Umstrittenes Herbizid Glyphosat Geprüft und unerwünscht
Ein Prüfbericht im Auftrag der EU hält den Unkrautvernichter Glyphosat nicht für krebserregend oder gefährlich für das Erbgut. Trotzdem wird das Mittel in Europa wohl vom Markt verschwinden.
Die Fachbehörden aus Frankreich, Schweden, Ungarn und den Niederlanden kommen in Sachen Glyphosat zu einem klaren Ergebnis: Das Pflanzenschutzmittel sei nicht krebserregend, es schädige nicht das Erbgut und es sei weder für menschliche Organe noch für den Hormonhaushalt gefährlich. Die vier nationalen Behörden hatten im Auftrag der Europäischen Kommission die Sicherheit von Glyphosat auf Grundlage vorhandener Studienergebnisse bewertet. Sie bestätigen damit die Erkenntnisse von Prüfbehörden weltweit.
Trotzdem ist davon auszugehen, dass das Mittel über kurz oder lang vom Markt verschwindet. "Glyphosat ist gesellschaftlich tot", sagte ein Bauernfunktionär im Vorfeld des Bauerntags in Berlin. Die Öffentlichkeit habe ihr Urteil längst gefällt - selbst mit hieb- und stichfesten wissenschaftlichen Argumenten könne man die Mehrzahl der Verbraucher nicht von einer Unbedenklichkeit des Stoffes überzeugen. Denn wie ein Damoklesschwert schwebt seit 2015 das Urteil der Internationalen Agentur für Krebsforschung, die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehört, über dem Bewertungsprozess: Glyphosat sei "wahrscheinlich krebserregend".
"Sehr geringe Wahrscheinlichkeit"
Es überrascht wenig, dass der Glyphosat-Produzent Bayer das anders sieht und die jetzt veröffentlichten positiven Studienergebnisse begrüßt. Der Chemieriese, der mit dem US-amerikanischen Monsanto-Konzern auch dessen glyphosathaltigen Verkaufsschlager Roundup übernahm, weist auch ein anderes Argument zurück - dass das Herbizid die Artenvielfalt bedrohe.
"Ausgewertete wissenschaftliche Studien sowie öffentlich zugängliche Forschungsberichte zeigen nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass der sachgemäße Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln indirekte Effekte auf die Biodiversität der meisten Nahrungsketten hat", heißt es von dem Konzern. Man habe beispielsweise Auswirkungen auf im Boden lebenden Mikroorganismen, Würmer, Vögel, bestäubende Insekten wie Honigbienen, Frösche und andere Amphibien sowie Fische untersucht, so ein Bayer-Sprecher.
Könnte es also passieren, dass Glyphosat auch über den Ende 2022 auslaufenden Genehmigungszeitraum hinaus in der Europäischen Union eingesetzt werden darf? Vieles spricht dagegen.
Der Bayer-Konzern sieht sich durch die aktuelle Prüfung auf EU-Ebene bestätigt.
Bundesregierung rechnet mit Glyphosat-Aus bis 2024
Das von Svenja Schulze (SPD) geführte Bundesumweltministerium rechnet fest damit, dass spätestens nach Ende der einjährigen Übergangsfrist ab 1. Januar 2024 keine glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden dürfen. "Wir gehen in Übereinstimmung mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium weiterhin davon aus, dass die Bundesregierung (...) einen EU-rechtskonformen Ausstieg aus der Glyphosatanwendung beschlossen hat", heißt es auf WDR-Anfrage.
Über die entsprechende Änderungsverordnung entscheidet der Bundesrat am kommenden Freitag. Bis zum Ende der Übergangsfrist darf die Anwendung "nur noch erfolgen, wenn es keine alternativen Möglichkeiten gibt, zum Beispiel bei schwer zu bekämpfenden Unkräutern oder auf erosionsgefährdeten Flächen" - so steht es in der Abstimmungsvorlage. Gänzlich verboten sei die Anwendung auf Flächen, die der Allgemeinheit dienen, sowie im Haus- und Kleingartenbereich.
