Ein Bauarbeiter spiegelt sich auf einer Baustelle in einer Pfütze.
analyse

Insolvenzen von Firmen Pleitewelle in Deutschland?

Stand: 22.02.2024 08:15 Uhr

Römertopf, Arko oder Hussel - viele bekannte Firmen sind zuletzt in die Insolvenz gerutscht. Sind das nur Einzelfälle oder stehen sie beispielhaft für eine große Welle?

Von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Die Insolvenz eines Unternehmens als Chance für ein anderes - daraus hat Insolvenzauktionator Fabian Altrichter ein Geschäftsmodell gemacht: "Wir unterstützen die Insolvenzverwalter als Dienstleister. Das heißt, wir machen am Anfang Bewertungsgutachten für Maschinen, für Inventar, für Betriebs- und Geschäftsausstattung und helfen dann auch bei der Abwicklung."

Grünpflanzen kommen unter den Hammer

Heißt: Fabian Altrichter und sein Team von der Firma Restlos verkaufen alles, was einmal zu einer jetzt insolventen Firma gehörte. Oft kommt dabei auch die komplette Einrichtung von Büros unter den Hammer - also die Teller, Tassen und das Besteck aus der Büroküche, Wandbilder und Monitore, Schreibtischstühle und Tische, ebenso wie Grünpflanzen.

Bedenkt man die vielen Schlagzeilen, die derzeit von der großen Pleitewelle berichten, die durch Deutschland zieht, dürfte Fabian Altrichter gerade eigentlich gar nicht mehr aus dem Arbeiten rauskommen. Namhafte Firmen hat es erwischt, etwa den Traditionshersteller Römertopf, zahlreiche Modemarken und zuletzt Arko und die Süßwarenfirma Hussel. Aber Altrichters Beobachtung ist eine andere: "Die Insolvenzen sind aktuell eher noch niedrig, wir merken keinen großen Anstieg."

"Gefühlte Insolvenzwelle"

Ist es also doch nicht die große Insolvenzwelle? Experten wie Reint Gropp, Leiter des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), sind mit dem Begriff der Insolvenzwelle vorsichtig - trotz der aktuell hohen Zahl an Unternehmensinsolvenzen: "Wir rechnen nicht damit, dass die Insolvenzzahlen jetzt wieder fallen. Aber ob das jetzt eine Welle ist, kann ich nicht sagen."

Firmen in der Insolvenzwelle

Lilli-Marie Hiltscher, HR, plusminus, 21.02.2024 21:45 Uhr

Deutlicher wird der Verband der Insolvenzverwalter (VID): "Wir sehen allenfalls eine gefühlte Insolvenzwelle. Trotz des aktuellen Anstiegs liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nur auf Vor-Corona-Niveau und weit entfernt von den Spitzenwerten der Finanzkrise", so Christoph Niering, Insolvenzverwalter und VID-Vorsitzender.

Denn obwohl es aktuell deutlich mehr Insolvenzen gibt, sind die Zahlen derzeit nicht höher als vor der Pandemie. Im März 2016 meldeten hierzulande 1099 Unternehmen Insolvenz an, im Januar dieses Jahres lag die Zahl der Insolvenzen bei 1077 - also etwa auf dem Niveau vom Frühjahr 2016.

Staatshilfen hielten Firmen am Leben

Dass es sich derzeit trotzdem anfühlt, als gäbe es in Deutschland eine Pleitewelle, liegt vor allem an der niedrigen Zahl der Insolvenzen während der Pandemie. Im August 2020 meldeten laut dem Insolvenztrend des IWH gerade einmal 667 Unternehmen Insolvenz an.

Der Grund: Während der Pandemie gab es in Deutschland zahlreiche Staatshilfen für wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen, wie etwa eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Unternehmen, die normalerweise gesetzlich verpflichtet gewesen wären, Insolvenz anzumelden, mussten das - wenn sie gewisse Bedingungen erfüllten - während dieser Zeit nicht.

