Das Bayer Logo leuchtet auf dem Werksgelände in Leverkusen.
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Milliardenverlust und Kursflaute Wie tief der Bayer-Konzern in der Krise steckt

Stand: 05.03.2024 14:49 Uhr

Noch strahlt das Bayer-Kreuz über Leverkusen. Doch die Angst ist groß, dass sich der Konzern mehr und mehr aus Deutschland zurückzieht. Skeptiker lässt schon die Tatsache aufhorchen, dass die Bilanz in London vorgestellt wird.

Eine Analyse von Michael Heussen, WDR

Es ist nach neun Monaten Amtszeit Bill Andersons erste Bilanz-Pressekonferenz als Vorstandschef der Bayer AG. Und die hält er nicht wie seine Vorgänger am Firmensitz in Leverkusen, sondern in London. Denn er will sich direkt mit Großinvestoren treffen, um auch ihnen seine Visionen für den Kapitalmarkttag zu präsentieren.

Die Anleger sind stark gebeutelt: Der Aktienkurs ist seit der milliardenschweren Monsanto-Übernahme vor neun Jahren in den Keller gerauscht - vom Spitzenwert von mehr als 140 Euro auf jetzt unter 30 Euro. Bayer wird noch in dieser Woche aus dem europäischen Index Stoxx Europe 50 gestrichen. Und die Dividende wurde von 2,40 Euro im vergangenen Jahr auf das gesetzliche Mindestmaß von elf Cent runtergestrichen. Und zwar für die nächsten drei Jahre.

Konnte Bayer 2022 noch einen Gewinn von rund 4,2 Milliarden Euro verbuchen, musste Bayer heute einen Verlust für 2023 vermelden: Unterm Strich steht ein Minus von 2,9 Milliarden Euro.

"Eine einzige Horrorshow für Aktionäre"

Immer wieder haben Investoren die Aufspaltung des Konzerns gefordert, weil die Einzelbereiche möglicherweise mehr wert sind als der Konzern als Ganzes. Für die nähere Zukunft sieht Anderson das nicht als Lösung. "Kurz gesagt: Unsere Antwort auf die Frage nach Strukturveränderungen lautet 'nicht jetzt' - aber das sollte nicht als 'nie' missverstanden werden. Natürlich werden wir für alles offenbleiben."

Bayer will zwei Milliarden Euro ab 2026 einsparen

Michael Heussen, WDR, Mittagsmagazin, 05.03.2024 12:00 Uhr

Aktionärsschützer Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW nennt die Entwicklung an der Börse eine "einzige Horrorshow für Aktionäre". Von der immer wieder von einzelnen Investoren geforderten Zerschlagung des Konzerns hält er nichts. "Eine Aufspaltung von Bayer bringt überhaupt gar nichts, und ich gehe sogar noch weiter: Bill Anderson kann Bayer heute gar nicht aufspalten."

In der Pharma-Sparte sei kein neues Medikament mit Blockbuster-Potenzial in der Pipeline. Die Agrarsparte Crop Science habe immer noch mit Milliardenklagen in den USA wegen des Unkrautvernichters Glyphosat zu kämpfen. Die dritte Sparte, Consumer Health, nicht-verschreibungspflichtige Medikamente wie etwa der Klassiker Aspirin, dagegen sei erfolgreich. "Warum soll ich etwas verkaufen, was gut funktioniert?", fragt sich auch Tüngler. "Bill Anderson steht also mit dem Rücken zur Wand."

Massiver Arbeitsplatzabbau

Spielraum will sich Anderson mit einem straffen Restrukturierungsprogramm verschaffen - es trägt den wohlklingenden Namen "Dynamic shared ownership". Es verspricht neue agile Teams nah am Kunden, den Abbau von firmeninterner Bürokratie und von Hierarchiestufen. Das bedeutet im Klartext: Viele Bayer-Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren, vor allem im mittleren Management. Genaue Zahlen sind bislang nicht bekannt, aber Experten rechnen mit einer vierstelligen Zahl.

Der Abschied wird denen, die sich schnell auf eine Abfindung einlassen wollen, vergoldet: Bis zu 52,5 Monatsgehälter will Bayer im Einzelfall zahlen, bis zu einer halben Million Euro kann das sein.

Arbeitnehmervertretung hält sich zurück

Da außerdem bis Ende 2026 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden - der Konzern also allein auf freiwillige Abschiede setzt -, ist die Arbeitnehmerseite auffällig zurückhaltend in ihrer Kritik. Francesco Grioli, Vorstandsmitglied der Chemie-Gewerkschaft IG BCE und Aufsichtsratsmitglied bei Bayer, fordert, der Konzern müsse wieder "in die Spur kommen": "Seit Jahrzehnten gab es keine betriebsbedingten Kündigungen mehr bei Bayer. Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass das auch so bleibt."

Heike Hausfeld, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Bayer AG, hatte sich im Vorfeld der Pressekonferenz in einer Bayer-Pressemeldung so zitieren lassen: "Wir sehen mit dem neuen Betriebsmodell eine große Chance, unsere wirtschaftliche Situation deutlich zu verbessern. In der angespannten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens reichen die bereits laufenden Programme und Maßnahmen jedoch nicht aus, weshalb wir schweren Herzens weiteren Einschnitten zugestimmt haben."

Kein Ende der Klagewelle in Sicht

Doch für das größte Problem des Aktienkurses hat auch Anderson keine schnelle Lösung: Die Klagewelle in den USA gegen den Unkrautvernichter Glyphosat reißt immer wieder Löcher in die Firmenkasse. Erst Ende Januar hat ein Gericht in Pennsylvania einem Kläger Schadenersatz von umgerechnet mehr als zwei Milliarden Euro zugesprochen. Die Geschworenen sahen es als erwiesen an, dass seine Krebserkrankung von dem Unkrautvernichter ausgelöst wurde.

Die Summe wird zwar im weiteren Prozessverlauf erfahrungsgemäß deutlich reduziert werden, und Bayer wird in Berufung gehen. Nichtsdestotrotz ist das Urteil ein Menetekel für die rund 52.000 noch offenen Streitfälle. Bayer hat dafür Rückstellungen in zweistelliger Milliardenhöhe bilden müssen. Dass auch Anderson wie sein Vorgänger Werner Baumann mantraartig wiederholt, Glyphosat sei nicht krebserregend, beeindruckt die US-amerikanische Justiz bislang kaum.

Einflussnahme auf die US-Politik?

Jetzt deutet Anderson einen neuen Weg an: "Wir betrachten das Thema aus allen Blickwinkeln, innerhalb und außerhalb der Gerichtssäle. Dazu gehört auch eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Bereich der Politik." Das könnte heißen: Bayer will auf die amerikanische Politik einwirken, der Justiz Einhalt zu gebieten.

Anlegerschützer Tüngler von der DSW bleibt skeptisch. "Da muss man auch die Frage stellen: Wieso sollte der amerikanische Gesetzgeber auf Bundesstaatenebene ein Gesetz in die Wege leiten, was die amerikanischen Bürger beschränkt in ihren Möglichkeiten? Das ist eine schöne Idee, aber sie ist mehr mit Hoffnung verbunden, als dass sie Wirklichkeit wird."