Rettung der Meyer Werft Wie riskant ist der Staatseinstieg?
Der Bund will bei der angeschlagenen Meyer Werft einsteigen. Damit könnte die Regierung gegen selbst gesteckte Vorgaben verstoßen, wie NDR-Recherchen zeigen. Ist das Unternehmen noch überlebensfähig?
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Meyer Werft in Papenburg am 22. August persönlich besucht, um dem angeschlagenen Unternehmen staatliche Hilfe in Aussicht zu stellen. Die Ankündigung ist populär in der Belegschaft, in der Emsregion, in der maritimen Wirtschaft. Scholz weiß das. Politisch kann er, Kanzler einer angeschlagenen Koalition, so punkten. Das scheint der Sozialdemokrat jedenfalls zu glauben.
"Wir lassen euch mit euren Sorgen nicht allein", sagte Scholz in seiner Rede vor der versammelten Belegschaft von rund 3.000 Mitarbeitern. "Die Meyer Werft ist nicht irgendein Unternehmen, sondern ein industrielles Kronjuwel unseres Landes." Scholz stufte die Werft als "systemrelevant für die maritime Wirtschaft und den Schiffbau in Deutschland" ein.
Damit ist angedeutet, dass Scholz bereit ist, viel Staatsgeld in die Hand zu nehmen, um die Verluste schreibende Werft zu retten. Der Abgleich des Rettungsversprechens des Bundeskanzlers mit Zahlen und Einschätzungen seiner eigenen Regierung zur Meyer Werft wirft allerdings eine brisante Frage auf: Ist Scholz dabei, sich über die Vorgaben seiner eigenen Regierung hinwegzusetzen?
Finanzministerium offenbar mit Bedenken
Der NDR-Redaktion Panorama 3 liegen Dokumente aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) vor, die skeptische Bewertungen zur wirtschaftlichen Lage der auf den Bau riesiger Kreuzfahrtschiffe spezialisierten Werft enthalten. "Unternehmerische Erfolge in der Vergangenheit sind kein ausreichender Grund für ein staatliches Eingreifen zum Verhindern einer Insolvenz", heißt es in einem auf den 20. Juni datierten Papier.
Darin werden "Handlungsoptionen" der Bundesregierung "hinsichtlich der Meyer Werft" aufgeführt. Die Ausgangslage wird kritisch bewertet: Bei den Werftkapazitäten sei eine "Unterauslastung" zu verzeichnen. Wegen "einer Reihe aktuell defizitärer Schiffsprojekte" habe die Werft in jüngster Vergangenheit bereits Notkredite aufnehmen müssen, um den Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Das heißt, die Baukosten für diese Schiffe übersteigen den Verkaufserlös, den die Werft bei den bestellenden Kreuzfahrtreedereien erzielt. Nun muss - wie bereits öffentlich bekannt - eine neue Finanzlücke von mehr als 2,7 Milliarden Euro geschlossen werden.
Ohne Investor keine Staatshilfe - eigentlich
Das Regierungsdokument nennt klare Bedingungen für eine staatliche Beteiligung an der Werft. Dazu gehört das "Einwerben eines privaten Investors mit mindestens 30 Prozent EK-Beteiligung" (EK = Eigenkapital, Anm. der Redaktion). Die Notwendigkeit, einen privaten Investor zu finden, der parallel zum Staat einsteigt, ist auch wiederholt von der niedersächsischen Landesregierung betont worden. Diese will sich ebenfalls an der Rettung beteiligen.
Der Einstieg eines privaten Investors soll die Wirtschaftlichkeit der Hilfen für die Werft belegen. Die Bedingung sei "eine Art Test", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) im Gespräch mit Panorama 3. "Wenn von privater Seite niemand bereit ist, sein eigenes Geld auszugeben und ins Feuer zu stellen, dann ist das ein Signal, dass die Risiken so hoch sind, dass es vielleicht auch für das Geld des Steuerzahlers keine so gute Idee wäre", so der Experte.
Allein, ein solcher privater Investor hat sich bislang nicht gefunden. Das Bundeskanzleramt ließ eine diesbezügliche Frage unbeantwortet. In seiner Rede in Papenburg sagte Scholz vage: "Ziel ist, dass möglichst bald die Stabilität und die Zukunftschancen der Werft mit überzeugendem privatwirtschaftlichem Engagement sichergestellt werden." Die von der Bundesregierung selbst gesetzte Bedingung für den staatlichen Einstieg ist also bislang nicht erfüllt. Das sei "ein deutliches Zeichen, dass es eben vielleicht um ein Unternehmen geht, das nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig in einer schwierigen Situation ist", kommentiert Wirtschafsprofessor Boysen-Hogrefe.
