Lufthansa-Aufsichtsrat Wer ist Schuld am Flughafen-Chaos?
Während der Pandemie wurden tausende Luftfahrt-Mitarbeiter entlassen. Aktuell führt das zu Flugausfällen, Wartezeiten und Chaos an Flughäfen. Auch die Lufthansa steht in der Kritik. Heute tagt deren Aufsichtsrat.
Auf Betreiben der Arbeitnehmervertreter treffen sich heute die Kontrolleure der Lufthansa zu einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung. Thema ist das Chaos an deutschen Flughäfen, das zu stundenlangen Warteschlangen, teils verspäteteten oder ersatzlos gestrichenen Flügen führt. Dahinter steht aber nach Ansicht der Arbeitnehmervertreter ein hausgemachtes Problem: Die größte deutsche Airline habe während der Corona-Pandemie zu viel Personal entlassen, teils mit hohen Abfindungen. Nun müssen nach Ansicht der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo zu wenige Mitarbeiter am Boden, in der Kabine und im Cockpit die hohe Passagiernachfrage stemmen, größtenteils bis zur Belastungsgrenze. Man habe die Pandemie genutzt, um zu restrukturieren und dabei übers Ziel hinausgeschossen, sagte ein UFO-Sprecher tagesschau.de.
Schlechte Stimmung zwischen Mitarbeitern und Management
In einem vor der heutigen Aufsichtsratssitzung verfassten Brief, den die Mitarbeitervertretungen verschiedener Lufthansa-Töchter unterschrieben haben und der tagesschau.de vorliegt, wird deutlich, wie angespannt das Verhältnis zwischen Lufthansa-Mitarbeitern und Management schon seit längerem ist. Die Personalvertreter unter anderem von Lufthansa, Lufthansa Cargo, City Line und Germanwings werfen der Führung darin "Fehlentscheidungen" vor. Man habe Kürzungs- und Kündigungsprogramme durchgezogen, obwohl schon zu Jahresbeginn eine Erholung der Nachfrage für den Sommer erkennbar gewesen sei.
Neben dem Vorwurf, der Konzernvorstand spiele die Beschäftigten gegeneinander aus, um Kosten zu sparen, finden die Mitarbeiter klare Worte, welche Folgen diese Sparpolitik für das Image der Fluglinie habe. Im Brief heißt es: "Wir verspielen unseren guten Ruf und auf Dauer wird Lowcost-Service und -zuverlässigkeit zu Premiumpreisen sicher nicht funktionieren."
Lufthansa gesteht in Teilen Fehler ein
Lufthansa selbst gibt zumindest in Teilen zu, beim Personalabbau während der Pandemie Fehler gemacht zu haben. So äußerte sich Konzernchef Carsten Spohr selbstkritisch in einem Brief an die Mitarbeiter, man habe es unter dem Druck der hohen Verluste durch die Pandemie mit dem Sparen an der einen oder anderen Stelle sicher übertrieben. Das dürfte sich auch auf die Abfindungsverträge für Piloten beziehen. Lufthansa hatte im Zuge der Pandemie weit über 300 Piloten mit hohen Abfindungen aus der Firma entlassen. Piloten, die nach Ansicht der Gewerkschaften nun im Cockpit fehlen.
Nach Ansicht der Piloten-Gewerkschaft Cockpit geht das nun zu Lasten der übrigen Piloten, da es eine deutlich spürbare Arbeitsverdichtung mit sich bringe. Auch das Bodenpersonal ist überlastet.
Auf Anfrage nach der Mitverantwortung des Konzerns für das derzeitige Chaos an den Flughäfen verweist ein Lufthansa-Sprecher darauf, dass es die gesamte Branche derzeit betreffe. Man habe zwar absehen können, dass die Menschen irgendwann wieder fliegen möchten. Aber es sei nicht absehbar gewesen, dass es so zügig und in diesem Volumen wieder losgehe. Von Seiten des Vorstands hieß es in einem internen Interview für die Mitarbeiter: "Die Hauptursache ist dabei, dass wir einen Sprung im Verkehrsvolumen von über 90 Prozent innerhalb weniger Monate erleben. Auch wenn dies nach der langen Zeit der fehlenden Kunden eigentlich erfreulich ist, überfordert dieser noch nie da gewesene Anstieg das gesamte System weltweit."