Mittlerweile sind die Staatshilfen ausgelaufen. Und die wirtschaftliche Situation in Deutschland hat sich gewandelt, viele Unternehmen müssen sich mit geänderten Rahmenbedingungen auseinandersetzen. "Wir sehen derzeit einen großen Strukturwandel in der Wirtschaft, etwa die Entwicklung weg von alten Technologien, alten Energiequellen, dreckiger Energie, hin zu grüner Energie", so Experte Gropp. All das belaste Unternehmen, manche Geschäftsmodelle seien nicht mehr wettbewerbsfähig.

Bau besonders betroffen

Ein Beispiel dafür ist der Immobilienentwickler Project, der im Sommer vergangenen Jahres Insolvenz anmelden musste. Wie derzeit die gesamte Baubranche litt auch Project unter den hohen Energiepreisen, aber auch die gestiegenen Zinsen und Lieferengpässe belasteten den Immobilienentwickler.

Deswegen rutschten zuletzt besonders viele Unternehmen im Bau in die Pleite - neben Project etwa die Gerchgroup oder Euroboden. Insgesamt meldeten im vergangenen Jahr 81 von 10.000 Unternehmen aus dem Baugewerbe Insolvenz an, deutlich mehr als im Durchschnitt der am häufigsten betroffenen Branchen. Laut IWH meldeten im Schnitt 60 von 10.000 Unternehmen Insolvenz an.

Immobilienfirma wird zerschlagen

Nach der Pleite folgte auf vielen Baustellen von Project der Stillstand. Um Bauruinen zu verhindern, wickelt Insolvenzverwalter Volker Böhm das Unternehmen ab. Für ihn war klar: Sanieren ist keine Option: "Das Ziel des Insolvenzverfahrens kann hier nur sein, im Interesse der Käufer, aber auch der Anleger, die über die Fonds Geld investiert haben: die bestmögliche Verwertung des Immobilienbestandes."

Im Fall von Project heißt das: Grundstücke werden verkauft. Und im Bau befindliche Projekte sollen weitergebaut werden - immerhin eine gute Nachricht für all jene, die noch vor der Pleite eine Wohnung des insolventen Entwicklers gekauft haben.

Insolvenz muss längst nicht das Ende sein

Allerdings ist die Zerschlagung - wie im Falle des Immobilienentwicklers Project - nicht der einzige Weg, den ein Insolvenzverfahren bietet. Denn das Insolvenzrecht bietet mit der Eigenverwaltung auch die Möglichkeit, sich wieder zu sanieren.

Insolvenzverwalter Böhm von der Kanzlei Schultze & Braun beschreibt das als die Idee der zweiten Chance: "In England oder den USA ist diese Idee der zweiten Chance Gang und Gäbe. Wenn es mal nicht klappt, hat der Unternehmer noch einen zweiten Schuss. Das will man mit der Eigenverwaltung voranbringen."

Das Insolvenzrecht unterstützt Unternehmer dabei mit zahlreichen Maßnahmen. So bezahlt etwa die Bundesagentur für Arbeit die Personalkosten bis zu drei Monate. Außerdem gibt es ein Sonderkündigungsrecht für Mietverträge und ein Sonderkündigungsrecht bei Beschäftigten.

Görtz konnte sich sanieren

All das kann Unternehmen dabei helfen, sich zu verkleinern und wieder auf das Kerngeschäft zu konzentrieren - allerdings nur dann, wenn die Insolvenz auch rechtzeitig angemeldet wird, erklärt Volker Böhm: "Wer frühzeitig kommt, kann in ein Eigenverwaltungsverfahren gehen. Und da gibt es das eine oder andere Beispiel, wo das auch gut gelungen ist."

Ein positives Beispiel ist der Schuhhändler Görtz. Im September 2022 stellte das Hamburger Mutterunternehmen einen sogenannten Schutzschirm-Antrag. Stellenabbau und Schließungen von Filialen folgten. Doch Görtz fand einen neuen Investor, konnte im Juli vergangenen Jahres das Insolvenzverfahren verlassen. Nun gilt die Firma als saniert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der HR in Plusminus am 21. Februar 2024 um 21:45 Uhr.