Steuervermeidung in Europa Umgeht Booking.com Steuern in Milliardenhöhe?
Seit Jahren kämpft die EU gegen Steuervermeidung. Eine neue Studie zeigt, wie es Konzernen in Europa trotzdem gelingt, Steuern zu umgehen - etwa im Fall des Reiseportals Booking.com.
Wer im Internet nach einer Unterkunft sucht, stößt schnell auf eines der großen Hotelportale. Die Konkurrenz um das beste Angebot ist groß. Einer der Platzhirsche ist das niederländische Portal Booking.com. Hotels und Vermieter bieten dort ihre Unterkünfte an - und der Konzern mit Sitz in Amsterdam verdient mit, wenn jemand bucht. Es ist ein lukratives Geschäft. Booking.com verdient daran seit Jahren Milliarden.
Booking.com: Innovativ beim Steuersparen?
Auch wenn die Dienstleistungen überall auf der Welt erbracht werden, versteuert Booking.com einen großen Teil der Erträge in den Niederlanden. Der Konzern nutzt dabei eine besondere Steuervergünstigung, die sogenannte "Innovation Box Tax" - die einen stark ermäßigten Tarif bedeutet. "Booking.com verbucht einen großen Teil seiner Einnahmen als Innovation und forschungsbedingt. Das halte ich für äußerst fraglich", erläutert Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. In einer Studie, die tagesschau.de exklusiv vorliegt, hat der Autor die Steuerpraktiken der US-Giganten Microsoft und Alphabet, aber auch die von Booking.com analysiert. In Auftrag gegeben hat die Studie Martin Schirdewan, der Co-Chef der Linken.
Studienautor Trautvetter ergänzt, Booking.com sei einer der größten Steuerzahler der Niederlande: "Und meine Vermutung ist, dass da die Steuerbehörden bei der Auslegung dieser Innovation Box Tax sehr großzügig sind und ganz normale Verwaltungsausgaben als Innovation durchgehen lassen, obwohl es das Gesetz gar nicht zulässt", sagt Trautvetter.
Steuerersparnis "unrealistisch" hoch
Das sicher zu belegen sei schwer, so Trautvetter. Er verweist jedoch darauf, dass der Anteil der vergünstigt versteuerten Erträge im Vergleich zum Gesamtgewinn "unrealistisch" hoch sei. Nach dem niederländischen Steuerrecht sind auf die Erträge aus innovativer Tätigkeit nur neun Prozent Steuern fällig - und nicht die sonst in den Niederlanden üblichen 25 Prozent. Trautvetter hat ausgerechnet, dass der durchschnittliche Steuersatz für Booking.com damit über mehrere Jahre bei 15 bis 16 Prozent lag. In den Jahren 2011 bis 2022 hat der Konzern demnach fast drei Milliarden Euro an Steuern gespart.
Dazu kommt ein weiterer Hinweis. Die Dachgesellschaft des niederländischen Portals, die Booking Holdings Inc. mit Sitz in den USA, warnt in ihrem Jahresbericht aus dem Jahr 2022 selbst explizit davor, dass der Steuervorteil möglicherweise nicht zu halten sei. Dort heißt es: "Booking.com beabsichtigt, für künftige Zeiträume die Fortführung der Innovation Box Tax-Behandlung zu beantragen. Es ist jedoch möglich, dass dem Antrag von Booking.com nicht stattgegeben wird oder, falls ihm stattgegeben wird, der Betrag der anrechenbaren Einnahmen reduziert wird."
Wie man den Fall in den Niederlanden sieht
Maarten de Wilde beschäftigt sich als Professor für internationales und europäisches Steuerrecht an der Universität Rotterdam mit der Besteuerung von Unternehmenseinkünften. Er betont im Interview mit tagesschau.de, der reduzierte Steuersatz für Erträge aus Forschung und Entwicklung stehe im Einklang mit den internationalen Vereinbarungen - etwa der Industriestaaten-Organisation OECD. "Auch andere Mitgliedsstaaten der EU schaffen Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das ist nicht einzigartig", so de Wilde.
