Gebäudesanierung Welle von Asbesterkrankungen droht
Millionen Tonnen Asbest stecken in Deutschlands Gebäuden. Durch den Umbau der Städte und energetische Sanierungen könnten sie nun freigesetzt werden. Ein Gesundheitsrisiko, warnt die IG BAU und fordert bessere Arbeitsschutzkontrollen.
Ein bisschen blass ist er im Gesicht. Doch sonst sieht man Werner Lüerß nicht an, dass er schwer lungenkrank ist. Der 74-Jährige hat seit Ende der 1960er-Jahre in Berlin auf dem Bau gearbeitet. Asbest war auf Baustellen damals quasi allgegenwärtig: "Wir lebten in einer Asbestwelt", sagt Lüerß. Später machte er sich selbstständig, hat in vielen Berliner Wohngebäuden Asbest wieder beseitigt, nachdem der Baustoff in Deutschland 1993 verboten worden war. Seine Schutzkleidung dabei: ein Maleranzug und eine FFP-1-Maske.
2005 kam dann die Diagnose: Asbestose - eine Verhärtung der Lunge, ausgelöst durch Asbestfasern. Einmal eingeatmet, bohren sie sich tief ins Gewebe, sorgen für chronische Entzündungen, ein verhärtetes Lungengewebe, Kehlkopf-, Lungen- oder Rippenfellkrebs. Das gilt längst als gut belegt. Und doch musste Lüerß jahrelang kämpfen, damit seine Asbestose überhaupt als Berufskrankheit anerkannt wurde.
Asbest ist überall
Da nun zahlreiche alte Gebäude im Zuge der Energiepolitik saniert werden müssen, könnte erneut sehr viel Asbest freigesetzt werden, warnt die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt ( IG BAU). Die mögliche Folge: eine neue Welle von Asbesterkrankungen. Denn Asbest ist in vielen alten Gebäuden verbaut, in Wandfliesen, Fußböden, Rohrleitungen, Fensterbänken oder Balkonverkleidungen, in Kabel- oder Fahrstuhlschächten. Die Mineralfasern wurden in Zement, Beton, Farbe, Kleber oder Spachtelmasse beigemischt. Das liegt vor allem daran, dass Asbestfasern fürs Bauen lange ideal schienen: zugfest, elastisch, praktisch nicht brennbar - und dabei kostengünstig.
Mehr als vier Millionen Tonnen haben Ost- und Westdeutschland von den 1950er- bis in die späten 1980er-Jahre importiert. Rund 9,4 Millionen Wohnhäuser sind wahrscheinlich deutschlandweit belastet. Diese Zahlen hat die IG BAU nun vom Pestel-Institut erheben lassen, das Kommunen, Verbände und Unternehmen unter anderem zu Klimawandelfolgen und nachhaltiger Entwicklung berät.
Klimaziel und Asbestgefahr
Wenn Deutschland sein Ziel erreichen will, 2045 klimaneutral zu sein, dann stünden dem Land nun zwei Jahrzehnte energetischer Sanierungen und Stadtumbau bevor. Und damit könnte viel Asbest freigesetzt werden, vor allem, wenn die Arbeiten nicht professionell durchgeführt werden. Und selbst dann ist die Gefahr nicht gebannt.
"Das ist extrem schwer, medizinisch korrekte Verhältnisse auf einer Baustelle herzustellen - und sehr teuer", warnt Torsten Bauer, Chefarzt der Lungenklinik Heckeshorn am Heliosklinikum Emil von Behring in Berlin. Denn das Einzige, was gegen asbestbedingte Lungenerkrankungen helfe, sei, keinen Asbest einzuatmen. "Ob das immer wieder gewährleistet werden kann, das stelle ich einmal in Frage." Bauer rechnet mit einer zweiten Asbest-Erkrankungswelle in 20 bis 30 Jahren. So lange kann es dauern, bis man erkrankt, wenn man Asbest eingeatmet hat. Schon jetzt stürben im Jahr etwa 1500 Menschen durch Asbest, sagt die IG BAU.
Die fachgerechte, sichere Entfernung von Asbest ist aufwändig und teuer.
Technisch aufwändig
Wie hoch der Aufwand sein kann, Asbest sicher zu entfernen, führt eine Spezialfirma auf einer Demonstrations-Baustelle in Berlin vor. Das Szenario: Schleifarbeiten am Boden mit Asbestbelastung. Auf dieser Demo-Baustelle ist der Boden nicht wirklich mit Asbest verseucht, aber auf eine echte Asbest-Baustelle wollten Bauleiter Marcel Herrfurth und sein Kollege Journalisten nicht lassen: zu gesundheitsschädlich.
Die beiden sind bei ihren Arbeiten aus Sicherheitsgründen immer mindestens zu zweit. Vor dem Raum, in dem der Asbestboden zu beseitigen wäre, wenn es um eine echte Sanierungsbaustelle ginge, haben die beiden eine Schleuse aufgebaut. In dem Raum steht ein lärmender Industriestaubsauger. Ins Fenster haben sie einen Ventilator mit Mehrfachfiltern gesetzt, um Unterdruck zu erzeugen. Alles das nur, damit keine Asbestfasern aus der Baustelle in die übrige Wohnung dringen.
Die Arbeiter selbst schlüpfen in einen blauen Kunststoff-Overall mit Kapuze, ziehen sich Überzieher über die Schuhe und Handschuhe an, die nochmal extra mit Klebeband am Overall gesichert werden. Und dann zuletzt noch die Atemschutzmaske mit Spezialfiltern über Mund und Nase. Der eindringliche Rat der beiden an alle Eigentümer, Häuslebauer und Kleingärtner: Asbestsanierung bloß nicht selber machen! Man könne es nur falsch machen.
Fünfmal so hohe Kosten wie ohne Asbest
So viel Aufwand kostet natürlich: "20 bis 25 Euro pro Quadratmeter", sagt Bauleiter Herrfurth. Und ohne Asbest? "Fünf Euro pro Quadratmeter." Das ist ein enormes Kostenproblem vor allem für städtische Wohnungsunternehmen, die Zehntausende "Asbestwohnungen" in ihren Beständen haben könnten. Es brauche ein Förderprogramm von Bund, Ländern und Kommunen zur Asbestbeseitigung, sagt IG BAU-Bundesvorstand Carsten Burckhardt. "Diejenigen, die heute Wohnraum schaffen, die dürfen nicht auf den Kosten der Altsünden aus den 50er-, 60er-, 70er-Jahren hängen bleiben."
Der Gewerkschafter fordert zusätzlich eine bessere Aufklärung zur Asbestgefahr und intensivere Arbeitsschutzkontrollen. Dafür kämpft auch Lüerß, der nach Jahren auf dem Bau schon so lange mit Asbestose lebt. Er ist Aktivist geworden und macht sich bei Politikern in Berlin und Brüssel dafür stark, dass Asbestopfer und ihre Angehörigen endlich anerkannt und angemessen entschädigt werden.