Wolfgang Bender betreibt schon seit über hundert Jahren Weinbau im pfälzischen Bissersheim. Der Winzer ist die vierte Generation. Mit einer Handvoll Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern baut er Bio-Weine an: Riesling, Grauburgunder, Rosé- und Rotweine - auf rund 13 Hektar.

Aber Bender hat den Familienbetrieb komplett umgekrempelt: in eine sich selbst gehörende Genossenschaft. "Das ist eine riesige unternehmerische Freiheit", sagt er voller Überzeugung. Er selbst habe sich sowieso schon immer eher als Treuhänder und nicht als Eigentümer des Winzer-Betriebs betrachtet. "So bleiben die volle Kontrolle und die Gewinne direkt im Betrieb".

Von Afghanistan zurück in den Weinberg

Schon als Kind packte Bender im elterlichen Weingut mit an. Doch dem Betrieb ging es schon seit Mitte der 1990er-Jahre wirtschaftlich schlecht, vieles war marode, und es gab Schulden, erzählt Bender. Für ihn sei klar gewesen, dass ein "Weiter so" nicht funktioniert. Allerdings ging er nach dem Wehrdienst erstmal ins Ausland - und verpflichtete sich für zwei Jahre als Bundeswehrsoldat zum Auslandseinsatz in Afghanistan.

Als Benders Vater 2011 schwer erkrankte und zum Pflegefall wurde, kehrte der damals 22-Jährige zurück in die Pfalz. Quasi über Nacht musste er die Leitung im Weingut übernehmen. Er habe Tag und Nacht gearbeitet, um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten, sagt Bender. Sein Vater galt als nicht mehr geschäftsfähig, der elterliche Betrieb wurde plötzlich vom Amtsgericht zwangsverwaltet. Erst nach jahrelangem juristischem Streit wurde Wolfgang Bender der Betrieb übertragen.

Neuanfang mit Altlasten

Der in die Jahre gekommene Betrieb musste komplett saniert und erneuert werden, viele Maschinen, Geräte und Gebäude waren veraltet oder kaputt. Als es mit dem Geschäft gerade wieder bergauf ging, kam die Corona-Pandemie. Durch den Wegfall der Gastronomie und vieler Veranstaltungen brach ein Großteil der Kunden weg. Nur durch eine Crowdfunding-Kampagne konnte er die Weinabfüllung retten - und seinen Betrieb.

Mitten in der Coronakrise dann der radikale Schritt: Bender strukturierte den Familienbetrieb komplett um, gründete mit Mitstreitern die Genossenschaft "Habitat Weine". Damit enteignete er sich quasi selbst. Denn das Weingut ist seitdem genossenschaftlich organisiert und das Vermögen an den Betrieb gebunden. Es bleibt im Betrieb und kann nicht veräußert werden, etwa durch Spekulation.

Und: Es können keine Gewinne ausgeschüttet werden, wie bisher in Einzelunternehmen üblich. "Es wird keine Renditen geben - alles fließt zurück in den Betrieb", sagt Bender. Ihm sei es wichtig gewesen, ein Geschäft aufzubauen, das nicht rein gewinnorientiert ist. Neben der Weinproduktion geht es ihm auch darum, der Natur in den Rebflächen mehr Platz zu geben, Bäume zu pflanzen und gleichzeitig sozial gerecht mit Mitarbeitern umzugehen.

"Alle haben mir davon abgeraten", sagt Bender, denn mit seinen Plänen habe er im Weinbau Neuland betreten. Doch Fremdkredite oder Investoren als Rettung seien für ihn damals nicht infrage gekommen. In der Genossenschaft bleibt er Geschäftsführer, daneben gibt es einen Aufsichtsrat und rund 180 Mitglieder, die Anteile erworben haben und mitbestimmen können.

Suche nach neuen Unternehmensformen

Alternative Eigentums- und Unternehmensformen sind im Trend. Laut der "Stiftung Verantwortungseigentum" gibt es in Deutschland bereits mehr als 200 Unternehmen in sogenanntem Verantwortungseigentum. Dazu zählen große Firmen wie Bosch, Zeiss oder Alnatura, die als Pioniere gelten. Aber auch immer mehr kleinere Betriebe und Start-ups entdecken die Unternehmensform.

Das Modell gilt als Alternative zu bisherigen Eigentumsformen und Shareholder-Value-Strukturen. Nicht kurzfristiges Profitstreben soll im Mittelpunkt stehen, sondern der Zweck, die Ziele des Unternehmens. Es ist klar festgelegt, dass das Unternehmen nicht zum Spekulationsgut werden kann. Die Stimmrechte liegen bei Menschen, die dem Betrieb und dessen Zielen verbunden sind. Gewinne werden reinvestiert oder gespendet. Im Unternehmen geschaffene Werte können nicht zum persönlichen Nutzen von Eigentümern entnommen werden.

Laut der "Stiftung Verantwortungseigentum" bietet die Unternehmensform besonders kleinen und mittelständischen Betrieben Vorteile. Dadurch werde die Unternehmensnachfolge vereinfacht, weil sie unabhängig von Familienzugehörigkeit oder finanzieller Situation geregelt werden könne. Das stärke die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit eines Unternehmens. Aktiengesellschaften und GmbH könnten dagegen von Nachfolgern meist ohne Problem verkauft werden und seien nicht vor Spekulation geschützt.

Vielen Familienbetrieben droht die Schließung

Wirtschaftsverbände und Initiativen wie die "Stiftung Verantwortungseigentum" fordern eine baldige Einführung einer eigenständigen, neuen Rechtsform. Laut der Stiftung haben jetzt deutschlandweit mehr als 950 Unternehmen einen gemeinsamen Brief an die Regierung verfasst, um auf die Dringlichkeit des Problems hinzuweisen. Laut Deutscher Industrie- und Handelskammer ist nur ein Drittel der Unternehmensnachfolgen im Mittelstand gesichert. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gibt an, dass in den kommenden Jahren rund 560.000 Unternehmen vor der Nachfolge stehen, jedoch vielen die Schließung drohe - auch, weil Familienmitglieder kein Interesse hätten.

Positive Signale aus den Reihen der Ampelparteien habe es zwar immer wieder gegeben, heißt es von der "Stiftung Verantwortungseigentum". Bisher sei aber wenig Konkretes passiert. Das könnte sich nun ändern. Das Bundesjustiz- und das -finanzministerium arbeiten danach inzwischen an einem gemeinsamen Eckpunktepapier. Es gebe aber noch offene Fragen, um etwa zu verhindern, dass die neue Rechtsform als Steuersparkonstruktion genutzt wird.

Winzer Wolfgang Bender hat seine Entscheidung nie bereut. "Früher haben wir uns kaputt gearbeitet, nur um die Banken zu bedienen." Er ist froh, einen neuen Weg gefunden zu haben. Den Hof und die Gebäude habe er inzwischen verkauft und sich eingemietet. Seine Mitarbeiter könnten jetzt aktiv mitbestimmen, wie es mit dem Betrieb weitergeht und wie hoch die Löhne sind. Und er selbst müsse sich keine Sorgen mehr machen, wer den Betrieb mal übernimmt, wenn er irgendwann nicht mehr kann.