Keine Weiterzulassung auf EU-Ebene erwartet
Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) habe mehrfach betont, so eine Sprecherin ihres Ministeriums gegenüber dem WDR, "dass nicht davon auszugehen ist, dass es nach 2022 noch eine Mehrheit für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung auf EU-Ebene gibt".
2017 hatte der Streit über Glyphosat zwischen den Ministerien fast zu einer Koalitionskrise in Berlin geführt. Denn der frühere Agrarminister Christian Schmidt (CSU) ließ im zuständigen EU-Gremium in Brüssel mit "ja" stimmen, obwohl die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) strikt gegen eine Verlängerung der Genehmigung für Glyphosat war.
Die unterschiedliche Bewertung der jetzigen Amtsinhaberinnen tritt nicht ganz so offensichtlich zu Tage. Aber in den Antwortschreiben auf die Fragen des WDR gibt es doch Unterschiede: "Glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel sind bedeutsam für die bodenschonende und wassersparende Bearbeitung der Ackerflächen, insbesondere in erosionsgefährdeten Gebieten", schreibt die Sprecherin von Klöckner.
Der Sprecher von Schulze betont dagegen die Gefahren für die Biodiversität: "Als Totalherbizid vernichtet Glyphosat ohne Unterschied alle Pflanzen und zerstört damit die Nahrungs- und Lebensgrundlage für viele Insektenarten wie Schmetterlinge und mittelbar auch für Feldvögel wie die Feldlerche."
EU-Bewertung 2022 erwartet
Auf europäischer Ebene werden Anfang September die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und die Europäische Chemikalienagentur ECHA die Öffentlichkeitsbeteiligung starten - Ergebnisse werden in einem Jahr erwartet.
Die Bayer AG setzt weiter auf das umstrittene Herbizid. Europa spielt als Absatzmarkt keine ganz große Rolle. Wichtiger sind die Agrarländer in Nord- und Südamerika. In den USA müssen zwar rund zehn Milliarden Euro im Rahmen eines Vergleichs an 96.000 Kläger gezahlt werden, die Glyphosat für ihre Krebserkrankung verantwortlich machen, und weitere Milliarden werden für künftige Kläger fällig werden. Den Einsatz für Privatkunden will Bayer daher einschränken - in der großflächigen Landwirtschaft soll Roundup aber weiter genutzt werden dürfen. Lediglich die Warnhinweise sollen deutlich sichtbarer gemacht werden.
Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat wurde von der Bayer-Tochter Monsanto entwickelt und unter dem Markennamen Roundup vertrieben. Das Herbizid wird aber auch von anderen Firmen hergestellt, da das Patent seit Jahren abgelaufen ist. Bayer sieht sich wegen des Unkrautvernichters in den USA mit rund 9300 Klägern konfrontiert, da Glyphosat im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Dies basiert auf der Einschätzung der internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), die den Wirkstoff 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hatte. Der Bayer-Konzern betont stets, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher sei und beruft sich dabei auf eine Vielzahl wissenschaftliche Studien.
Die EU-Kommission hatte Ende 2017 die Zulassung von Glyphosat um fünf Jahre verlängert und muss nun neu entscheiden. Im September soll eine erste Gesprächsrunde stattfinden und anschließend die EU-Mitgliedsstaaten einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund beauftragte die EU-Kommission die Bewertungsgruppe für Glyphosat (bestehend aus den Prüfbehörden Frankreichs, Ungarns, der Niederlande und Schwedens) mit der Erstellung eines Entwurfs der Risikobewertung. Dieser 11.000 Seiten umfassende Entwurf wurde Mitte Juni 2021 an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) übermittelt wurden. Eine endgültige Empfehlung der EFSA ist nach Prüfung der Vorlage im zweiten Halbjahr 2022 zu erwarten.