Die Niederlande aber sei besonders erfolgreich mit diesem Modell, weil auch andere Bedingungen im Land für Unternehmen attraktiv seien. Dazu zählen laut de Wilde etwa die gut ausgebildeten Arbeitskräfte und eine große politische Stabilität. Wie es mit der Sondersteuer für Forschung und Entwicklung weitergehe, sei aber unklar. "Da gibt es eine Dynamik", so de Wilde. Im Jahr 2018 habe die niederländische Regierung damit begonnen, die Regeln zu verschärfen und Steuersätze teilweise auch anzuheben.
Gewinnverschiebungen in der Kritik
Der Blick in den Jahresbericht der Dachgesellschaft Booking Holdings Inc. offenbart einen weiteren Kritikpunkt, der die Besteuerung großer Konzerne betrifft. Es geht um die Gewinnverschiebung. Dem Bericht zufolge zweifeln sowohl italienische als auch französische Finanzbehörden an, ob booking.com seine Tochtergesellschaften in den genannten Ländern ausreichend vergütet hat. Denn nur dann zahlt die Muttergesellschaft die Steuern auch da, wo die Erträge verdient worden sind. Den Angaben der Booking Holdings Inc. zufolge laufen derzeit sogenannte Verständigungsverfahren mit den niederländischen Steuerbehörden. Der Ausgang ist offen.
Auf Anfrage teilt Booking.com mit, der Konzern halte sich in allen Ländern, in denen man tätig sei, an alle Gesetze. Dazu gehöre die Verpflichtung, alle für den Konzern geltenden Steuern zu zahlen. Weiter teilt Booking.com mit: "Der Verweis auf Gespräche mit den Behörden in anderen Märkten ist nuanciert und wir führen einen kontinuierlichen Dialog mit ihnen. Letztendlich glauben wir bei Booking.com an den Ansatz des digitalen Binnenmarktes der EU, um Fairness und Konsistenz zu gewährleisten."
Die Frage der Moral
Selbst wenn die Gewinnverschiebungen von international tätigen Konzernen auf dem Papier legal sein mögen, sind sie verbunden mit einer moralischen Diskussion. Die Rechtsprofessorin Lucia Sommerer von der Universität Halle-Wittenberg forscht an der Schnittstelle von Strafrecht und Wirtschaftskriminalität. Sie betont, große Konzerne profitierten von der Infrastruktur und den Arbeitskräften eines Landes.
Man könne es zwar als legal ansehen, die Steuern abzuziehen und zu minimieren, so Sommerer: "Aber man kann es als moralisch bedenklich ansehen, wenn man nur die Vorteile, die es in einem Land gibt, genießt - ohne auch den entsprechenden Teil an das Gemeinwesen zurückzugeben."
Die globale Mindeststeuer lässt sich umgehen
Auf internationaler Ebene ist die Steuervermeidung kein neues Thema. Nach jahrelangen Beratungen unter dem Dach der OECD haben sich im Jahr 2021 mehr als 130 Staaten auf eine globale Mindeststeuer verständigt. Sie liegt bei 15 Prozent und gilt für international tätige Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro. Rechtsprofessorin Sommerer bezeichnet die Steuer als Meilenstein mit Hintertüren: "Tatsächlich ist es so, dass es ein guter Ansatz ist, aber dass es viele Ausnahmen und Umgehungen gibt."
Steuerexperte Christoph Trautvetter konstatiert, die Mindeststeuer sei wichtig, sie habe aber noch lange nicht dafür gesorgt, dass Digitalkonzerne einen fairen Steuersatz zahlen: "Wenn die profitabelsten Konzerne der Welt Steuersätze von 15 Prozent zahlen, während der Bäckermeister von nebenan 30 Prozent zahlt, dann haben wir nach wie vor ein Problem."