Haushaltsausschuss muss zustimmen
Der Haushaltsausschuss des Bundestages muss einer staatlichen Rettung zustimmen. Otto Fricke, der haushaltspolitische Sprecher der FDP, erklärt im Gespräch mit Panorama 3, Skepsis und kritische Nachfragen seien angesichts des Einsatzes von Steuergeld angemessen. Mit Blick auf die Voraussetzung, dass sich ein privater Investor beteiligt, sagt Fricke: "Ich gehe davon aus, dass sie bei der Bundesregierung noch gilt." Er sei "gespannt" auf die Vorlage der Bundesregierung an den Haushaltsausschuss, die er genau prüfen wolle.
Der schriftliche Antrag der Bundesregierung an die Haushaltspolitiker der Fraktionen wird Anfang September erwartet. Am 15. September lauert die nächste Frist, dann muss die Meyer Werft einen Kredit zurückzahlen. FDP-Mann Fricke hält sich eine Entscheidung pro oder contra Staatseinstieg bei Meyer offen. Die "Zustimmung aller drei Regierungsfraktionen" sei notwendig für die Staatshilfe, so Fricke. Darüber werde abseits der Öffentlichkeit verhandelt.
Alles auf eine Karte?
Wie heikel der Staatseinstieg bei der Meyer Werft tatsächlich wäre, zeigen die Zahlen des Bundesfinanzministeriums. Aus einer Tabelle geht hervor, dass der deutsche Staat wegen Bürgschaften und Krediten für das Unternehmen sowie für Reedereien, die bei der Meyer Werft Schiffe bestellt haben, bereits ein Ausfallrisiko von 19 Milliarden Euro hat. Der Löwenanteil dieses Risikos stammt aus bereits gewährten Bürgschaften für die Kredite an die Kreuzfahrtreedereien im Umfang von 15,4 Milliarden Euro. Mit weiteren Milliarden würden Bund und Land Niedersachsen nun den Einsatz erhöhen.
Die Scholz-Regierung würde sozusagen alles auf einen anhaltenden Boom des weltweiten Kreuzfahrttourismus setzen. Dieser hat sich nach dem Einbruch während der Corona-Pandemie zwar erholt, aber Experten mahnen zur Vorsicht: "Wenn es ein sicheres Geschäft wäre, was große Gewinne versprechen würde, würden die Investoren Schlange stehen. Das ist nicht der Fall. Und das bedeutet eben auch, dass diese Branche in einer anderen Situation ist als sie vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren war", analysiert IfW-Forscher Boysen-Hogrefe.
Der Weltmarktführer unter den Kreuzfahrtreedereien, das US-amerikanische Unternehmen Carnival, Mutterkonzern von "Aida" und wichtiger Kunde der Meyer Werft, hat mit einem Schuldenstand von 27 Milliarden Dollar seine eigenen Geldprobleme. Der Versuch, in Mecklenburg-Vorpommern ab 2018 neben der Meyer Werft einen zweiten deutschen Hersteller von Kreuzfahrtgiganten mit staatlicher Hilfe anzusiedeln, war mit der Pleite der "MV Werften" im Januar 2022 gescheitert.
Steigt Meyer mit Privatvermögen ein?
Wird Bundeskanzler Scholz an dem staatlichen Einstieg bei der Meyer Werft auch ohne privaten Investor festhalten? Wird er sich über die Vorgaben seiner eigenen Fachleute hinwegsetzen? Dass es nicht ganz einfach wird, ließ Scholz bei seinem Auftritt in Papenburg durchblicken. "Wenn alle anderen mitziehen", schränkte er ein, werde der Bund zur Lösung beitragen.
Nicht ausgeschlossen scheint, dass Werfteigentümer Bernhard Meyer mit seinem Privatvermögen letztlich die Rolle des privaten Investors spielen könnte. Eine der Voraussetzungen für den staatlichen Einstieg in die Werft ist laut BMF die "Offenlegung der Vermögensstruktur der Familie Meyer und der zugehörigen Stiftungen in hinreichend belastbarer Form". Ob diese Bedingung inzwischen erfüllt wurde, wollten weder das Bundeskanzleramt noch die Meyer Werft mitteilen. Das Bundesfinanzministerium teilte auf Anfrage mit, es wolle "laufende Gespräche" nicht kommentieren.
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) erklärte, dass es "während der noch laufenden Prüfung keine Details zu den Konditionen" nennen könne. Eine Sprecherin gab allerdings die allgemeine Auskunft: "Sollte es eine staatliche Finanzierungsunterstützung für die Werft geben, dann würde diese zu beihilferechtlich vorgeschriebenen Marktkonditionen erfolgen." In spätestens zwei Wochen muss der deutsche Staat entscheiden, ob er nicht nur Kreditgeber und Bürge, sondern auch Hersteller von Kreuzfahrtschiffen sein will.