Immer weniger Mitarbeiter in der Luftfahrt
Aus Sicht der Gewerkschaften kam die hohe Nachfrage nicht so überraschend. Bereits zu Jahresbeginn habe man das anhand der hohen Buchungszahlen für den Sommer voraussehen können. Auch das Osterwochenende mit massiven Problemen beim Catering sei ein Vorbote gewesen. Außerdem habe die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo bereits Ende 2020 darauf hingewiesen, dass man auf die Fluglizenzen des Kabinenpersonals achten müsse. Aktuell säßen zahlreiche Flugbegleiter zu Hause und könnten nicht fliegen, weil es an Schulungskapazitäten fehle, so ein Ufo-Sprecher.
Zudem arbeiten immer weniger Menschen in der Flugbranche. Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts ist im April die Zahl der Beschäftigten im Flugpassagierverkehr auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015 gesunken. Im April arbeiteten 6,6 Prozent weniger Menschen in diesem Bereich der Luftfahrt als ein Jahr zuvor. Verglichen mit dem April 2019 waren es sogar 11,3 Prozent weniger. Zugleich steigen die Passagierzahlen aber deutlich an. Im April wurde ein Plus von 359 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat registriert.
Wettbewerb auf Kosten der Mitarbeiter?
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht das aktuelle Chaos im Teilen des europäischen Luftverkehrs als Folge des überzogen harten Wettbewerbs zu Lasten der Beschäftigten. Nach Ansicht der Verdi-Vertreterin Christine Behle, die auch an der heutigen Lufthansa-Aufsichtsratssitzung teilnimmt, habe die Corona-Pandemie die Situation zwar noch verschärft, aber grundsätzlich seien die Probleme schon zuvor offen sichtbar gewesen.
Der Nachrichtenagentur dpa sagte Behle: "Das System ist ziemlich marode. Die Tickets decken nicht die Kosten und wir haben unterirdische Arbeitsbedingungen. Irgendjemand muss für das Fliegen zahlen. Bislang war es das Personal. Das kann nicht so bleiben." Verdi vertritt die Interessen der Flughafenmitarbeiter am Boden - hier sind größtenteils die Flughafenbetreiber verantwortlich. Und auch hier fehlt derzeit vor allem eins: Personal.
Massive Störung des Flughafen-Betriebs geht weiter
Der Betreiber des größten deutschen Flughafens in Frankfurt ist Fraport. Dessen Vorsitzender Stefan Schulte sagte gestern Abend in einem Pressegespräch, die zurzeit massive Störung des Betriebs wegen fehlender Arbeitskräfte werde die nächsten zwei, drei Monate anhalten. "Das Problem wird nach vorne, obwohl wir einstellen, nicht kleiner werden. Das sage ich sehr offen", so Schulte.
Fraport hat nach dem Abbau von rund 4000 Beschäftigten in der Pandemie bisher fast 1000 neue Mitarbeiter für Bodendienste wieder eingestellt. Selbst wenn einige Hundert neue Mitarbeiter oder Aushilfskräfte aus dem Ausland zum Einsatz kämen, bessert sich die Lage Schulte zufolge nicht. Zugleich liegt die Krankheitsquote mit 15 Prozent auch wegen Corona höher als gewöhnlich und das mitten in den Sommerferien, in einigen Bundesländern beginnen sie erst in den kommenden Wochen.
Wie billig darf fliegen sein?
Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter kommt die heutige Lufthansa-Aufsichtsratssitzung fast schon zu spät. Mitarbeiter der Fluglinie hätten sich viel früher ein aktives Zugehen der Lufthansa-Führung auf die Mitarbeiter gewünscht. Statt "stoisch ein Spardiktat durchzuziehen" hätte sich die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo Gespräche über flexible Arbeitszeiten und auch Kompensationszahlungen gewünscht. "Mehrarbeit muss bezahlt werden." Aber es sei nicht nur das, es gehe generell um die Frage, wer bei solchen Arbeitszeiten und Belastungen diesen Job noch machen wolle. Ganz am Ende stellt sich laut Ufo und Verdi dann auch die Frage, wie billig eigentlich Fliegen sein darf.